Nach der Entscheidung, bei Wendlingen die Neubaustrecke und den Bestand mit zwei Gleisen zu verbinden, zeigt die Bahn, wie diffizil sich das Vorhaben gestaltet. An anderen Abschnitten im Albvorland wird die Strecke erkennbar.

Stadtentwicklung/Infrastruktur : Christian Milankovic (mil)

Wendlingen - Es ist nicht ganz leicht, in Jens Hallfeldts Reich den Überblick zu wahren. Der Bauingenieur verantwortet für die Bahn an der Neubaustrecke nach Ulm den Abschnitt im Albvorland. Dazu gehört an dessen westlichem Ende eine besonders komplexe Passage, bei der die Hochgeschwindigkeitstrasse von Stuttgart kommend in kurzer Folge den Neckar, eine Straße sowie die bestehende Neckartalbahn von Plochingen (Kreis Esslingen) nach Tübingen überquert. Zudem muss ein Abzweig von der Neckartalbahn zur Neubaustrecke, die sogenannte Güterzuganbindung, die Autobahn 8 unterqueren. Kurz danach verschwinden die Gleise ein wenig östlich davon in dem mehr als acht Kilometer langen Albvorland-Tunnel.

 

Seit Ende der vergangenen Woche weiß der 48-Jährige, dass es das noch nicht alles ist. Denn die Partner des Bahnprojekts Stuttgart-Ulm haben sich darauf verständigt, dass der Abzweig von der Schnellfahrstrecke in Richtung Tübingen zwei statt wie bisher geplant nur ein Gleis bekommt. Für Hallfeldt bedeutet das, noch eine weitere Brücke über den Neckar zu schlagen und einen kurzen Tunnel unter den Gleisen der Strecke nach Ulm hindurchzugraben. Da diese aber 2022 in Betrieb gehen soll und mit 250 Kilometer pro Stunde vorbeirauschende Züge und sich drehende Bagger nicht vertragen, muss Hallfeldt die zusätzlichen Arbeiten in einem sehr kurzen Zeitraum bewerkstelligen – und unter beengten Verhältnissen. „Der Platz ist da, aber es ist nicht viel Platz“, kommentiert er die Verhältnisse vor Ort.

Kritik an der Ausbau-Entscheidung

Wenn es nach den Kritikern des Bahnprojekts geht, bringt der nun beschlossene zusätzliche Ausbau im Neckartal allerdings wenig. Die auf den Weg gebrachte sogenannte Große Wendlinger Kurve mache Stuttgart 21 „nur etwas weniger schlecht“, moniert das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21. Die Kritiker verweisen darauf, dass auch weiterhin keine direkten Fahrten von Ulm über die Neubaustrecke in Richtung Tübingen möglich seien. Zudem fordern sie, dass die bisher eingleisig geplante Güterzuganbindung in Richtung Plochingen ebenfalls ein zweites Gleis erhält.

Auf welch engem Raum die Bautrupps schon an der eingleisigen Lösung werkeln, zeigt ein Blick auf die aktuelle Baustelle, wo gerade unter der A 8 ein Tunnel gegraben wird. Während der gesamten Bauzeit rollt über die Fernstraße ein nicht enden wollender Strom aus Autos und Lastwagen. Zwischen deren Reifen und der Oberkante der Tunnelröhre sind streckenweise gerade mal zwei Meter Erdreich.

Behutsam unter der Autobahn 8 hindurch

Entsprechend vorsichtig müssen die Arbeiter agieren. In Ein-Meter-Schritten graben sie sich im Untergrund vorwärts, während über Tage ein sensibles Messsystem die Autobahn überwacht. Sollten sich Veränderung an der Verkehrsader einstellen, greift ein dreistufiges Alarmsystem. Bei geringen Folgen werden die Bauverantwortlichen herbeizitiert, bei etwas stärkeren Auswirkungen geht eine Meldung an das Regierungspräsidium, und im Extremfall wird der Verkehr auf der Autobahn eingestellt. Damit es dazu nicht kommt, legen die Mineure ein gemächliches Tempo an den Tag. Sie werden das Licht am Ende der gerade einmal 173 Meter langen Röhre wohl erst in drei Monaten sehen.

So kurz der Tunnel auch ist, so wichtig ist er für das Gesamtprojekt. Denn solange Stuttgart 21 nicht fertig gestellt ist, stellt der Tunnel die Verknüpfung des bestehenden Schienennetzes mit der Neubaustrecke dar. Nicht vor 2021 werden die Gleisbauer anrücken. Bis dahin bleibt für Hallfeldts Team noch eine Menge Arbeit. Im Sommer dieses Jahres sollen die beiden je 120 Meter langen Tunnelbohrmaschinen, die sich derzeit für den Albvorlandtunnel durch den Untergrund wühlen, wieder an das Tageslicht kommen.