Der Verfassungsrechtler und Finanzexperte Paul Kirchhof hat mal wieder einen radikalen Plan – diesmal will er den gigantischen Altschuldenberg Deutschlands abbauen.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Berlin - Vor sieben Jahren hat ihn der SPD-Wahlkämpfer Gerhard Schröder abschätzig als „den Professor aus Heidelberg“ tituliert. Heute nennt der Beamtenbund-Chef Peter Heesen den 69-jährigen Juristen Paul Kirchhof „den großen Steuerrechtsexperten Deutschlands“. Anfang 2011 hat er ihn beauftragt, ein Gutachten zum Abbau der öffentlichen Schulden zu erstellen. „Die Altschulden ersticken unseren Staat“, betont Heesen. Die Handlungsfähigkeit der Politik gehe verloren.

 

Ursprünglich sollte das Gutachten im Herbst 2011 vorliegen. Nun ist daraus das gut 300-seitige Buch „Deutschland im Schuldensog“ geworden – und eine bisher einzigartig umfassende Herangehensweise an das Thema. Die ersten 5000 Exemplare seien schon an alle maßgeblichen Politiker der Republik versandt worden, sagt Heesen bei der Präsentation in Berlin. Das Münchner Ifo-Institut solle die neuen Vorschläge durchrechnen und volkswirtschaftlich untermauern. Zudem peilt er eine Konferenz im Herbst mit den Kirchen und dem Handwerk an. Kirchhof erwartet eine „konstruktive Debatte im Sinne des Aufbruchs“. Er sei optimistisch, dass der Beginn eines neuen Denkens eingeleitet werde. Die vorab informierte Kanzlerin Angela Merkel – so ist zu hören – sei freilich „not amused“ gewesen, weil eine verstärkte Diskussion ums Sparen den Druck auf sie verstärken könnte.

Der Schuldenberg beträgt mehr als zwei Billionen Euro

Laut Statistischem Bundesamt haben Bund, Länder und Gemeinden bis 2012 einen Gesamtschuldenstand von vorläufig 2,042 Billionen Euro angehäuft. Die Lasten drücken vor allem auf dem Bund (1286 Milliarden), weniger auf den Ländern (623 Milliarden) und den Kommunen (133 Milliarden). Seit neun Jahren schon übersteigt die Gesamtschuld Deutschlands den zulässigen Grenzwert von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – mittlerweile beträgt sie 81 Prozent des BIP. Deutschland müsste demnach fast 800 Milliarden Euro zurückzahlen, um diese Grenze zu unterschreiten. Dies sei bei einem Gesamtsteueraufkommen von rund 530 Milliarden Euro (Stand 2010) nicht möglich, sagt Kirchhof.

Das Verfassungsrecht und das Europarecht verpflichteten vorrangig auf die Stabilität des Geldes. Dennoch werde auch die Neuverschuldungsgrenze von drei Prozent nach dem Maastrichtvertrag missachtet. „Wir leben in einer Situation fast ohne Recht“, klagt Kirchhof. Wäre es beachtet worden, gäbe es die Schuldenkrise nicht. „Wir müssen zur Stabilität des Rechts und der Währung zurückkehren“, mahnt er.

„Der Abbau fordert Sondermaßnahmen“

Sein Rezept ist – wieder einmal – radikal: „Der Abbau der gewaltigen Staatsschulden fordert Sondermaßnahmen“, betont der Finanzrechtler. So will er alle Staatsschulden „in einer eigenen Organisation sichtbar machen“, um das öffentliche Bewusstsein für die Dringlichkeit der Tilgung zu stärken. Ferner sollen alle nominalen Haushaltszuwächse durch Steuereinnahmen für die Schuldentilgung reserviert werden. Ausgabenerhöhungen seien nur noch möglich, wenn andernorts gleichermaßen gespart werde.

Zum langfristigen Lastenabbau liegt es Kirchhof zufolge nahe, die Erträge bestimmter Steuern wie der Erbschaftsteuer ausschließlich für die Verminderung der Schulden zu reservieren. Auch der Solidaritätszuschlag könnte so eine neue, langfristige Bestimmung erhalten. Zur Erhöhung des Steueraufkommens kalkuliert Kirchhof zudem die derzeit diskutierte Finanztransaktionssteuer ein, die eine Gerechtigkeitslücke bei den indirekten Steuern schließen und die Mitverursacher der Schuldenkrise zur Verantwortung ziehen werde. Deutlich rügt er, dass der Finanzmarkt keine Steuern zahlen muss.

Vermögensabgabe bei mehr als einer Million Euro

Zu eigen macht sich der Gutachter auch die Gewerkschaftsforderung nach einer einmaligen Vermögensabgabe in Höhe von rund zwölf Prozent auf Vermögen von mehr als einer Million Euro. Diese könne allerdings auf zwölf Jahre verteilt werden, ergänzt er. Kirchhof erhofft sich dadurch Erträge von 100 bis 120 Milliarden Euro. Diese Vermögensabgabe solle jedoch nur dem Bund zustehen, während die Vermögensteuer den Ländern zugutekommt.

Eine solche einmalige Abgabe sei verfassungsgemäß, hatte jüngst der Rechtswissenschaftler Joachim Wieland im Auftrag von Verdi festgestellt. Auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) spricht sich für einmalige Vermögensabgaben zum Abbau der Staatsschulden aus. Finanzhilfen sollen Kirchhof zufolge nur noch auf Gegenseitigkeit gewährt werden. Das heißt: wenn Unternehmen oder Staaten saniert sind, sollten sie – neben der Rückzahlung der Darlehen – an der Sanierung des Staates mitwirken. Beispielsweise könne eine sanierte Bank einen Zinsnachlass gewähren oder auf Kreditrückzahlung verzichten, und ein sanierter Automobilhersteller könne kostenlos 10 000 Autos für die Polizei liefern, schlägt Kirchhof vor.

Für unzulässig hält er eine faktische Schuldentilgung durch gezielte Inflationspolitik, wie sie derzeit betrieben wird. Dies bürde die Schuldenlast vor allem den Geldeigentümern auf und zerstöre das Vertrauen ins Geld – die Grundlage der Wirtschaft.