Bei SAP ist jetzt der US-Manager Bill McDermott allein am Runder. Der Marketingprofi muss Mitarbeiter, Aktionäre und Kunden erst noch davon überzeugen, dass der Konzern unter ihm seine deutschen Wurzeln nicht verleugnet.

Mannheim - Angst vor der Amerikanisierung? Die Dekorateure für den Frühstücksempfang des neuen alleinigen SAP-Chefs Bill McDermott haben sich darüber anscheinend keine Sorgen gemacht. Neben der Tür zum Besprechungsraum hängt ein Poster mit drei jubelnden US-Football-Spielern. „Greatness runs SAP“ steht darüber, also „Wahre Größe läuft mit SAP“. Der nie um rhetorische Superlative verlegene 52-Jährige sitzt auf seinem Hocker passenderweise neben einem Werbefoto, auf dem ein Bergsteiger auf einer schmalen Felsennadel den Arm zur Siegerpose erhebt. Doch das Letzte, was der nun zum alleinigen Chef von SAP aufgerückte Amerikaner bei seinem Presseauftritt vermitteln möchte, ist die seit seinem Aufstieg grassierende Sorge, der einzige deutsche IT-Weltkonzern verliere seine deutsche DNA.

 

Aber McDermott, der in seiner Rede auf der Hauptversammlung am Mittwoch in Mannheim nicht über ein paar deutsche Brocken hinauskam, kann nicht aus seiner amerikanischen Haut. Ganz der US- Marketingprofi, lobt der neue SAP-Chef abwechselnd den in den Aufsichtsrat wechselnden bisherigen dänischen Co-Chef Jim Hagemann Snabe, Deutschland im Allgemeinen und seinen neuen Wohnsitz Heidelberg im Besonderen geradezu über den grünen Klee. Als Chef könne man nur erfolgreich sein, wenn man das kulturelle Erbe eines Unternehmens respektiere: „SAP ist ein deutsches Unternehmen.“

„Heidelberg ist einer der schönsten Orte der Welt“, sagt McDermott auf die Frage, ob sich im harten Wettbewerb mit Silicon Valley und den großen Metropolen der Welt genügend Talente in die südwestdeutsche Provinz ins benachbarte Walldorf locken ließen. Nein, auch er selbst habe keine heimlichen anderweitigen Ambitionen. Er werde nicht einfach gehen, wenn etwa eine US-Firma mit einem dickeren Scheck winke. „Ich stehe zu 10 000 Prozent zu SAP“, sagt er und trägt dabei so kräftig auf, wie das nur einer kann, der eben nicht in dem lange von einem gewissen Understatement geprägten Unternehmen groß geworden ist.

McDermott führt SAP in das Zeitalter der Cloud

Seitdem McDermott im Jahr 2010 als Co-Chef das Ruder im Unternehmen übernahm, hat SAP eine tiefe Verwandlung erlebt. Das lange Jahre für dröge, aber doch zuverlässige und hochrentable Lizenz-Software bekannte IT-Unternehmen aus Walldorf sollte in ein neues Zeitalter katapultiert werden, in dem Software nur noch gemietet und in die sogenannte Cloud ausgelagert wird. Den Takt geben hier US-Konkurrenten wie der Cloud-Spezialist Salesforce vor. Statt hoher Einmalgebühren beim Kauf von SAP-Softwarepaketen und lukrativer Wartungsgebühren fallen nun über einen viel längeren Zeitraum verteilte Mieteinnahmen an.

Der Umbruch trifft auch zunehmend die Mitarbeiter. Zwar wächst die Zahl der Beschäftigten weiter – doch schon bald werden mehrere Tausend Mitarbeiter erfahren, ob sie deshalb neue Aufgaben bekommen oder ihren Job womöglich verlieren. Mit Details hält sich SAP weiter bedeckt. „Wir werden aber auch in Deutschland weiter Stellen schaffen“, sagte McDermott schon vor seinem Auftritt auf der Hauptversammlung.

