In Stuttgart und der Region ist die Zahl der überschuldeten Verbraucher deutlich gesunken. Zu schaffen macht vielen vor allem die Kurzarbeit, der Wegfall von Minijobs und Niedriglöhne.

Stuttgart - In Zeiten der Corona-Pandemie ist alles anders – da macht auch die Bilanz der Zahlen zu den überschuldeten Haushalten in Stuttgart und der Region keine Ausnahme. Hier verzeichnet das Unternehmen Creditreform bei seinem Schuldneratlas 2020, dass die Sparquote stark zugenommen, die Überschuldungsquote dagegen leicht abgenommen hat. Damit folgt die Stadt dem allgemeinen Deutschlandtrend.

 

In der Region Stuttgart (Kreise Böblingen, Esslingen, Göppingen, Ludwigsburg, Rems-Murr-Kreis sowie die Stadt Stuttgart) ist die Zahl der überschuldeten Verbraucher deutlich gesunken (minus 3600 Personen, minus 1,9 Prozent). Zum Stichtag 1. Oktober 2020 wiesen 184 106 erwachsene Einwohner der Region Stuttgart Überschuldungsmerkmale auf (2019 waren es noch 187 674 Personen). In Baden-Württemberg (minus ein Prozent) sowie in Deutschland insgesamt (minus ein Prozent) nahm die Zahl der Überschuldungsfälle ebenfalls insgesamt ab.

Wie ist die Abnahme der Fälle zu erklären?

„Wer nicht reisen oder konsumieren kann, der spart eben“, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch vom Unternehmen Creditreform Stuttgart. Und er ergänzt: „Ich bezweifle, dass dies ein nachhaltiger Effekt ist. Zudem hätten wir ohne die Corona-Unterstützungsmaßnahmen rund 400 000 mehr Fälle von Überschuldung. Daher ist alles nur aufgeschoben. Wir rechnen mit einer Verdopplung der Überschuldung.“

Was sind die Auslöser von Schulden?

Schuldnerberater sehen in diesem Zusammenhang immer wieder die gleichen Faktoren. Eine Analyse seit dem Jahr 2008 ergab, dass in der Regel Arbeitslosigkeit, Trennung, Scheidung, Tod, Erkrankung, Sucht, Unfall, unwirtschaftliche Haushaltsführung, eine gescheiterte Selbstständigkeit und längerfristiges Niedrigeinkommen Auslöser für Überschuldung sind. Besonders ins Blickfeld geraten dabei im Jahr 2020 die Faktoren, bei denen starke Zuwächse zu verzeichnen sind. Neben Erkrankung (plus 59 Prozent) und Missmanagement ist vor allem das längerfristige Niedrigeinkommen eine große Schuldenfalle. Hier gab es einen Zuwachs von 179 Prozent. Als Hintergrund nennt Hantzsch, die Transformation von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft: „Prekäre Beschäftigungen haben stark zugenommen.“

Was drückt das aktuelle Netto-Einkommen?

Folgende fünf Ursachen schmälern speziell in der Coronakrise das Haushaltseinkommen: Zu 40 Prozent ist Kurzarbeit der Grund. Zu 15 Prozent liegt es daran, dass der derzeitige Job nicht ausgeübt werden kann. Zu 17 Prozent ist es der Verlust des Arbeitsplatzes. In zwölf Prozent sind es andere Gründe. Und in 16 Prozent aller Fälle liegt die Einkommenseinbuße daran, dass der Nebenjob nicht mehr ausgeübt werden kann. Auch hier könnte es in Zukunft eine Verschärfung der Situation geben, so Hantzsch: „Wir wissen nicht, wer aus der Kurzarbeit wieder zurückfindet.“

Wer ist stark von Überschuldung betroffen?

