Der deutsche Diplomat Arndt Freytag von Loringhoven führt den Geheimdienst der westlichen Militärallianz. Er soll den Westen vor IS-Terror und russischer Aggression schützen.

Korrespondenten: Markus Grabitz (mgr)

Brüssel - Der Geheimdienstkoordinator der westlichen Militärallianz empfängt in seinem kleinen Büro mit überschaubarer Sitzecke im Nato-Hauptgebäude in Brüssel. Arndt Freytag von Loringhoven ist ein schlanker, groß gewachsener Mann. Er strahlt Freundlichkeit und Gelassenheit aus.

 

Der 61-jährige deutsche Topbeamte, studierter Historiker und Chemiker, ist Chef des Nato-Geheimdienstes. Als deutscher Diplomat war er in Paris und Moskau auf Posten und zuletzt in Tschechien Botschafter. Er ist der ranghöchste deutsche Nato-Mitarbeiter. Als einer von acht beigeordneten Generalsekretären kommt Loringhoven in der Nato-Hierarchie an Nummer drei nach Generalsekretär Jens Stoltenberg. Der Mann verfügt über reiche Geheimdiensterfahrung: Von 2007 bis 2010 war er Vize des Bundesnachrichtendienstes (BND). Der Stellvertreterposten beim deutschen Auslandsgeheimdienst wird immer von einem Beamten aus dem Auswärtigen Amt besetzt.

Das Verteidigungsbündnis hatte die Gründung eines eigenen Dienstes auf Initiative der USA beim Gipfel in Warschau 2016 beschlossen. Zu einer Zeit, zu der sich derJISD Westen größerer Bedrohungen längst bewusst geworden war. Russland trat aggressiver auf, und hinzu kamen die Aktivitäten von islamistischen Terrornetzwerken wie etwa Isis und Al-Kaida sowie deren Zellen in der westlichen Welt. Loringhovens Geheimdienst ist im politischen Hauptquartier der Nato in Brüssel angesiedelt und heißt offiziell „Joint Intelligence and Security Devision“, auf deutsch: Gemeinsame Abteilung für Sicherheit und Aufklärung.

Tausende IS-Kämpfer in Europa

Und welches Lagebild zeichnet der Nato-Geheimdienst in diesen Wochen? Ein Nato-Diplomat analysiert die Bedrohung durch den islamistischen Terror: „Die Bekämpfung des Islamischen Staates in Syrien und Irak war zwar überaus erfolgreich.“ Die internationale Allianz habe maßgeblich dazu beigetragen, dass dem islamistischen Terror die territoriale Basis sowie Finanzquellen entzogen wurden. Noch immer gehe davon aber eine „erhebliche Gefahr“ aus. Etwa die Hälfte der Kämpfer, die aus dem Ausland nach Syrien und Irak gekommen und sich dem IS angeschlossen hätten, seien zwar untergetaucht, aber immer noch vor Ort.

Der IS und Al-Kaida unterhielten ein Netz mit Filialen in weiten Teilen Afrikas, des Nahen Osten, Asiens, etwa Jemen, bis zu den Philippinen. „Die Ausdehnung ist massiv, es handelt sich um ein komplexes, überlappendes Netzwerk, das hochgefährlich ist.“ So habe es etwa nach Erkenntnissen des JISD eine Verbindung gegeben zwischen dem Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt 2016, Anis Amri, zu einem libyschen Ableger des sogenannten Islamischen Staates. Der IS wie Al-Kaida seien unvermindert intensiv im Internet mit Hasspropaganda unterwegs. Entwarnung könne es auch nicht bei den ausländischen Kämpfern geben. Der JISD gehe davon aus, dass derzeit etwa 1000 bis 2000 Kämpfer aus den Reihen des IS in Europa sind. „Von jedem einzelnen geht eine große Gefahr aus.“

Verändertes Bedrohungsszenario

270 Mitarbeiter zählt Loringhoven zu seiner Abteilung. Bei weitem nicht alle davon sind im Dienst der Aufklärung unterwegs. Darum kümmern sich lediglich 75 seiner Mitarbeiter. Die übrigen sind mit der Eigensicherung der Nato, Personenschutz und Gegenspionage beschäftigt.