Die Gespräche mit dem deutschen Betriebsrat, der sich erst in dieser Woche neu konstituiert hat, sollen in den kommenden Tagen anlaufen. In McDermotts Heimat ist man angesichts des dortigen, lockeren Kündigungsschutzes schon weitergegangen. Die Gespräche mit den US-Mitarbeitern hätten bereits begonnen, sagte ein SAP-Sprecher.

Hoffnungsträger verlassen den Konzern reihenweise

Doch ein kräftiges Stühlerücken gab es in den vergangenen Monaten auch in den SAP-Chefetagen. Vermeintliche Hoffnungsträger und angebliche Kronprinzen haben das Walldorfer Unternehmen reihenweise verlassen. Anfang des vergangenen Jahres war das beispielsweise der für das wichtige Cloud-Geschäft verantwortliche Vorstand Lars Dalgaard und erst vor wenigen Wochen Vishal Sikka, einer der brillantesten Entwickler von SAP. Zwischendrin stand der Konzern nach dem raschen Abschied von gleich zwei Personalchefinnen binnen weniger Monate auch ohne Personalvorstand da – eine Aufgabe, die McDermott als neuer starker Mann bei SAP jetzt zusätzlich zu seinen Aufgaben als Unternehmenschef übernimmt.

Als Strippenzieher im Hintergrund galt in vielen dieser Fälle der heute zumeist in Kalifornien lebende SAP-Gründer Hasso Plattner, der als Aufsichtsratschef, Visionär, Antreiber und Kritiker immer noch omnipräsent ist. Der rastlose 70-Jährige dementierte dies auf der Hauptversammlung heftig: „Ich mische mich nicht ein – alles andere ist erfunden und erlogen.“ Die jüngsten spektakulären Personalwechsel seien ausschließlich aus persönlichen Gründen erfolgt. „Wir müssen nach vierzig Jahren unsere Fertigkeiten und die Prozesse ändern“, sagte Plattner: „Wenn dann familiäre Probleme dazukommen, dann muss man sich entscheiden, ob man sich diesen Stress weiter antun möchte.“

Co-Chef Hagemann Snabe wechsel in den Aufsichtsrat

Recht hemdsärmelig exekutiert SAP auch den Seitenwechsel des bisherigen Co-Chefs Jim Hagemann Snabe in den Aufsichtsrat. Bei der in Deutschland inzwischen geltenden sogenannten Abkühlungsphase von zwei Jahren genehmigt man sich gleich einmal die im Kleingedruckten des Gesetzes vorgesehene Ausnahme, für die es nur die Zustimmung einer Minderheit von einem Viertel der Anteilseigner braucht. Man wolle nicht, dass die Expertise des Dänen, der im Duo mit McDermott stark für die Technologieentwicklung zuständig war, für SAP verloren gehe, hieß es zur Begründung. Soll mit Snabe ein Nachfolger für den Aufsichtsratsvorsitzenden Plattner aufgebaut werden? Diese Frage blieb vor den 3500 Aktionären in der Mannheimer SAP-Arena offen.

Bill McDermott scheint zu ahnen, dass er noch eine ganze Weile im Schatten des SAP-Übervaters agieren wird – und erwies Plattner denn auch die gebührende Reverenz. Er sei sehr stolz darauf, auf den Schultern von Riesen zu stehen, sagte McDermott: „Ich danke Hasso für seine entschlossene Leidenschaft.“

Wer ist Bill McDermott?

Karriere
Der am 18. August 1961 in New York geborene Bill McDermott hat seine ersten beruflichen Sporen bei der Kopiererfirma Xerox verdient, wo er binnen 17 Jahren rasant aufstieg und dort zum jüngsten Geschäftsbereichsleiter der Firmengeschichte wurde.

SAP-Laufbahn
Zu SAP stieß der Amerikaner nach Zwischenstationen bei einem Marktforschungsunternehmen und einem US-Softwarehersteller 2002. Im Jahr 2008 wurde er Leiter des weltweiten Vertriebs und zwei Jahre später Co-Chef.

Perfektionismus
Der Basketballfan McDermott gilt als unermüdlicher Antreiber. Auf die Frage, welche Redewendung er am meisten hasse, sagte er einmal: „Gut genug.“ Man müsse immer sein Bestes geben: „Perfektion ist ein Rennen ohne Ziellinie.“