Insgesamt 1,5 Milliarden Euro hat der Bund in der Coronakrise zusätzlich für die Digitalisierung der Schulen bereitgestellt. Damit sollten insbesondere Kinder aus sozial schwachen Familien die nötige Ausrüstung erhalten. Warum wird nun trotzdem auf Präsenzunterricht gedrängt?

Berlin - Die Corona-Infektionslage bleibt mehr als angespannt, trotzdem plädieren die Kultusminister der Länder für eine schrittweise Rückkehr zum Präsenzbetrieb. Nachdem sich die baden-württembergische Amtsinhaberin Susanne Eisenmann (CDU) bereits in den vergangenen Tagen dafür stark gemacht hatte, hat sich am Montag die gesamte Kultusministerkonferenz mit Verweis auf „die soziale Teilhabe der Kinder und Jugendlichen“ für ein Stufenmodell ausgesprochen, bei dem Grundschüler und Abschlussklassen zuerst wieder in den Klassenzimmer unterrichtet werden könnten, „sollten es die Situationen in den einzelnen Ländern zulassen“. Der Beschluss des Gremiums ist als Empfehlung für die Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an diesem Dienstag zu sehen – mit einigen Länderchefs ist er dem Vernehmen nach auch schon abgestimmt.

 

Aber sollte als Lehre aus den Schulschließungen im vergangenen Frühjahr nicht eine Digitalisierungsoffensive dafür sorgen, dass Onlineunterricht problemlos möglich wird und auch Kinder aus einkommensschwachen Familien über die dafür notwendige Ausstattung verfügen? Sollte die aktuelle Debatte im Vorfeld des Bund-Länder-Treffens nicht längst überflüssig geworden sein?

Zusätzlich 1,5 Corona-Milliarden für die Schulen

Die alleinige Zuständigkeit für den Bildungsbereich liegt bei den Ländern, auf Initiative von Merkel und SPD-Chefin Saskia Esken wurden im Sommer und Herbst dennoch drei Bundesprogramme aufgelegt – als Zusatzvereinbarungen zum Digitalpakt Schule, mit dem 2019 erstmals die strikte Trennung der Zuständigkeiten aufgebrochen wurde. Zu den damals vereinbarten fünf Milliarden Euro an Bundesmitteln sind im vergangenen Corona-Jahr weite 1,5 Milliarden Euro hinzugekommen.

Im Juli wurde beschlossen, jeweils 500 Millionen Euro für digitale Endgeräte für Lehrkräfte wie für die Schüler zur Verfügung zu stellen, deren Eltern sich kein Tablet oder einen Laptop leisten können. Die Länder sollten mindestens ein Zehntel des Betrages obendrauf legen. „Weil auch die fehlende Ausstattung der Schulen weiterhin ein Problem darstellt und die Mittel des Digitalpakts bislang nur sehr zögerlich abgeflossen sind“, so Esken am Montag gegenüber unserer Zeitung, „haben wir im Koalitionsausschuss zudem die Bedingungen für den Digitalpakt erleichtert und weitere 500 Millionen Euro für die Administration der schulischen digitalen Ausstattung zur Verfügung gestellt - der digitale Hausmeister.“ Im Gegenzug verpflichteten sich die Länder erneut, mehr für die Lehrerfortbildung zu tun. Die Sozialdemokratin ist fürs Erste zufrieden mit dem Erreichten: „Die genannten zusätzlichen Mittel von 1,5 Milliarden Euro sind nun durchgängig auf dem Weg. Insofern dürfen wir erwarten, dass es beim jetzt im zweiten Shutdown notwendigen Distanzlernen zumindest auf der technischen Seite besser klappt.“

Die digitale Ausstattung der Schulen hat sich verbessert

In den Ländern fällt die Einschätzung ähnlich positiv aus. „Bei der digitalen Ausstattung unserer Schulen sind wir in den vergangenen Monaten vorangekommen“, sagte ein Sprecher des Kultusministeriums in Stuttgart am Montag auf Anfrage: „Baden-Württemberg hat die Bundesmittel verdoppelt, damit auch Kinder, die zuhause kein Gerät zur Verfügung haben, am Onlineunterricht teilnehmen können – rund 300 000 Laptops und Tablets sind mit diesem Geld bereits angeschafft worden.“

Aus dem bayerischen Kultusministerium heißt es, man habe mit 77,8 Millionen Euro vom Bund und 30 Millionen Euro aus Landesmitteln den Bestand an Notebooks von 50 000 auf 140 000 erhöht, um diese an einkommensschwache Familien auszugeben. In Berlin wurden im Dezember 20800 neue Tablets verteilt. Aus Sachsen heißt es, die neu zur Verfügung stehenden Fördermittel seien „bereits komplett bewilligt“ worden.

Schwierigkeiten gibt es dennoch. Eine Umfrage aus dem Dezember an Berliner Schulen hat beispielsweise ergeben, dass meist die nötige Internetbandbreite für den Onlineunterricht fehlt: Zwar haben 90 Prozent der Schulen dort Netzanschluss, der aber meist nur ins Schulsekretariat führt und zu zwei Dritteln mit weniger als 50 Megabit pro Sekunde gerade einmal den Anforderungen eines Privathaushalts entspricht. Und auch die Zusatzvereinbarung zur Anschaffung von Laptops für Lehrer ist noch gar nicht von allen Bundesländern unterzeichnet worden. Unter der Vereinbarung zu den IT-Administratoren gibt es zwar Unterschriften, die Umsetzung beginnt aber erst. Man sei aber zumindest „seitens des Landes startklar“, heißt es in Stuttgart.

„Digitale Infrastruktur ist nicht alles“

Digitale Versäumnisse sind nach Angaben eines Sprechers aber auch nicht der Grund für Eisenmanns Drängen zur Rückkehr in die Klassenzimmer. „Eine mangelnde technische Ausstattung ist nicht das Argument dafür, dass wir für möglichst viel Präsenzunterricht insbesondere an der Grundschule plädieren.“ Es sei vielmehr so, „dass das selbststrukturierte Lernen ein Problem für viele Kinder und Jugendliche ist und auch die sozialen und psychischen Folgen einer anhaltenden Isolation nicht ignoriert werden sollten. Gerade bei Grundschülerinnen und Grundschülern ist digitales Lernen im Grunde nicht möglich. Und auch in allen anderen Altersklassen ist der Lernerfolg im Präsenzunterricht mit Abstand am größten“. Die digitale Infrastruktur sei eben „nicht alles“: „Der Erfolg des eigenständigen Lernen zuhause hängt auch davon ab, wie Eltern ihre Kinder unterstützen können. Hier kann unabhängig von der verfügbaren Ausstattung eine soziale Ungleichheit entstehen.“

SPD-Chefin Esken plädiert dennoch dafür, „dass auch die Schülerinnen und Schüler, die nicht im Präsenzunterricht an der Schule lernen können, zuverlässig Unterricht erhalten.“ Die Pandemie dürfe keinen „Corona-Jahrgang“ hervorbringen, in dem die Bildungschancen „weiter auseinanderfallen, weder nach der Eignung der Lehrkräfte noch nach dem Geldbeutel der Eltern oder der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommunen“.