Seit 14 Jahren knobeln und basteln junge Menschen erfolgreich im Schülerforschungszentrum Bad Saulgau. Nun übergibt der Leiter Rudolf Lehn das Amt an seinen Wunschnachfolger, den Physiklehrer Tobias Beck.

Stuttgart - Der 14. Januar 2000 war ein großer Tag für Rudolf Lehn. An diesem Tag wurde in Bad Saulgau das erste deutsche Schülerforschungszentrum eröffnet. Rudolf Lehn, Physiklehrer am dortigen Störck-Gymnasium, hatte jahrelang darauf hingearbeitet und das Konzept entwickelt. Seitdem hat er das Zentrum geleitet und ist für Generationen von Schülern weit mehr als ein Lehrer gewesen. Er hat sie motiviert, eigenverantwortlich zu forschen, eigenen Fragen aus Physik, Chemie, Technik und Mathematik nachzugehen und sich in Wettbewerben kritischen Prüfungen zu stellen. Die Flut von Preisen, die seine Schützlinge gewannen, sei es bei „Jugend forscht“ oder internationalen Wettbewerben, belegt den Erfolg des Konzepts.

 

Nun gibt es einen Wechsel beim Schülerforschungszentrum Südwürttemberg (SFZ): Am heutigen Mittwoch wird Lehn, Jahrgang 1950, in den Ruhestand verabschiedet. Er freue sich, sagt der Physiker, der als Seiteneinsteiger zum Lehrerberuf kam, „dass ich nun im Ehrenamt Physik machen kann“. Außerdem möchte er seinen Nachfolger unterstützen. Der ist, daran lässt Lehn keinen Zweifel, sein Wunschnachfolger: Tobias Beck, Physiklehrer am Gymnasium im oberschwäbischen Ochsenhausen, ist ebenfalls Seiteneinsteiger. Nach dem Physikstudium an der Universität Stuttgart lernte er das Journalistenhandwerk bei der Stuttgarter Zeitung, bevor er in seine Heimat Biberach als Lehrer zurückkehrte.

Beck, Jahrgang 1977, ist Überzeugungstäter wie Lehn. Schon als Schüler schloss er sich einer Physik-AG an – bei einem Lehrer namens Rudolf Lehn. Physik zu vermitteln ist für ihn Beruf und Freizeitbeschäftigung. Beck tritt seit Jahren als Wissenschaft-Entertainer mit der Truppe der Physikanten auf, die 2012 „für ihre einzigartige Art und Weise, Physik und Unterhaltung in verschiedenen Shows zu kombinieren“, die Medaille für naturwissenschaftliche Publizistik der Deutschen Physikalischen Gesellschaft bekommen hat. 2014 ist Beck mit dem Helmholtz-Lehrerpreis für besonders engagierte Projektbetreuer geehrt worden.

Erste Plätze beim Wettbewerb „Jugend forscht“

Was treibt Menschen wie Lehn und Beck an? Auf diese Frage verweist Lehn auf Maryam Mirzakhani. Die 1977 geborene Mathematikerin der kalifornischen Stanford University hat im August als erste Frau die Fields-Medaille bekommen, die als Nobelpreis für Mathematik gilt. In ihrer Heimatstadt Teheran hat sie sich neben der Schule mit Aufgaben aus der Mathematik-Olympiade für dieses Fach begeistert. Oder Lehn erzählt von dem Schüler, der vor Jahren aus dem Kosovo nach Herbertingen kam und dort zum Problemfall wurde. „Er hat nur Schwierigkeiten gemacht. Dann schickte ihn jemand zum SFZ. Er wechselte von der Hauptschule zum technischen Gymnasium und von dort zum Studium mit einem Stipendium der Kreissparkasse an die ETH Zürich.“ Oder er erzählt von Daniel Weiß, der bei seiner Lehre in einem Metallbetrieb in Reutlingen sah, welche Schwierigkeiten die Kollegen beim WIG-Schweißen (Wolfram-Inertgas-Schweißen) hatten. Er entwickelte eine Verbesserung, für die er ein Patent erhielt, dank der Hilfe eines Patentanwalts, der das SFZ ehrenamtlich unterstützt. Er gewann 2011, mit 21 Jahren, den Arthur-Fischer-Erfinderpreis und errang erste Plätze beim Landes- und Bundeswettbewerb „Jugend forscht“.

