Die Welt ruinieren oder sie retten? Um nicht weniger geht es in „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“. Im Schauspielhaus Stuttgart ist Michael Endes höchst aktuelle Geschichte in einer kurzweiligen Inszenierung für Menschen ab sechs Jahren zu erleben.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Schon wieder fünf vor zwölf? Immer noch fünf vor zwölf? Ganz klar: Michael Endes Geschichte vom bösen Zauberer Beelzebub Irrwitzer und seiner teuflischen Tante, der Geldhexe Tyrannja Vamperl, die vor Ablauf des Jahrs die Welt so richtig ruinieren wollen und in der Silvesternacht ein klein wenig unter Zeitdruck geraten, ist aktueller denn je. Dass „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“ nun also das Stuttgarter Schauspielhaus erobert, hat nicht nur damit zu tun, dass der 1995 verstorbene Michael Ende im November 90 Jahre alt geworden wäre. Patricia Beneckes Inszenierung hätten sich genauso auch ein paar „Fridays for Future“-Demonstranten ausdenken können, vielleicht ein bisschen weniger bunt, ein bisschen inhaltlich radikaler.

 

Doch das Familienstück will Menschen ab sechs Jahren ansprechen und tut das, indem es neben der Umweltproblematik auch dem leicht verständlichen Grundkonflikt zwischen Gut und Böse genügend Raum gibt. Wo die Fronten verlaufen, wird bereits im Foyer vor Aufführungsbeginn geklärt: Da gibt es Katzenohren und Krähenschnäbel für alle, und so haben es Reinhard Mahlberg als koboldhafter Zauberer, der mit beeindruckendem Bass das Böse predigt, und Gabriele Hintermaier als seine hinterhältige Tante, die aus den Untaten des Neffen gut gelaunt Profit schlägt, nicht nur mit Kater Maurizio und der Krähe Jackie, den beiden Spionen vom Hohen Rat der Tiere, zu tun.

Die Welt retten oder die Welt ruinieren? Klar, auf welcher Seite das sehr junge Premierenpublikum am Sonntagabend steht, auch wenn es seine erste Freitagsdemo wohl noch vor sich hat und die Glasampullen im Zauberlabor auf der Bühne verführerisch in allen Farben blinken. „Die Zukunft der Welt liegt in unseren Pfoten“, macht ein Zitat von Kater Maurizio in fetten Lettern im ausgelegten Programmzettel jedem klar, was auf dem Spiel steht.

Bestechlicher Kater trifft auf hellwache Krähe

Trotz des hohen Einsatzes bleibt es 90 Minuten lang im Schauspielhaus-Publikum verblüffend leise. Jannik Mühlenweg in der Rolle des fettgefutterten knuffigen Katers Maurizio, der nur ungern und fast zu spät aus seiner bequemen Bestechlichkeit aufwacht, sowie Celina Rongen als übel gerupfte, aber hellwache Krähe Jackie verkörpern ein ungleiches, witziges Tierpaar, das sich prächtig ergänzt und mit außerordentlichem Charme zum Mitfiebern einlädt. Naiv und tapsig von Begriff der eine, die andere quecksilbrig und klug, müssen sie sich doch zusammenraufen, um die Umkehrwirkung des Wunschpunsches, den Irrwitzer mit seiner Tante zusammenbraut, rechtzeitig zu verhindern. Denn nur so werden die guten Wünsche, mit denen die beiden Bösewichte ihre eigentlichen Absichten vor den Tierspionen tarnen, nicht ins Gegenteil verkehrt.

Tolle Darsteller in grandioser Spiellaune, aber auch jede Menge Hingucker in der von Monika Frenz mit vielen Effekten ausgestatteten Bühne und den comichaft überzeichneten Kostümen von Gwendolyn Bahr, die zum Beispiel Tyrannja mit einem schrillen Anzug zur monströsen Goldbiene aufbläst, binden wirklich alle Aufmerksamkeit. Von den Holzwänden in Irrwitzers Labor künden Zettel und plüschige Köpfe von den Pflanzen- und Tierarten, die der Zauberer bereits erfolgreich ausgerottet hat. Die Schauspielerin Amina Merai scheint mit ihren in grellem Orange leuchtenden Plateau-Hufen auch optisch direkt aus der Hölle zu kommen: Als Bote Maledictus Made ist sie der Abgesandte von Irrwitzers finsterem Chef und freut sich mit kieksigen Jauchzern auf ihre Beförderung. Denn dass der Zauberer trotz Ultimatum sein Jahressoll an vergifteten Flüssen und anderen Katastrophen nicht mehr schafft, scheint von Beginn an klar.

Unkaputtbare Vorlage

Auch das ist klar wie zum Schluss der Wunschpunsch: Michael Endes Roman ist mit starken Dialogen, mit seinen symbolhaft, aber höchst lebendig gezeichneten Charakteren und seinem leider nach wie vor aktuellen Thema eine ideale, geradezu unkaputtbare Bühnenvorlage. „Es ist vielleicht von allen Büchern, die ich bis jetzt geschrieben habe, das spaßigste, obgleich es eigentlich ein sehr ernsthaftes Thema behandelt, nämlich unsere ganze Umweltzerstörung“, sagte der Autor nach Erscheinen seines Romans, der sein letzter sein sollte, in einer Fernsehsendung. Und Patricia Benecke macht alles richtig mit einer überaus kurzweiligen Umsetzung, sie lässt sich von Endes Anregungen inspirieren, gibt den Großen mit Wortspielen Lachfutter und den Kleinen ordentlich was auf Augen und auch ein paar Songs auf die Ohren.

Als es nach einem abenteuerlichen Ausflug in qualmende Tiefen und eisige Höhen tatsächlich fünf vor zwölf ist und höchste Zeit für die lügengeniale Wunschliste, braucht es keine Aktualisierungen im von Michael Ende ausgebreiteten Katalog. Von Armut bis Artensterben, von Klimawandel bis Krieg, von Gift bis Gier: Hat sich wirklich nichts geändert seit 1989? Immerhin: Mancher kleine Zuschauer reist im Lastenrad an, am Fahrradständer herrscht Überfüllung, aber auch die Dringlichkeit der Umweltproblematik ist neu. Eines hätte auch Michael Ende gefreut: Dass heute nicht fiktive Tiere auf der Bühne, sondern echte Kinder auf der Straße die Welt retten, ist eine Wendung ganz im Sinn des Autors, der mit Momo bereits 1973 erfolgreich ein Mädchen gegen die grauen Herren des Kapitalismus ins Feld schickte.

Aufführungen bis zum 25. Dezember