Es gibt im nächsten Jahr keine Überraschungen. Die Eklats, die Affären, die Empörungswellen und die geheuchelte Verwunderung über all dies sind längst festgezurrt. Der StZ-Autor Matthias Hohnecker versucht sich an einem vorauseilender Rückblick.

Stuttgart - Das Jahr 2014 also, so viel müssen wir leider schon einmal verraten, 2014 wird das Jahr, das auf 2013 folgt. Jep, wir Journalisten sind Hellseher. Wir sind die Wahrsager der Nation, und wir sehen jetzt und hier schon alle Skandale von 2014 voraus – auch deshalb, weil wir sie dann erst zu Skandalen machen werden. Aus den Vorabrecherchen mit den für gewöhnlich so gut unterrichteten Kreisen haben wir Erkenntnisse destilliert, aus deren Trester sich das Jahr 2014 so präzise herauslesen lässt, als läge es schon hinter uns, als hätte es schon auf Torfatmung umgestellt, als wäre es also schon gestorben.

 

Beweise? Es gilt unter uns Profivorausblickern etwa als gesetzt, dass der Karfreitag 2014 (18. April) – dem Revolutionspapst Franziskus sei Dank – erneut auf einen Freitag fällt und der Pfingstmontag (9. Juni) nicht mittwochs gefeiert wird. Wobei sich – Stand jetzt! – auch schon sagen lässt, dass sieben von sechs Deutschen eher wissen, was am Tag der Jogginghose (20. Januar) begangen wird als am Pfingstmontag.

1914 übrigens war der Pfingstmontag am 1. Juni. Das geht heuer, 100 Jahre später, sicher genauso im Schützengrabengeschrei über die Deutungshoheit des Bombenthemas 2014 (100 Jahre Erster Weltkrieg) unter wie die Tatsache, dass 2014, also im Internationalen Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft, Anis (Pimpinella anisum) Heilpflanze des Jahres ist.

Wer alles ins Dschungelcamp kommt

Wiederhole: Anis, nicht Anus. Aber wenn wir schon bei Anus sind. Gerne sähen wir bei „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ auf RTL (Start 17. Januar) zu, wie ein paar sehr c-prominente Austrittsöffnungen unter der Aufsicht von Sonja Zietlow und Daniel Hartwich rohen Tier-Anus verspeisen und „Ochsenwichse“ zu etwas sagen, das sie zuvor nichts ahnend als Buschschweinsperma auf Ex gekippt haben wie der Titelverteidiger Joey Heindle.

Aber für dieses Plumpsklo unter den TV-Ausscheidungssendungen haben wir leider keine Zeit. Selbst wenn da die komplette frühere FDP-Bundestagsfraktion den Brüderle zur Sonne zur Freizeit machen würde. Nein, wir müssen uns auf den Steuerprozess um den Wurstfabrikanten und FC-Bayern-Omnipräsidenten Uli Hoeneß vorbereiten (Beginn 10. März). Dafür wurde sogar extra der Saal 134 des Münchner Justizpalastes frisch gestrichen.

Vermutlich mit Latexfarbe, damit die Tränen leichter von den Wänden abperlen. Und die werden Hoeneß sicher wieder wie aus Sportplatzberegnungsanlagen aus den bayernroten Augen schießen. Dann nämlich, wenn seine Fans den „Knallhartrichter Rupert Heindl“ („Bild“) für seinen Hoeneß-Freispruch feiern: mit einer Bierdusche. Dass Heindl fast so heißt wie der Knallhart-Dschungelcamper Joey Heindle – kein Zufall? Und dann, endlich, muss auch der letzte Knallhartjournalist nicht mehr darüber fabulieren, dass die Schande um die Sitzplatzverlosung vor dem Hoeneß-Prozess eindeutig keine Schmach des Fußball-Weltverbandes gewesen ist. Weil die Fifa bei der Erstellung der Setzliste für das Funktionärsereignis des Jahres natürlich auf vegan lebende Reporter in heterosexuellen Beziehungen Rücksicht nahm.

