Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Es geht in den Verhandlungen immer wieder um unangenehme Details. Über die hat Michael Kempter am 17. Dezember 2009 auch schon Volker Roth, dem DFB-Schiedsrichter-Chef, berichtet. Nachdem Amerell kurze Zeit später als Schiedsrichtersprecher zurücktritt, ist der Fall für den DFB erledigt. Aber nicht für Manfred Amerell, der es sich fortan zur Lebensaufgabe macht, die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu bekommen. Er verklagt Michael Kempter auf Verleumdung, üble Nachrede, Schmerzensgeld und versucht, ihn unglaubwürdig zu machen. Dabei tauchen auch SMS von Kempter an Amerell auf, die den Eindruck entstehen lassen können, der junge Kollege habe nichts gegen die Annäherungen gehabt.

 

„Mir kam es so vor, als habe Manfred Amerell entsprechende SMS gesammelt, um für ein Verfahren vorbereitet zu sein. Aber es stimmt, ich habe ihm geschmeichelt, wollte anfangs besonders nett zu ihm sein“, sagt Michael Kempter, der vermutlich im Sommer bei der WM in Brasilien pfeifen würde, wenn er nicht seine passive Rolle aufgegeben hätte. „So ist es mir aber lieber“, sagt Michael Kempter, dessen Geschichte den DFB dazu veranlasste, das Schiedsrichtersystem zu reformieren.

Jetzt bekommt jeder Unparteiische einen Coach zur Seite gestellt. Nach einem Jahr wechselt dieser Ansprechpartner, um keine Abhängigkeiten entstehen zu lassen. „Genau so jemanden hätte ich gebraucht“, sagt Michael Kempter, der mittlerweile in der Oberliga pfeift. Die Begründung für die Zurückstufung des DFB, der sich während der Amerell-Affäre insbesondere in Person des damaligen Präsidenten Theo Zwanziger hinter ihn gestellt hatte, kennt er nicht. Die scheint ihm aber auch nicht so wichtig zu sein.

Er will wieder in die Bundesliga zurück, sich auf diesem Weg aber nicht mehr selbst verleugnen. „Die Schiedsrichterei ist nicht mehr das Wichtigste in meinem Leben“, sagt Michael Kempter. „Ich glaube, dass mich der Fall reifer gemacht hat.“

Wie in einer griechischen Trgödie

Richtig. Und dann erzählt Michael Kempter auf der gemächlichen Fahrt nach Degerloch von seinem Aufstieg im Turbotempo. Trotzdem klingt er bescheiden und nachdenklich, wenn er darüber spricht, als Schiedsrichter immer der Erste, immer der Jüngste, immer der Beste gewesen zu sein. Mit 12 Jahren besteht er die Schiedsrichterprüfung, so etwas hatte es in Deutschland noch nicht gegeben, wie alles andere, das jetzt folgt. Mit 18 pfeift er in der Regionalliga, ist gleichzeitig Assistent in der zweiten Bundesliga. „Gute Leistungen waren die einzige Möglichkeit, um mir in diesem Alter bei den Spielern Respekt zu verschaffen.“ Mit 23 leitet er sein erstes Bundesligaspiel. Ja, stolz sei er da wohl schon ein bisschen gewesen. Aber daran kann er sich kaum noch erinnern. Der Stolz ist offenbar von anderen Gefühlen in den Hintergrund gedrängt worden: von Verzweiflung, Scham, Hilflosigkeit und Einsamkeit.

Michael Kempter ist 17, als Manfred Amerell in sein Leben tritt und auch nicht mehr verschwinden will.

Ganz bewusst beginnt Kempter mit diesem Thema schon auf der Zahnradbahnfahrt nach oben, wo es doch um positive Erlebnisse gehen soll. Seine Erfolge, sagt Michael Kempter, seien eben auch eng mit der Person Amerell verknüpft. „Ich habe ihm viel zu verdanken, er hat mich gefördert, mir wichtige Tipps gegeben“, sagt der Bankkaufmann aus Sauldorf im Kreis Sigmaringen, der auch dank Amerell in die weite Fußballwelt katapultiert wird.

Die Wendemarke in Degerloch ist erreicht, langsam geht es dem Tiefpunkt in Michael Kempters Leben entgegen. „Die Karriere verlief zu steil“, sagt er, „meine Entwicklung als Persönlichkeit hat nicht mit meiner sportlichen Entwicklung Schritt halten können.“ Es sei wohl zu viel auf einmal gewesen, was damals alles auf ihn eingeströmt sei. Ausverkaufte Stadien, Millionen von Fernsehzuschauern, aber trotzdem allein. Seine Leistungen auf dem Platz leiden allerdings nicht unter der völlig neuen Stresssituation, in die Michael Kempter unvorbereitet gerät. Aber er leidet und sucht eine Bezugsperson.

Er findet sie ihn Manfred Amerell.

So beginnt die tragische Geschichte, in der Grenzen nicht klar gezogen werden , in der es um Abhängigkeiten geht, um seelische Verletzungen und irgendwann um einen nicht enden wollenden Rechtsstreit, bei dem beide von Beginn an schon als Verlierer feststehen.

