Das Schaufenster der Eberhardhöfe zeigt zutiefst Menschliches. Ex-Fußballer Kevin Kurányi macht mit: Hosen runter gegen Armut und für Sanitäranlagen in Entwicklungsländern. Ein neuer Gastro-Ort in Stuttgart startet mit einer Hilfsaktion.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Wo Sie, liebe Leserinnen und Leser, in Ihrer Zeitung blättern oder in Ihrem Smartphone die Neuigkeiten abrufen, ist ganz allein Ihnen überlassen. In vielen Fällen ist der Leseort ein Örtchen. Als still gilt dieses und ist für Menschen in unseren Breiten eine Selbstverständlichkeit. Auch wenn’s viele nicht so einstufen würden: Die Toilette ist ein Kulturgut! Dies wird einem so richtig klar, wenn man wie Michael Fritz, der Mitgründer der Hilfsaktion Viva con Agua, weltweit unterwegs ist. Den Reichtum, dass der Mensch seinen eigenen Dreck mittels Wasserspülung und tiefergelegten Rohrbiegungen rasch loswerden kann, kennen viele Länder immer noch nicht.

 

„Man darf schmunzeln, sollte das Thema aber ernst nehmen“

Micha Fritz , der sich „Konzeptionsaktivist“ nennt, lässt die Hosen runter. Sein KumpelKevin Kurányi, der frühere Fußballstar, der seit vielen Jahren die Initiative für sauberes Wasser unterstützt, macht gleich mit. Die beiden geben dem Begriff „öffentliche Toilette“ eine völlig neue Bedeutung – denn sie sitzen im Schaufenster der künftigen Gastronomie in den Eberhardhöfen öffentlich auf der Schüssel. Es ist internationaler Welttoilettentag, den die Vereinten Nationen seit 2013 ausrufen.

„Man darf kurz darüber schmunzeln, aber dann sollte man das Thema ernst nehmen“, sagt Micha Fritz. Die Corona-Krise verdeutliche die Notwendigkeit von Hygiene. Vom Menschenrecht, die eigenen Fäkalien sauber verschwinden zu lassen, seien weltweit über vier Milliarden weit entfernt, jeder zweite Erdbewohner also. Die schlechten sanitären Bedingungen sorgen in armen Ländern für todbringende Krankheiten.

Für zehn Stunden hockt er auf der Schüssel

Die Scheibe ist ein guter Virusschutz. Fritz, der Multikanalmanager von Viva con Agua, der mehrere Netzplattformen mit Infos und Spendenaufrufen bespielt, hat dahinter sein Büro eingerichtet. Für zehn Stunden wird er hier nun sitzen. Seine „Berufsbezeichnung“ erklärt der 37-Jährige so: „Ein Konzeptionsaktivist kreiert und gestaltet Konzepte so, dass Menschen soziales Engagement so einfach und sexy wie möglich gemacht wird.“ Da kann man schon mal nackte Männerbeine ausstellen. Nach Kevin Kurányi haben auch noch der frühere Torwart Timo Hildebrand und Serkan Eren von Stuttgart helps ihr Schüsselerlebnis unweit des Tagblattturms. Die Unterhose bleibt natürlich an. Passanten trauen oft ihren Augen nicht, wenn sie auf der Eberhardstraße ahnungslos laufen und plötzlich sehen, was ein zutiefst privater Vorgang ist. Fritz lässt einen Schrei aus. Hey! Draußen steht der frühere Rektor von ihm! In Ludwigsburg hat der 37-Jährige 2002 das Abitur gemacht, ehe er nach Hamburg gezogen ist.

„Bánh mì ist weltweit der Megatrend“

Es läuft gut für Wirt Marcel Wanek, 31, der das Rennen um die Gastro im Neubau der Design Offices mit historischer Fassade gewonnen hat. Zum Tag der Toiletten stimmt er die Stadt auf das ein, was er vorhat: Genießen, spenden, über Kunst streiten – alles soll möglich sein in dem 432 Quadratmeter großen Erdgeschoss, das als neuer Treff für Stuttgarts Kreative mit Ausstellungen, Influencer-Meetings, Benefizessen und Street-Food im Inneren geplant ist. Zunächst geht’s nur mit einem To-Go-Service los, der nächste Woche startet. Wanek setzt auf Bánh mì, auf vietnamesische Sandwiches, die „weltweit der Megatrend sind“, wie der 31-Jährige sagt. Dazu gibt’s „Bubbles“, also Schaumwein und Weinschorle.

Für die Benefiz-Aktion mit dem Verein Viva Con Aqua, der vor 15 Jahren im Fußball-Subkultur-Umfeld von St. Pauli entstanden ist und heute neben Wasser auch Klopapier der Marke Goldeimer (Slogan: Rassismus ist für’n Arsch) für den guten Zweck verkauft, bekam Wanek die Erlaubnis zur Sondernutzung vom Ordnungsamt. Die DJs Galv und Friction legen im Schaufenster auf.

Eine Polizeistreife kommt und kontrolliert

Man hört ein bisschen was davon auf der Eberhardstraße. Ein Sponsor hat die ersten 100 Sandwiches finanziert, die daher kostenlos verteilt werden. Wirt Wanek ist gut damit beschäftigt, die Passanten zum Gehen zu bringen. Es darf kein Menschenauflauf entstehen. Die Abstände müssen stimmen. Spät am Abend kommt eine Polizeistreife und kontrolliert. Alles in Ordnung!

Micha kann die Hosen wieder hochziehen. Eine lange Sitzung ist beendet. Die Botschaft ist angekommen: Auf dem Klo sind zwar alle Menschen gleich – doch viel zu viele haben noch immer keines.