Immer mehr Wähler in Schottland und Nordirland wollen lieber unabhängig sein als außerhalb der EU.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Lonson - Die Konservativen sind nicht die einzigen Sieger bei diesen Unterhauswahlen. Fernab Westministers, im hohen Norden, gratuliert man einander in den Reihen der Schottischen Nationalpartei (SNP). Von den 59 Unterhaussitzen, die in Schottland vergeben werden, eroberte die linksnationale SNP 47  – elf mehr, als sie sich bei den letzten Wahlen im Juni 2017 gesichert hatte.

 

Für die SNP, die auch die schottische Regierung stellt, ist dieser Erfolg von besonderer Bedeutung. Denn sie verfügt nun nicht nur über eine größere Delegation in Westminster. Schottlands Regierungschefin Nicola Sturgeon zieht aus der Tatsache, dass ihre Partei mehr als drei Viertel aller schottischen Unterhaussitze einheimste, auch den Schluss, dass die zentrale Forderung der SNP nach Unabhängigkeit Schottlands in ihrer Heimat befürwortet wird. Sie betrachtet ihren Wahlerfolg als Mandat für ein erneutes Unabhängigkeitsreferendum – wahrscheinlich schon im nächsten Jahr. 

Johnson schließt ein Referendum aus

Das letzte Referendum dieser Art vor fünf Jahren hatten die Nationalisten mit 45 Prozent zu 55 Prozent verloren. Aber die Aussicht auf einen harten Brexit, wie er Premier Boris Johnson vorschwebt, hat die Lage verändert. Neuesten Umfragen zufolge tendiert die Zahl derer, die sich ein selbstbestimmtes Schottland vorstellen können, gegen 50 Prozent. Ein traditionell europafreundliches Land wie Schottland, beteuerte Sturgeon am Freitag, müsse zumindest das Recht haben, sich einem Boris-Johnson-Brexit zu entziehen. „Ich sage ja nicht, dass jeder Wähler, der gestern SNP gewählt hat, deshalb auch für Unabhängigkeit ist.“ Aber der Zuspruch zeige, „dass wir die Entscheidungsfreiheit haben sollten über unsere eigene Zukunft“. Von „einer Tory-Regierung, die wir nicht gewählt haben, müssen wir uns nichts sagen zu lassen“. Und auf keinen Fall müsse man „als Nation ein Leben außerhalb der EU akzeptieren“, nur weil England das verlange. 

Noch vor Weihnachten will Sturgeon Johnson um grünes Licht für eine neue Schottland-Volksabstimmung bitten. Der Londoner Premier hat das freilich sofort ausgeschlossen. Sträubt sich Johnson beharrlich, könnte Sturgeon im Extremfall ein Referendum ohne offizielle Genehmigung veranstalten. Dann droht eine Verfassungskrise. 

Auch in Nordirland bewegt sich etwas

Die Wahlen haben auch jenseits der Irischen See, in Nordirland, neue Entwicklungen angestoßen. Nordirlands Unionisten, die nun in Westminster nicht mehr viel zu sagen haben, sind zugleich daheim von zehn auf acht Mandate geschrumpft. Auf ein Mandat mehr, nämlich auf neun, kommen die beiden „nationalistischen Parteien“ – die Republikaner-Partei Sinn Fein und die katholisch-sozialdemokratische SDLP. Die Sitzverteilung ist bemerkenswert. Erstmals in der Geschichte Nordirlands verfügen Republikaner und irische Nationalisten (die Katholiken) über mehr Mandate als die Unionisten (die Protestanten). Die Gewichte in der Provinz verlagern sich. Da angesichts des erwarteten harten Brexits selbst manche Unionisten sich inzwischen irische Pässe besorgt haben und weniger Berührungsängste mit „dem Süden“, der irischen Republik, haben, drängt man bei Sinn Fein immer mehr auf ein Referendum zur Wiedervereinigung Nordirlands mit Irland. Besorgte britische Beobachter fürchten schon, dass es wegen der Brexit-Politik Londons gleich an zwei Stellen potenzielle Bruchstellen im Königreich gibt.