Ein Drama wie dieses ist in der Region kein Einzelfall: Ein junger Mann sticht nach einem Hausstreit in Böblingen auf zwei Polizeibeamte ein und verletzt sie schwer. Erst mehrere Polizeikugeln können ihn stoppen.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Böblingen - Die Haustür hat drei Einschusslöcher abbekommen, zwei in der Scheibe, einer im Rahmen. Am Türgriff klebt ein blutiger Handabdruck, daneben drei Klingeln, von denen nur eine mit einem Namen beschriftet ist. Kriminaltechniker sichern am Freitag in der Bunsenstraße in Böblingen die Spuren einer dramatischen Auseinandersetzung in der Nacht. Ein 24-jähriger Bewohner ist mit einem Messer auf eine Polizeistreife losgegangen, und die hat den Angreifer niedergeschossen. Bilanz: Drei Schwerverletzte.

 

Eine Nachbarin hat erst an ein Feuerwerk gedacht. Ein paar Häuser weiter feiert sie im Garten mit Gästen, als sie kurz vor Mitternacht Knallkörper hört. Doch es sind Schüsse. Eine Polizeistreife war am Donnerstag um 23.50 Uhr zu einem Mehrfamilienhaus gerufen worden. Angehörige eines 24-Jährigen hatten um Hilfe gerufen, weil dieser nicht zu beruhigen war.

Mehrere Stiche gegen Hals und Kopf

„Die Beamten sind beim Betreten des Hauses von einem Bewohner unvermittelt mit einem längeren Messer angegriffen worden“, sagt Polizeisprecher Peter Widenhorn. Der 27-jährige Polizistin erlitt am Kopf und im Halsbereich mehrere Stichverletzungen, ihr 21-jähriger Streifenkollege wurde schwer an der Hand verletzt. Die Beamten wehrten sich mit mehreren Schüssen aus ihren Dienstwaffen.

Das Mehrfamilienhaus gegenüber einem Karosseriebetrieb und einem Discounter wird nach den Schüssen schnell von zahlreichen Polizeiautos und Rettungsfahrzeugen angesteuert. Die Gäste der Gartenparty der Nachbarin sitzen fest, ihre Autos sind von den Einsatzfahrzeugen blockiert. Ein Notarzt versorgt den 24-Jährigen, ehe er mit lebensgefährlichen Verletzungen in ein Krankenhaus eingeliefert wird. Nach einer Operation stabilisiert sich sein Zustand. Auch die schwer verletzten Polizisten liegen im Krankenhaus.

Erinnerungen an die Gaisburger Brücke

Spätestens seit dem Blutdrama auf der Gaisburger Brücke im Stuttgarter Osten, das sich im August zum 30. Mal jährt, wissen die Streifenbeamten um die Gefährlichkeit ihres Berufs in scheinbar alltäglichen Situationen. Ein Schwarzfahrer hatte im August 1989 mit einem Messer zwei Polizisten getötet, drei weitere schwer verletzt, ehe er von drei Polizeikugeln tödlich getroffen wurde. Dass die Gefahr seither nicht geringer geworden ist, zeigt die zunehmende Zahl an Übergriffen gegen Polizeibeamte. 2018 waren es erneut zehn Prozent mehr – das Innenministerium berichtet von landesweit 4767 Fällen.

Zuletzt hat ein Beamter Anfang Mai in Stuttgart-Heumaden seine Dienstwaffe abgefeuert. Ein verdächtiger Autodieb war vor einer Kontrolle geflüchtet. Die Polizeikugel traf die Felge, verletzt wurde niemand. Der Beamte musste Rechenschaft ablegen: „Jede Schussabgabe wird auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft“, sagt Staatsanwaltssprecher Heiner Römhild.

Am Ende prüft der Staatsanwalt

Zu Recht geschossen oder nicht? Eindeutig in Notwehr handelte ein 56-jähriger Beamter, der im September 2017 in Degerloch von einem 23-Jährigen in einen Ringkampf auf der Straße gezwungen wurde – und sich mit einem Schuss ins Bein des Angreifers befreite. Mit Schüssen mussten zwei Beamte auch im Juli 2016 einen Messerangriff eines 33-Jährigen vor einer Tiefgarage in Bad Cannstatt stoppen. Manchmal gibt es auch Tote. Ein Einbrecher im April 2017 in Pleidelsheim etwa. Oder ein mit Schwert bewaffneter 29-Jähriger, der im Mai 2016 in Filderstadt an einer Polizeikugel starb. Oder ein 36-Jähriger, der 2013 in Stuttgart-Ost Schüsse auf sich provozierte.

Schießen oder nicht schießen? Immer wieder müssen Beamte in Sekundenbruchteilen entscheiden. In Böblingen hatte kurz nach Ostern ein Beamter die Waffe schon gezückt, als am Bahnhof ein Randalierer in die Hosentasche griff. Anfang Januar attackierte in Winterbach (Rems-Murr-Kreis) ein psychisch kranker Mann einen Polizisten mit einer Feinsäge und wurde niedergeschossen.

Was trieb den 24-Jährigen in Böblingen? Polizeisprecher Widenhorn spricht von einem „massiven psychischen Ausnahmezustand“. Der Mann sei nicht als gewalttätig bekannt gewesen, die Beamten seien überrascht worden. Die Staatsanwaltschaft will ihn in einer Einrichtung unterbringen – sobald er haftfähig ist.