Wer trägt die Schuld an dem Unfall beim Nachtumzug in Eppingen, bei dem eine junge Frau verbrüht wurde? Nach dreitägiger mühsamer Beweisaufnahme verurteilt das Heilbronner Landgericht einen 33-Jährigen.

Baden-Württemberg: Eberhard Wein (kew)

Heilbronn/Eppingen - Im so genannten Hexenkesselprozess hat das Heilbronner Amtsgericht nach dreitägiger mühsamer Spurensuche sein Urteil gesprochen. Demnach muss der 33-jährige Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung eine Geldstrafe von 6600 Euro bezahlen. Der Richter erklärte, er hege keine Zweifel daran, dass der Mann als Mitglied einer Hexengruppe aus dem kleinen Kraichtaler Ortsteil Bahnbrücken (Kreis Karlsruhe) eine 18-jährige Zuschauerin beim diesjährigen Nachtumzug in Eppingen (Kreis Heilbronn) aus Spaß gepackt und über einen dampfenden Wassertopf gehalten habe. Dabei war die Frau in den Kessel gerutscht und hatte sich bis zu den Kniekehlen verbrüht. Sie musste monatelang behandelt werden. Sie werde lebenslang unter den kosmetischen Folgen leiden, sagte der Richter.

 

Der großgewachsene Angeklagte mit Vollbart und lichtem Haar nahm das Urteil sichtlich schockiert zur Kenntnis. Immer wieder schüttelte er den Kopf und hielt die Hände vors Gesicht. Im Prozess hatte er wenig gesagt, aber immer seine Unschuld beteuert. Mit 110 Tagessätzen zu 60 Euro blieb das Gericht knapp unter der Forderung von Staatsanwaltschaft und Nebenklage, die 120 Tagessätze zu 65 Euro für angemessen gehalten hatten.

Verteidigung spricht von Skandalurteil

Der Verteidiger des Mannes hatte Freispruch gefordert. Er sprach von einem Skandalurteil. Schon in seinem Plädoyer hatte er gegenüber dem Gericht Druck aufgebaut und angekündigt, einen etwaigen Schuldspruch vom Landgericht überprüfen zu lassen. „Mein Mandant ist nicht derjenige, der die schlimmen Folgen für die Nebenklägerin zu verantworten hat“, sagte er und ging hinter der Anklagebank auf und ab – wie in einem US-Film. Der Polizei warf er einseitige Ermittlungen, der Staatsanwaltschaft Behördenwillkür und dem Gericht Verurteilungseifer vor. Dabei habe kein einziger Zeuge gesehen, dass sein Mandant die Frau über den Kessel gehalten habe. Zudem legte er kurz vor Ende der Beweisaufnahme Fotos von zwei weiteren Kesseln vor, die andere Narrengruppen bei dem Umzug mit sich geführt haben sollen.

1800 Teilnehmer waren beim Umzug dabei

In den Aussagen der Freunde des Mädchens, die an jenem schicksalhaften Samstagabend im Februar dieses Jahres ebenfalls am Eppinger Marktplatz gestanden und die Szene verfolgt hatten, machte der Verteidiger zahlreiche Unstimmigkeiten aus. Bei dem Umzug seien unter 1800 Teilnehmern in 77 Gruppen 900 Hexen gewesen. Jede einzelne käme als Täter in Frage. Allerdings deutete er auch die Möglichkeit eines Komplotts an. Vielleicht seien die Aussagen der Freunde deshalb so ungenau, „weil sie sich selbst etwas vorzuwerfen haben“. Er erinnerte an die Aussage einer Rettungssanitäterin vor Gericht. Als sie die Schwerverletzte versorgte, hätten die Freunde immer wieder gesagt: „Die hätten uns doch sagen müssen, dass das heiß ist.“ Möglicherweise hätten die Freunde selbst einen Spaß machen wollen und die Frau über den Kessel gehoben.

Ein Freund trieb die Frau in die Arme der Hexen

Die Geschädigte hatte vor Gericht angegeben, sie sei von einem Freund aus Jux in die Arme der Hexen geschoben worden. „Nehmt sie mit“, habe der Freund gesagt. Dann hätten sie die Hexen weggetragen. Sie habe sich gewehrt und gezappelt. Beschreiben konnte sie die Maskenträger nicht. Mehrere Zeugen, darunter die zwölfjährige Patentochter der Frau, sprachen von einer großen Hexe mit Fellmantel, Schal, dunkler Hose und Plastikmaske. Auf einem Foto, das nur wenige Minuten vor dem Vorfall aufgenommen wurde, ist zu sehen, wie diese Hexe ihre Hand am Kessel hat. Er habe keinen Zweifel daran, dass es sich dabei um den Angeklagten handle, sagte der Richter. Eine Stunde nach dem Vorfall waren die Bahnbrücker Hexen von der Polizei auf dem Kauflandparkplatz beim Zusammenpacken angetroffen worden. Dabei trug der 33-Jährige noch seinen Fellmantel.

Die vom Verteidiger monierten Unstimmigkeiten in den Aussagen der Zeugen wunderten ihn nicht, sagte der Richter. „Es ist bekannt, dass der Zeuge das unzuverlässigste Beweismittel ist, das es gibt.“ Im vorliegenden Fall seien die Bedingungen besonders schlecht gewesen: „Es war dunkel, es war laut, es war eng. Es waren Masken und Kostüme im Spiel.“ Dennoch würden damit nicht alle Aussagen wertlos. Für den Angeklagten spreche sein makelloses Führungszeugnis. Gegen ihn spreche aber sein Verhalten nach dem Vorfall. „Sie haben versucht, sich im Schutze der vermeintlichen Anonymität der Folgen zu entziehen.“