Keinem ist mehr irgendwas peinlich

Spätestens dann wird es Nürnberger Bratwürstel regnen überm Justizpalast. Und Franz Beckenbauer wird sagen: „Ja, is denn heut schon Weihnachtsmarkt?“ Direkt im Anschluss blitzt das Stroboskop der hyperaktiven Medienleuchten den Lebensmittelskanda l 2014 aus: Der Torwarttitan Oliver Kahn macht sowohl für die Weight Watchers Werbung als auch für die Geflügelwurst „Bruzzzler“ („Mann, is’ das ’ne Wurst!“). Jedenfalls ist das ein größerer Eklat als die Geschmacksverirrung 2013, da man plötzlich feststellen musste: man kann auf italienischen Schichtnudelgerichten reiten. Pferdichgericht, Lasagne al pony.

Überhaupt wird sich 2014 der Trend fortsetzen, dass jeder alles machen kann – und es nicht ein My peinlich ist. Heino singt weiter Rammstein („Dass das so unter die Decke geht, damit habe ich auch nicht gerechnet“). Der Rammstein-Sänger Till Lindemann veröffentlicht weiter Lyrikbände („Bei Fontane dreht sich mir heute noch der Magen um“) und ist immer noch mit der Arzthelferin des ZDF-„Bergdoktors“ zusammen. Angela Merkel, Ursula von der Leyen und Volker Kauder knödeln wieder „An Tagen wie diesen“ (Europawahl, 8. Juni) und schütteln ihre Politikerkörper zur Musik der Punkdarsteller von den Toten Hosen. Und Campino, die obertote Hose, könnte am Welttag der Gehirnspende, äh, am Welthumanistentag (21. Juni) im Berliner Ensemble als Gegenleistung daraufhin das CDU-Parteiprogramm vorlesen.

Jonathan Meese war schon als Baby ein Künstler

Und dann passiert dort im BE etwas sehr, sehr Traumhaftes, das man aber nur mit dem absoluten Trendgadget 2014 sehen kann: mit der Google-Datenbrille. Der eilig hinzugebetene Hobby-Adolf und Kunstperformer Jonathan Meese („Ich war natürlich schon als Baby ein Künstler, aber das habe ich nicht gewusst“) schickt bei der Veranstaltung im Berliner Ensemble mit dem rechten Arm den Hitlergruß in den Bühnenhimmel, während er seinen ausgestreckten linken Mittelfinger (an dem Claus Peymann sabbernd baumelt) nicht als Steinbrück-Zitat missverstanden wissen will, sondern als Stinkefingerzeig in Richtung Bayreuth, wo er 2016 den Parsifal, ja was eigentlich: nationalsozialisiert?

Dazu wird der Ex-„Spiegel“-Brachialautor Matthias Matussek (als Henrik M. Broder verkleidet und mit der Stimme von Benjamin Blümchen) sich selber mittels einer Endlosschleife im Videoblog schreiend als „hinterfotziges Arschloch“ und „Puffgänger“ kasteien. So wie er sich das in der Kurt-Krömer-Show anhören musste, deren Ausstrahlung er vor Gericht nicht verhindern konnte. Stichwort: Vorwärtsverteidigung. Der Filmregisseur Lars von Trier entert die Bühne. Er wird mit einem Alice-Schwarzer-Double und einer Sexpuppe, die aussieht wie Ozzy Osbourne (der seine Tournee mit Black Sabbath bewerben muss, die ihn am 25. Juni nach Stuttgart führt), Szenen aus seinem am 20. Februar gestarteten Arthouse-Porno „Nymphomaniac“ nachspielen.