Es trifft nach Aussage der Experten eher Menschen, die älter als 50 sind. „Das ist ein Besorgnis erregender Trend, denn Ältere haben schlechtere Perspektiven aus dieser Lage wieder herauszukommen.“ Auch Reiner Saleth von der Stuttgarter Schuldnerberatung sieht diesen Trend hin zur Altersarmut mit Sorge: „Wir haben in Stuttgart einen starken Zuwachs an Überschuldung bei den über 70-Jährigen. Wenn die Nebenjobs wegfallen und die Rente nicht reicht, wird es kritisch.“ 3,1 Prozent der Personen im Land in dieser Altersgruppe sind als überschuldet anzusehen (2019: 3 Prozent). In der Stadt Stuttgart liegt diese Quote mit 4,6 Prozent nochmals deutlich höher.

Wo drückt der Schuh in Stuttgart?

Die Detailanalyse der Stadt Stuttgart erfolgte wie im Vorjahr auf Basis der 23 Stadtbezirke. Nur einer dieser Bezirke verzeichnete einen Anstieg der Schuldnerquote: Münster (plus 0,1 Prozentpunkte). Mit 8,9 Prozent liegt die Schuldnerquote in diesem Stadtteil aber weiterhin unter dem Durchschnitt von Stuttgart. Abgenommen hat die Schuldnerquote in Mitte (minus 0,6 Prozentpunkte), gefolgt von Hedelfingen und Zuffenhausen (je minus 0,4 Prozentpunkte). In der Stadt Stuttgart insgesamt war ein Anstieg um 0,6 Prozent zu verzeichnen. Gegen den Trend kam es in Untertürkheim zu einem Rückgang der weichen Überschuldungsfälle (minus 5 Prozent). In Zuffenhausen und Mitte wurden weniger weiche Überschuldungsfälle registriert. Die Zahl der Verbraucher mit einer hohen Überschuldungsintensität entwickelte sich deutlich zurück; vor allem in Degerloch, Sillenbuch, Möhringen und Vaihingen. In der Stadt insgesamt war die Zahl der von harter Überschuldung Betroffenen um 4,8 Prozent rückläufig. In den meisten Fällen ist die Überschuldungssituation der privaten Verbraucher aber verhärtet.

 

Was verrät der Blick in die Zukunft?

Die Corona-Pandemie führt nach Ansicht von Creditreform-Geschäftsführer Fabian Strahler zu einer Polarisierung von Einkommen und Vermögen. Obere soziale Schichten(„Gutverdiener“) können Einkommensausfälle besser kompensieren oder üben zugleich Ausgabenvorsicht und Konsumzurückhaltung. Die unteren sozialen Schichten haben dagegen kaum Reserven und oftmals eine negative Sparquote. „Auch die Anpassung der Verbraucherinsolvenzverfahren oder ein möglicher Bearbeitungsstau haben die Insolvenzentwicklung im Jahresverlauf 2020 gebremst. Die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode, mit der überschuldete Firmen und Privatpersonen bereits nach drei Jahren der Insolvenz entkommen können, dürfte zu einem zusätzlichen Anstieg der harten. Überschuldungsfälle führen. Für viele Verbraucher bleibt die Überschuldungsampel vor diesem Hintergrund auf rot.“ Ob und wie hart eine Insolvenzwelle das Land trifft, ist laut Strahler von mehreren Faktoren abhängig. Derzeit sei jedoch keine verlässliche Prognose möglich. So lange unklar ist, wie lange der Lockdown bestehen bleibe, ob die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verlängert werde und wie sich die Arbeitslosenzahlen entwickeln, sei jede Einschätzung nur eine Momentaufnahme.

Was muss gesellschaftlich passieren?

Strahler markiert auch eine Reihe von Querschnittsaufgaben, um einer Verschuldung vorzubeugen. Dazu zählen die Förderung von sozialem Wohnungsbau, eine höhere und gezielte Bildungsinvestition zur Förderung von Finanzkompetenz, der Ausbau der Insolvenz- und Schuldnerberatung sowie die Förderung einer verantwortungsbewussten Kreditvergabe, so der Creditreformchef.