„Es gibt Kinder, die sagen mir: Herr Lehn, ich habe einen richtigen Drang, ein Problem zu knacken.“ Lehn ist überzeugt: „Da müssen wir dran! Wir stehen mit aller Welt in Konkurrenz. Wir haben die guten Leute.“ Dass es diesen Drang gebe, habe er in seiner Anfangszeit als Lehrer bemerkt, als er sich „sehr stark um die schwachen Schüler gekümmert“ habe. „Ich habe gemerkt, dass auch starke Schüler eine Förderung brauchen.“

Als er außerhalb des Unterrichts Physikkurse anbot, bekam er zuerst Nachfragen, ob er da Nachhilfe gebe. „Aber es hat in Saulgau sehr schnell funktioniert. Ich habe eine Riesenunterstützung gehabt, vor allem vom Schulleiter.“ Die schwierigen Aufgaben der Physik-Olympiade, die die damalige Sowjetunion veranstaltete, haben Lehn fasziniert. „Das war für mich eine Dauer-Lehrerfortbildung.“

Das Forschungszentrum hat inzwischen acht Standorte

Aus der Physik-Olympiade ist das International Young Physicists’ Tournament (IYPT) geworden – ein Wettbewerb, dessen Aufgaben auch Rudolf Lehn nicht immer lösen kann, wie er freimütig bekennt, bei dem die Schüler aus dem SFZ aber immer wieder auf vorderen Plätzen landen. Da gilt es zum Beispiel, streng physikalisch zu klären, warum man auf trockenem Sand weicher läuft als auf nassem, oder warum ein Draht, der, mit Gewichten beschwert, über einen Eisblock gelegt wird, sich zwar langsam durch das Eis schneidet, dabei aber keinen Schnitt hinterlässt, denn das Eis schließt sich über ihm wieder. Das IYPT fand 2012 in Bad Saulgau statt – nach Teheran (2011), Wien (2010) und Tianjin in China (2009).

Heute hat das SFZ acht Standorte: außer Saulgau Ulm, Tübingen, Tuttlingen, Überlingen, Friedrichshafen, Wangen und Ochsenhausen. Vergleichbare Einrichtungen entstanden in anderen Bundesländern. Dank vieler, vor allem örtlicher Sponsoren hat das SFZ in Saulgau eigene Räume. Dort können Jungforscher, von denen viele aus dem Umland anreisen, sogar übernachten, wenn es abends einmal spät geworden ist.

Knapp sechs Lehrerstellen finanziert das Land für die acht Standorte, 250 000 bis 300 000 Euro. Etwa die gleiche Summe bringen jedes Jahr Privatleute, Firmen, Forschungseinrichtungen und Stiftungen auf. Etwa hundert freiwillige Unterstützer, vom Studenten bis zu pensionierten Fachleuten aus Unternehmen, tragen das SFZ mit. Aus der Größe, so Lehn, ergebe sich eine neue Aufgabe für den Pensionär Lehn: „Ich möchte Tobias Beck darin unterstützen, dass er nicht zu sehr in Managementaufgaben gedrängt wird. Eine andere Struktur ist nötig.“

Vorbild ist die Nachwuchsförderung im Fußball

Denn Beck soll ein pädagogisches Konzept für eine Erweiterung des SFZ umsetzen können, das Lehn unterstützt: Beck sei überzeugt, „dass wir niederschwelliger diesen Drang, Probleme zu knacken, in der Schule und außerschulischen Einrichtungen wecken können“. Dazu wolle er nicht erst mit Zehntklässlern anfangen, sondern früher, im Alter von 11 bis 13 Jahren – natürlich „niederschwellig“, um erst einmal Neugier zu wecken.

Becks Vorbild ist die Sportförderung. Nach der Fußball-WM 2014, so schreibt er in einem Konzeptpapier, sei in Deutschland auch „ein stiller Star“ mitbejubelt worden: „die funktionierende Nachwuchsarbeit des Deutschen Fußballbunds“. So gut wie dort funktioniere die Nachwuchsförderung im Mint-Bereich nicht (die Abkürzung steht für: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik). Am größten Nachwuchswettbewerb „Jugend forscht“ versuche sich nicht einmal einer von tausend Jugendlichen. Die Folge: „Bei internationalen Schülerwettbewerben wie dem IYPT, der Physik-Weltmeisterschaft für Schüler, haben deutsche Teams gegen die Gruppen aus China, Singapur oder Südkorea seit Jahren kaum mehr eine Chance.“ Und: „Ob ein Kind den Weg an ein SFZ und in die Wettbewerbe findet, ist meistens mehr Zufall als gezielter Förderprozess.“

Beck hat in Ochsenhausen bewiesen, dass es anders geht – mit Fragestellungen wie der, welche Art von Nudel am besten die Soße hält und warum das so ist, mit alltagsnahen Problemen und Forschungsideen, die Lust auf Wissenschaft machen. Im letzten Jahr, verrät Rudolf Lehn, habe Beck seine Schüler zu 16 „Jugend forscht“-Projekten motiviert.