Die eindringlichen Schilderungen erschütterten die Stuttgarter Stadträte: Die Situation, wie sie sich derzeit in den fünften und sechsten Klassen des Gymnasiums zeigt, löste eine hoch emotionale Debatte über schief gelaufene Bildungspolitik aus.

Stuttgart - Fünftklässler, die überfordert und verzweifelt sind und ihre Klassenarbeiten zerreißen – und Lehrer, die gesundheitlich an der Grenze sind: Diese Situation schilderte Holger zur Hausen, geschäftsführender Leiter der Stuttgarter Gymnasien, im Schulbeirat – und löste damit Erschütterung bei Stadträten und der Bildungsbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) aus. Es folgte eine hoch emotionale Debatte über schief gelaufene Bildungspolitik. Der Ausgangspunkt: 328 Gymnasiasten haben zu diesem Schuljahr das Gymnasium verlassen, weil sie dort nicht mitkamen, und wechselten vor allem auf die Realschulen. Aktuell sieht erneut eine große Menge an Kindern auf dem Gymnasium kein Land – doch die Realschulen sind voll. Ein Konzept zur Steuerung der Schulanmeldungen ist nicht in Sicht.

 

Schulleiter bezweifelt Wirkung des Beratungsgesprächs

Zur Hausen verdeutlichte dem Gremium die Problemlage. Seit jeder, der will, aufs Gymnasium darf, sei das Niveau in Klasse fünf und sechs gesunken, weil die Lehrer vor allem damit beschäftigt seien, Sozialverhalten zu vermitteln. „Ich verstehe das Konzept des Beratungsgesprächs nicht“, so zur Hausen. Er glaube nicht, dass das Vorlegen der Grundschulempfehlung zu mehr Einsicht bei der Schulwahl führe. Der Schulleiter und seine Realschulkollegin Barbara Koterbicki forderten ein Konzept für gescheiterte Kinder, eine Senkung des Klassenteilers, mehr Ressourcen zur Förderung dieser Kinder. Und Platz: „Wo sollen diese Kinder hin?“, fragte Koterbicki. Und räumte ein: „Mir ist eine Außenstelle lieber als die Käfighaltung.“ Denn die Realschulen schickten ja keine Hauptschulkinder mehr weg, zudem kämen viele Kinder aus den Vorbereitungsklassen.

Ex-Schulamtschefin kritisiert Gymnasialleiter

Die Ex-Schulamtschefin Ulrike Brittinger, seit 1. Februar im Ruhestand, kritisierte zur Hausen für seine Wortwahl „abschulen“ und dafür, dass die Gymnasien nicht verhinderten, dass Eltern eigenmächtig die Realschulen abtelefonierten. Die Stadträte waren sich in einem Punkt einig: „Man kann die Schulen damit nicht allein lassen“, so Gabriele Nuber-Schöllhammer (Grüne). Fezer und Iris Ripsam (CDU) bezeichneten den Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung als Fehler. Ripsam, Marita Gröger (SPD) und Nuber-Schöllhammer plädierten dafür, bei Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) eine Sonderlösung für Stuttgart zu erbitten. Fezer will erst mal abwarten. Christian Walter (SÖS/Linke-plus): „Die Diskussion müsste eigentlich im Landtag geführt werden.“