In Marbach gab es vor einem dreiviertel Jahr eine Schlägerei, wobei sich ein junger Mann den Schlagstock eines Polizisten schnappte und auf einen Beamten eindrosch. Vor Gericht gibt es bei diesem Fall jedoch einige Rätsel.

Marbach/Neckar - Das schreit alles zum Himmel“, meinte die Vorsitzende Richterin einer Jugendkammer des Landgerichts Heilbronn, als ein Zeuge große Erinnerungslücken einräumte. In der Nacht zum 1. Juli 2018 war es in der Marbacher Fußgängerzone zu einer Schlägerei gekommen, in deren Folge eine Polizeibeamter mit seinem eigenem Schlagstock geschlagen worden sein soll. Ein Zeuge sollte jetzt erklären, warum ihn einer der Hauptangeklagten in jener Nacht gebeten hatte, mit seinem Smartphone Fotos von dessen Rücken zu machen, der offenbar einige Blessuren aufwies. Sein Freund „wollte gar nicht darüber reden“, sagte der 21-jährige Zeuge – und erntete verwunderte Rückfragen von Staatsanwalt und Richterin.

 

Ruhestörung vor dem Eiscafé

Ein Nachbar hatte an jenem 1. Juli nach 1 Uhr die Polizei wegen einer Ruhestörung vor dem Eiscafé beim Drogeriemarkt gerufen. Als der männliche Beamte die Personalien feststellen wollte, nahm der damals 21-Jährige Reißaus, wurde von ihm verfolgt und auf den Boden geworfen. Ein 28-jähriger Mitangeklagter schlug den Polizisten. Der 21-Jährige nahm den Schlagstock und prügelte auf den Polizisten ein, der in Schutzhaltung unter Fußtritten auf dem Boden verharrte und nach eigener Aussage Todesängste ausstand. Erst als die Kollegin die Schusswaffe zog, ließen die inzwischen geständigen Täter von ihm ab.

Unklar ist noch, ob die beiden 21-jährigen Mitangeklagten ins Geschehen eingegriffen haben. Das Gericht tut sich schwer, bei der Suche nach verwertbaren Zeugenaussagen. Was die Fotos von seinem Rücken betrifft, löste der Hauptangeklagte das Rätsel selbst auf. Sein Handy sei defekt gewesen, er habe jemanden gebraucht, der seine Verletzungen festhält, bevor er Tags darauf zum Arzt gehen wollte. Zuvor hatte die Richterin gemutmaßt, dass der junge Mann mithilfe seines Freundes die Bilder per E-Mail an den Bekannten weitergeleitet habe, „um zu zeigen, welche Schlachten man sich mit der Polizei geliefert hat“.

Empfehlung: Von öffentlichen Orten fernhalten

Rätsel gaben den Richtern verdächtige WhatsApp-Beiträge auf, die von der Polizei auf Handys von möglicherweise beteiligten Personen gefunden worden waren. Ein 19-Jähriger, der angab, früher mit drei der Angeklagten Fußball gespielt zu haben, hatte in einem Chat „Bahnhof Bundespolizei“ gepostet, nachdem in einer Chatgruppe jemand empfohlen hatte, sich von öffentlichen Orten fernzuhalten. „Jungs, die drehen durch und wollen alle mitnehmen. Am besten, ihr löscht alle Nachrichten und deaktiviert WhatsApp für einige Tage“, lautete eine andere Durchsage, die ebenso den Verdacht der Polizei weckte wie der Chatbeitrag eines 21 Jahre alten Zeugen, der, wie er meinte, aus Wut über die zwischenzeitliche Verhaftung eines Freundes geschrieben hatte: „Ich hoffe, der nächste Bulle stirbt, diese Hurensöhne.“

Der Wirt wird ebenfalls vernommen

Ebenfalls vernommen wurde der Wirt des Lokals, in dem sich die Angeklagten vorher zu dessen Geburtstagsfeier aufgehalten hatten. „Niemand war eigentlich komplett abgeschossen“, sagte er zum Grad des Alkoholkonsums der Gäste. Allerdings habe er bei 40 Personen auch nicht den Überblick über jeden gehabt. Seine Einschätzung, wonach er gehört habe, die Polizei habe die Jungs „angepöbelt“, habe er von dem Passanten. „Warum sollten sich die Polizisten mit einer Gruppe von zehn Halbstarken anlegen?“ fragte die Richterin und fügte hinzu: „Wer hat denn hinterher die Verletzungen gehabt?“ Das Verfahren wird fortgesetzt.