„Chelmpflicht im Challabad!“

Als Nebenhandlung überreicht Bushido (der sein am 14. Februar erschienenes Album „Sonny Black“ bewerben muss) dem Immer-noch-SPD-Mitglied Thilo Sarrazin (der sich selber bewerben muss) das Integrationsbambi unter dem Stehbeifall sämtlicher aus der NPD abgezogenen V-Leute. Sie schreien auf Arabisch im Chor „Helmpflicht im Challabad!“ Das ruft Charlotte Roche (die ihren von Sönke Wortmann verfilmten Roman „Schoßgebete“, der im September in die Kinos kommt, und ihren neuen Roman bewerben muss) auf den Plan. In einer durchsichtigen Burka lässt sie sich vom Theaterregisseur René Pollesch live eine Hämorrhoide auszuzeln wie eine Weißwurscht. Das wollte sie schon am „Welttag der Feuchtgebiete“ (2. Februar) der Unesco mit Harald Schmidt machen. Aber der ist auf der Anfahrt versumpft.

Man kann die Zuzelei im BE leider nur schemenhaft erkennen. Der „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann lässt im Vordergrund seinen Catweazlebart vom FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher – umtanzt von der nackerten Veronica Ferres („Nacktsein, das ist so, als würde man seine Seele entblättern“) und dem körperbemalten Carsten Maschmeyer – abrasieren. Er will den Bart für ein „Herz für Kinder“ versteigern.

Und alle löschen ihre Facebook-Kontos

Das macht den Dortmunder Fußballtrainer Jürgen Klopp ganz wuschig. Nach hartem Kampf mit dem FDP-Chef Christian Lindner ersteigert Klopp Diekmanns Zotteln, um sie sich an den Hinterkopf transplantieren zu lassen. Dorthin, wo die Haare nicht mehr nachwachsen, die er sich an den Vorderkopf transplantieren ließ. Das sieht Klopps optischer Ziehvater Justin Bieber kritisch. Er unterzieht sich einer Geschlechtsumwandlung, gibt sich der rhythmischen Sportgymnastik hin und treibt damit Millionen von jungen Mädchen am Welt-Suizid-Präventionstag der Weltgesundheitsorganisation (10. September) in den digitalen Selbstmord. Sprich: Löschung der Twitter- und Facebook-Accounts.

Facebook und Twitter melden Insolvenz an, Millionen von jungen Jungen schmeißen ihre Smartphones weg, der „Zeit“-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo initiiert unter dem Motto „Wischen impossible“ eine LED-Lichtermenschenkette, an der weltweit 23 Milliarden Menschen (also alle „Zeit“-Abonnenten) teilnehmen. Das führt zum Zusammenbruch des deutschen Stromnetzes. Der Ex-Umweltminister Peter Altmaier („Ich habe fast jedes Windrad persönlich gestreichelt“) besteigt aus Protest gegen erneuerbare Energien ein Windrad im mecklenburgischen Siedenbrünzow. Nach drei Sekunden knickt es ab. Das nimmt der Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus zum Anlass, die EnBW komplett und am Landtag vorbei zu kaufen. Er lässt Mikro-Atomkraftwerke für jedes einzelne Kfz entwickeln – und schießt am vierten Jahrestag des schwarzen Donnerstags am 30. September im Stuttgarter Schlossgarten mit Abwasserwerfern auf alle schwäbischen Hausfrauen, die gegen die Verlegung des Stuttgarter Flughafens unter die Fildererde sind.

Unter uns: diese Googlebrille ist für den Blick in die Zukunft echt der Hammer! Hätte der Nivea-Werbeschmierer und Nebenerwerbs-Fußballbundestrainer Joachim Löw so ein Ding doch früher auf seiner Nase gehabt. Er hätte, sammer mal, schon bei der WM-Auslosung gewusst, dass er im deutschen Vorrundengruppenfinale in Brasilien gegen die USA (26. Juni) noch in der Halbzeitpause vom gegnerischen Coach Jürgen Klinsmann ersetzt wird. Der Klinsmann also, der wo dann beide Teams betreuen tut, und auch mit beiden Weltmeister wird – jedenfalls auf einer dieser neuen, schockierend realistischen Spielkonsolen. Die sind von Mai an auch nicht mehr ausverkauft. Die Bilder speist die NSA direkt ins Livebild der TV-Sender ein, was man aber erst merkt, wenn im Finale (13. Juli) plötzlich Lothar Matthäus über den Platz rumpelt. Wo Deutschland doch schon im Achtelfinale ausgeschieden ist.