„Ich hätte ihm die Rote Karte zeigen müssen. Aber ich wollte meine Karriere nicht gefährden, das war ein großer Fehler“, erinnert sich Michael Kempter an die Übergriffe des 36 Jahre älteren Manfred Amerell. Es soll mit der Hand auf dem Oberschenkel angefangen haben, die irgendwann auch an intime Stellen gewandert ist. Michael Kempter will darüber nicht sprechen. Die Prozesse vor großem Publikum waren ihm schon unangenehm genug. Über eine mündliche Verhandlung vor dem Landgericht in Hechingen merkte die Lokalzeitung an, dass es einen solchen Medienrummel im Ort zuletzt 1991 bei der Umbettung der Gebeine von Friedrich dem Großen von Schloss Hohenzollern nach Potsdam gegeben habe.

Der DFB zieht Konsequenzen

Es geht in den Verhandlungen immer wieder um unangenehme Details. Über die hat Michael Kempter am 17. Dezember 2009 auch schon Volker Roth, dem DFB-Schiedsrichter-Chef, berichtet. Nachdem Amerell kurze Zeit später als Schiedsrichtersprecher zurücktritt, ist der Fall für den DFB erledigt. Aber nicht für Manfred Amerell, der es sich fortan zur Lebensaufgabe macht, die Deutungshoheit über die Geschehnisse zu bekommen. Er verklagt Michael Kempter auf Verleumdung, üble Nachrede, Schmerzensgeld und versucht, ihn unglaubwürdig zu machen. Dabei tauchen auch SMS von Kempter an Amerell auf, die den Eindruck entstehen lassen können, der junge Kollege habe nichts gegen die Annäherungen gehabt.

„Mir kam es so vor, als habe Manfred Amerell entsprechende SMS gesammelt, um für ein Verfahren vorbereitet zu sein. Aber es stimmt, ich habe ihm geschmeichelt, wollte anfangs besonders nett zu ihm sein“, sagt Michael Kempter, der vermutlich im Sommer bei der WM in Brasilien pfeifen würde, wenn er nicht seine passive Rolle aufgegeben hätte. „So ist es mir aber lieber“, sagt Michael Kempter, dessen Geschichte den DFB dazu veranlasste, das Schiedsrichtersystem zu reformieren.

Jetzt bekommt jeder Unparteiische einen Coach zur Seite gestellt. Nach einem Jahr wechselt dieser Ansprechpartner, um keine Abhängigkeiten entstehen zu lassen. „Genau so jemanden hätte ich gebraucht“, sagt Michael Kempter, der mittlerweile in der Oberliga pfeift. Die Begründung für die Zurückstufung des DFB, der sich während der Amerell-Affäre insbesondere in Person des damaligen Präsidenten Theo Zwanziger hinter ihn gestellt hatte, kennt er nicht. Die scheint ihm aber auch nicht so wichtig zu sein.

Er will wieder in die Bundesliga zurück, sich auf diesem Weg aber nicht mehr selbst verleugnen. „Die Schiedsrichterei ist nicht mehr das Wichtigste in meinem Leben“, sagt Michael Kempter. „Ich glaube, dass mich der Fall reifer gemacht hat.“

Wie in einer griechischen Trgödie

Und dieser Fall findet dann ein Ende, das fast schon griechische Tragödienausmaße besitzt. Am 11. Dezember 2012 wird Manfred Amerell tot in seiner Münchner Wohnung aufgefunden. Herzversagen. „Ich habe mich schlecht gefühlt, als ich davon erfuhr. Mir hat seine Familie leid getan, seine sympathische Frau, die beiden Töchter“, sagt Michael Kempter. „Ist das Gespräch jetzt zu Ende?“, will er wissen, als die Zahnradbahn wieder am Marienplatz angekommen ist. Nein, es geht in die Verlängerung – im Café Kaiserbau nebenan. Dort erzählt Michael Kempter dann von Menschen, die sich um ihn gekümmert haben, nachdem die Medien vom Schiedsrichterskandal Wind bekommen hatten und ihn das unangenehme Gefühl beschlich, isoliert zu sein.

„Ich bin dankbar, dass mir meine frühere Religionslehrerin geschrieben und mich gefragt hat, ob sie mir helfen kann. Bei ihr konnte ich mir alles von der Seele reden“, sagt Michael Kempter, der auch seine Chefs der Sparkasse Pfullendorf-Meßkich nennt und die Anwältin Leonie Frank und den Anwalt Christoph Schickhardt. „Das sind Leute, die mir auch menschlich unheimlich weitergeholfen haben. Sie haben mir klar gemacht, dass ich noch alles vor mir habe, aber auch, dass ich nicht alles richtig gemacht habe und mich jetzt erst einmal wieder hinten anstellen muss.“ Geholfen habe aber auch das Gespräch mit Bischof Wolfgang Huber, der als Mediator in der Affäre vorgesehen war, was aber von Manfred Amrell abgelehnt wurde. Mindestens ebenso wichtig für Kempter waren zwei Schiedsrichterkollegen, die beim DFB angaben, von Manfred Amerell auch sexuell belästigt worden zu sein. „Ich bin mir aber sicher, dass es noch mehr von uns so ergangen ist.“

Dann packt Michael Kempter seine Karteikarten, die Ordnung ins Gefühlschaos bringen sollen, wieder ein. Dabei sagt er, dass er jetzt endlich wieder daheim im Ort unbeschwert den schmutzigen Donnerstag feiern kann – zum ersten Mal nach so vielen Jahren.