Die Aktion #allesdichtmachen sorgt für Streit und Unverständnis. Prompt folgt eine neue Gegenaktion. Eine Schmerzgrenze sei überschritten, heißt es in einem Appell der Notärztin Carola Holzner.

Digital Desk: Jonas Schöll (jo)

Stuttgart - In der Debatte um die Internetaktion #allesdichtmachen wird die Kritik an den prominenten Teilnehmern immer lauter. Unter #allemalneschichtmachen kritisierten zahlreiche Nutzer im Netz die Aktion als zynisch und nicht konstruktiv. Die Notärztin und Bloggerin Carola Holzner – im Netz bekannt als „Doc Caro“ – rief die an der Aktion beteiligten Künstler dazu auf, mal für eine Schicht im Rettungsdienst oder auf einer Intensivstation mitzuarbeiten.

 

Notärztin: „Ihr habt eine Grenze überschritten“

„Ihr habt eine Grenze überschritten“, sagte Holzner, Leitende Oberärztin am Universitätsklinikum Essen, zur Aktion #allesdichtmachen am Samstagabend in einem Instagram-Video. „Und zwar eine Schmerzgrenze all jener, die seit über einem Jahr alles tun.“ Ihre Botschaft richtete die Medizinerin direkt an die Initiatoren und Teilnehmern der Corona-Kampagne. „Ich bin die Stimme des Gesundheitssystems, zumindest eine davon“, so beginnt der leidenschaftliche Appell. „Zynismus, Sarkasmus und Ironie sind aktuell nicht nur nicht angebracht, sondern ein Schlag ins Gesicht für uns alle“, führte die Notärztin weiter aus.

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Doch die Medizinerin kritisierte nicht nur, sondern machte den Initiatoren und Teilnehmern der Corona-Kampagne ein Angebot. Unter dem Hashtag „allemalneschichtmachen lud sie die Angesprochenen zur aktiven Mitarbeit ein: Zu einer Schicht im Rettungsdienst, in der Notaufnahme, auf den Intensivstationen, in Impfzentren oder Arztpraxen. „Und danach reden wir noch mal. Und zwar ohne Ironie. In einem konstruktiven Austausch“, sagte Holzner weiter.

Viel Zuspruch für #allemalneschichtmachen

Der Aufruf der Notärztin erntete auf der Bilderplattform bis Montag mehr als 30.000 Gefällt-Mir-Angaben. „Danke Caro, den Nagel auf den Kopf getroffen, Augen geöffnet, auf den Punkt gebracht“, pflichtete eine Nutzerin beispielsweise bei. „Wir sind alle mütend und erschöpft und machen weiter. Danke für ihre klaren Worte“, schreibt ein anderer User. Ein weiterer Zuspruch lautet: „Mit dieser Aktion sind die zu weit gegangen! Ihr Ärzte, Pflegekräfte gebt täglich alles, seit täglich am Limit, riskiert selbst euer Leben! Wir sitzen alle in einem Boot und dann wird so geschossen.

Unter dem Motto #allesdichtmachen hatten Dutzende Film- und Fernsehschauspieler, darunter Jan Josef Liefers, Heike Makatsch und Volker Bruch, mit Clips die Corona-Politik der Bundesregierung kommentiert. Nach heftiger Kritik und teils Zustimmung aus dem rechten Lager distanzierten sich einige Teilnehmer später von ihren Beiträgen. Ob Schauspielkollegen oder prominente Stimmen aus der Branche: Viele empfinden die sarkastische und uneingeordnete Art und Weise als problematisch.

Kritik und Unverständnis für #allesdichtmachen

Die Videos waren am Donnerstag veröffentlicht worden und thematisierten etwa die politische Entscheidungsfindung oder die Kontaktbeschränkungen in der Pandemie. Kritik und Unverständnis folgten prompt. Rasch ließen einige der Künstler ihre Clips löschen und entschuldigten sich, andere erklärten ihre Absichten.

Am Samstag wurde auf der Seite allesdichtmachen.de ein Statement veröffentlicht. „Die Gruppe hat keinen ‚Kopf’ und keine gemeinsame Stimme“, hieß es darin. “Das Projekt ist kollektiv entstanden, die Gruppe ist divers, die Meinungen gehen auch hier auseinander.“ Einige der Teilnehmer hatten sich noch am Freitag distanziert. Ulrike Folkerts etwa bezeichnete ihre Beteiligung als Fehler. “Ich habe einen Fehler gemacht, ich war naiv genug zu glauben, mit meinen Kollegen*innen ein gewinnbringendes Gespräch in Gang zu bringen. Das Gegenteil ist passiert“, schrieb die “Tatort“-Kommissarin auf Instagram.

So äußert sich Jan Josef Liefers

Ihr “Tatort“-Kollege Jan Josef Liefers äußerte sich nachdenklich. “Ich finde auch den Punkt interessant, dass vielleicht Ironie wirklich ein ungeeignetes Mittel ist“, sagte er in der Radio Bremen-Talkshow “3nach9“. Er sehe aber eine Lücke: “Es gibt nicht nur auf der Seite der Erkrankten Trauer und Leid, sondern auch auf der Seite derer, die unter diesen Maßnahmen inzwischen nun wirklich anfangen zu leiden, die sehe ich nicht so richtig vertreten.“ Im Statement auf der Seite hieß es: “Wir leugnen auch nicht Corona oder stellen in Abrede, dass von der Krankheit Gefahr ausgeht und Menschen daran sterben. Vielmehr geht es uns um die Corona-Politik, ihre Kommunikation und den öffentlichen Diskurs, der gerade geführt wird.“