Mitte Februar 2017 wurde die Abteilung aufgestellt und dabei auf Mitarbeiter zurück gegriffen, die sowohl aus dem internationalen zivilen Stab als auch aus dem militärischen Stab kamen. Ziel war es, in der westlichen Allianz erstmals eine komplett integrierte zivil-militärische Geheimdienst-Abteilung aufzubauen. Ein hoher Nato-Beamter erläutert: „Die Struktur der Abteilung spiegelt damit das veränderte Bedrohungsszenario wider.“ Der Westen sei heutzutage nicht mehr nur militärischen, sondern auch hybriden sowie zivilen Bedrohungen ausgesetzt. Dazu gehörten Cyberattacken auf die Infrastruktur, etwa auch auf den Bundestag oder Energieversorger, sowie mit digitalen Mitteln verbreitete Falschpropaganda. „Die Komplexität der Gefahren können wir besser mit einem gemischten Team abbilden.“ Der Anstoß zum Aufbau einer Dachabteilung bei der Nato sei aus den USA gekommen. Auch dort sei nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eine neue integrierte zivil-militärische Aufklärungseinheit gebildet worden.

Woher bekommen Loringhoven und seine Leute die Infos?

Die JISD-Mitarbeiter sind nicht die einzigen bei der Nato, die Geheimdienstfunktion haben. Vor allem im belgischen Mons, wo eines der beiden strategischen militärischen Hauptquartiere (Shape) angesiedelt ist, sind weitere Geheimdienstler tätig. Was die JISD-Mitarbeitern von anderen Aufklärungsspezialisten bei der Nato unterscheidet: „Unser Geschäft ist ausschließlich die strategische Geheimdienstarbeit.“ Das heißt, der JISD wird nicht selbst operativ tätig, etwa bei eigener Informationsbeschaffung. Es geht stattdessen darum, die großen Entwicklungen im militärischen, zivilen und hybriden Bereich mitzubekommen, abzubilden und zu analysieren. Der Nato-Diplomat wird konkret: „Nehmen Sie eine Militäroperation russischer Kräfte auf dem Gebiet der Ukraine, das ist so gravierend für alle Nato-Länder, da haben wir den Anspruch, dieses Ereignis ab dem ersten Tag geheimdienstlich zu begleiten.“

Woher bekommen Loringhoven und seine Leute die Infos? Sie verfügen nicht über eigene Instrumente zur Aufklärung, sondern sind darauf angewiesen, Informationen von den Geheimdiensten der 29 Nato-Mitgliedstaaten zu bekommen. „Anhand der Infos, die uns vorliegen, ermitteln wir inhaltliche Schwerpunkte, fragen dann sehr gezielt nach.“ Mit Hilfe der Antworten werde ein Lagebild erstellt. „Unsere Analysen stellen wir den Entscheidungsträgern in der Nato zur Verfügung – bei konkreten Anlässen, etwa vor wichtigen Treffen im Bündnis.“

Klar ist damit, dass Loringhoven und seine Truppe nur so gut informiert sein können, wie die Dienste der Mitgliedstaaten liefern. „Man wünscht sich immer mehr Informationen, wir können uns aber über die Bereitschaft, Wissen zu teilen, nicht beschweren.“ Geheimdienste seien zwar gewohnt, Informationen bilateral auszutauschen. Das Teilen von Wissen mit großen Organisationen wie etwa der Nato und der EU sei für manche aber noch Neuland. Sie müssten sich daran gewöhnen, dass die andere Seite einen sicheren Umgang mit als geheim eingestuftem Material gewährleiste.

Enge Zusammenarbeit mit den USA

Der JISD hat die Erfahrung gemacht, dass Mitgliedstaaten Informationen aus zwei Motiven mitteilten. Zum einen geschehe es aus Pflichtbewusstsein gegenüber der Verteidigungsallianz. Zum anderen aus dem eigenen Interesse, das Lagebild der Nato selbst mitzubestimmen. „Manche Nationen nehmen etwa die Bedrohung durch Russland stärker wahr, das mag mit einer besonderen geographischen Nähe zusammen hängen.“

In diesen Zeiten, in denen Amerika an vielen Stellen dem multilateralen Ansatz abschwört, könne sich der JISD aber über mangelnde Kooperation seitens der US-Dienste nicht beklagen. Im Gegenteil: „Die Zusammenarbeit mit den Amerikanern ist von Anfang an eng und gut gewesen.“ Die USA trügen mit Abstand am meisten bei. Die US-Dienste seien immer sehr deutlich in ihren Analysen und zudem auch nicht immer auf einer Linie mit US-Präsident Donald Trump, wie etwa beim Thema der Beeinflussung des US-Wahlkampfes durch Moskau deutlich geworden sei.