Konzerte finden nach der Corona-Zwangspause wieder statt. Aber wie lange? Saxofonistin Moni Ramoni spürt Existenzangst und hat die Sorge, dass der Vorhang bald wieder fällt.

Es ist wie ein Tanz auf dem Vulkan. Plötzlich ist wieder erlaubt, was lange untersagt war: Großkonzerte, Stadtteilfeste und Festivals. Es herrschen Partylaune und viel Gedränge auf Open-Air-Veranstaltungen. Alle wollen feiern. Die Stuttgarter Saxofonistin Moni Ramoni kann sich jedenfalls derzeit vor Anfragen kaum retten: Sieben Gigs hätte sie an einem einzigen Samstag spielen können. Auch während der Woche hatte sie gut zu tun. Das ist zwar nach den Zwangspausen der vergangenen zwei Jahre schön und gut: Doch wie lang hält die Feierlaune an, fragt sich die Berufsmusikerin? Die nächste Coronawelle rauscht jedenfalls schon wieder an. Es könnte erneut ein schwerer Herbst und Winter durch ansteckendere Varianten kommen, befürchtet daher Ramoni. Testpflicht, Masken, Abstandsregeln und abgesagte Konzerte – vieles erscheint wieder möglich.

 

Aber statt Livemusik wieder Streaming-Konzerte aus den eigenen vier Wänden? Das war und ist nun gar nicht ihr Ding. Ramoni liebt den Sog der Bühne und den Spirit zwischen Musikern und Publikum. „Wenn du in strahlende Gesichter spielst und die Leute mitziehst, dann gibt dir das so viel zurück“, sagt sie, „in solchen Situationen wächst du über dich hinaus.“ Sie hofft daher, dass es nicht wieder zum abrupten Stopp des Kulturlebens kommt, aber wer will das mit Sicherheit voraussagen: „Ich lass mich überraschen.“

Livekonzerte vom Balkon

Fest steht aber schon jetzt: Die Livemusik-Branche hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren unter den Folgen der Pandemie stark gelitten. Ramoni gab während einer der ersten Lockdown-Phasen von ihrem Balkon in Hedelfingen kleine Livekonzerte. „Ich habe jede Woche mindestens ein neues Stück gespielt. So war der Anreiz gegeben, viel zu üben.“ Sie ging auch wieder auf die Straße, um Musik zu machen. „Das ist das Ehrlichste, was du machen kannst, du bekommst sofort ein Feedback“, sagt sie. Doch irgendwann wurde ihr auch diese Möglichkeit genommen. Es herrschte plötzlich Maskenpflicht auf der Königstraße. Im Rückblick wirkt manche Coronamaßnahme seltsam surreal.

Die „Welt-Tournee“ des Virus begann Anfang 2020 in China. Ramoni trat wenige Wochen vor dem ersten Lockdown noch mit ihrer Lieblingsband auf: „Mein letztes Konzert vor der Pandemie war mit Cleanin‘ Women am 7. März 2020 im Schlesinger“, erinnert sie sich. Drei Wochen später war dann Schluss, das öffentliche Leben stoppte abrupt. Für Ramoni war das ein harter Schlag ins Kontor. „Ich hatte sozusagen Berufsverbot.“ Obwohl damals schon klar war, dass sehr viele Künstler in eine finanzielle Notlage geraten würden, herrschte anfangs eher Gleichgültigkeit: „Es war unheimlich frustrierend, immer wieder von irgendwelchen Entscheidungsträgern zu hören, wie systemirrelevant du als Musiker scheinbar bist“, sagt sie, „wir mussten immer als Erste aufhören und durften als Letzte wieder starten.“

Die bisherige Durststrecke hat sie gemeistert

Durch die Künstlersoforthilfe Stuttgart konnte sie die Verluste etwas abfedern. Sie zieht den Hut vor dem, was Joe Bauer, der frühere Kolumnist der Stuttgarter Nachrichten, und einige Mitstreiter getan haben. Die Initiative startete mit 5000 Euro. Am Ende kamen mehr als 1,5 Millionen Euro an Spenden zusammen. „Damit konnte vielen Künstlern geholfen werden“, sagt die Musikerin. Der Verlust von Kultur hat aus ihrer Sicht aber auch noch eine andere Dimension: „Ich glaube, dass während der Pandemie der Umgang der Menschen untereinander rauer geworden ist. Es fehlte das gemeinsame Feiern und das gemeinsame Erleben“, konstatiert sie im Nachhinein.

Die bisherige Durststrecke hat sie gemeistert. Vielleicht auch, weil sie im Laufe der Karriere gelernt hat, gegen Widerstände anzukämpfen. „Früher war ich eine der wenigen Frauen an dem Instrument, aber das hat sich geändert“, sagt die 58-Jährige. Sie tourte als Saxofonistin über ein Jahrzehnt mit No Sports durch ganz Europa. Auf der Haupttribüne des alten Millerntor-Stadions trat sie beim Viva-St.-Pauli-Festival mit der Stuttgarter Ska-Band auf. „Die Toten Hosen und die Goldenen Zitronen waren bei dem Festival auch dabei“, erinnert sich Ramoni. Es ging damals auch darum, die Öffentlichkeit gegen die drohende Räumung der Hafenstraße zu mobilisieren. Bei Demos gegen das Projekt Stuttgart 21 blies sie zum Protest. Mit der Fesh-Band des Handchirurgen Michael Greulich – einem wichtigen Förderer der örtlichen Musikszene – war sie in Rio de Janeiro. Und mit der hessischen Combo Saxpower machte sie einen Betriebsausflug nach New York: „Wir haben in U-Bahn-Stationen und im Central Park gespielt.“

Kultur ist nicht nur Freizeitvergnügen

Hat das bald wieder nur noch Erinnerungswert? Sollte die Pandemie-Zeit im Rückspiegel betrachtet überhaupt zu etwas gut gewesen sein, dann vielleicht zu der Erkenntnis, wie schnell wichtige gesellschaftliche Güter wie Livemusik, Theater und Kunst aufs Abstellgleis geraten, wenn es eng wird: „Dass Kultur nur fürs Freizeitvergnügen der Gesellschaft zuständig sein soll“, sagt Ramoni, „das darf es nun wirklich nicht sein.“