Vier Jahre nach seiner Gründung ist der Konflikt um das Schutzgebiet verebbt. Nun wachsen die Ansprüche – auch solche, die die Natur strapazieren.

Ruhestein - Natur Natur sein lassen: In diesen stillen Wintertagen wird der Nationalpark seinem Leitbild vollständig gerecht. Wenn Nebelschwaden über die Schwarzwaldhochstraße wabern und eine dichte Schneedecke alles unter sich verbirgt, verirren sich nur wenige Menschen in das Gebiet um den Hohen Ochsenkopf und die Passhöhe am Ruhestein. Das Veranstaltungsprogramm ist ausgedünnt, und manche Wege sind sogar gesperrt.

 

Eigentlich ist das ja der Grundgedanke des in Baden-Württemberg einmaligen Projekts: dass man die Natur in Ruhe lässt. „Im Gegensatz zur modernen Gesellschaft haben wir keine Zielvereinbarung“, sagt der Forstwissenschaftler Thomas Waldenspuhl, neben Wolfgang Schlund einer der beiden Direktoren. Der Park soll ein Kontrapunkt sein, ohne Jagd, ohne Holzeinschlag und Rentabilität. Das gilt zumindest für die Kernzone, die in 30 Jahren bis auf drei Viertel der Gesamtfläche anwachsen soll.

Freizeitmagnet und Forschungsobjekt

Für Biologen sind die Grinden, Moore und Totholzwälder denn auch ein Paradies. Schon mehrmals haben sie neue Käfer-, Spinnen- und Pilzartenarten entdeckt, wie etwa die Zitronengelbe Tramete. Vor Kurzem hat der Nationalpark zusammen mit mehreren Universitäten sogar eine „Pilz-Herbstschule“ für Doktoranden veranstaltet. Was nach einer Nische für Nerds aussieht, ist nützliche Forschung, denn für die Medizin wird dieser Fachbereich immer wichtiger.

Und doch ist der Nationalpark mehr als ein Naturschutzprojekt, und das sollte er von Anfang an sein. „Die Menschen sollen ihn erfahren und genießen“, sagt Waldenspuhl. Das tun sie auch. Sobald die Sonne hervorlugt, ziehen Langläufer bei Herrenwies ihre Bahnen. Im Sommer wimmelt es am Besucherzentrum am Ruhestein von Wanderern, die auf sachkundige Ranger warten. Das Jahresprogramm umfasst 1200 Veranstaltungen – von der Kräuterwanderung bis zum „wilden Theater“. Vor allem aber hat sich der Nationalpark zu einer touristischen Marke entwickelt, auf die keine Gemeinde mehr verzichten will. Er biete die „einmalige Chance“, dass sich die Region „gesamtgesellschaftlich“ weiterentwickle, sagte jüngst Patrick Schreib, der Cheftouristiker von Baiersbronn – jener Gemeinde, die den Park am schärfsten bekämpft hatte. Das „beste Tourismusangebot aller Nationalparkregionen“, lautet nun das Ziel.

Der „Rummel“ soll an den Rand

Die Funktion als Gäste- und Freizeitmagnet hat die Politik dem Naturschutzprojekt von vornherein zugedacht – auch, um die Akzeptanz der Bevölkerung zu gewinnen. Doch das birgt naturgemäß Spannungen, und die werden allmählich spürbar. So sind zum Beispiel die Mountainbiker unzufrieden mit dem Wegekonzept, das im Frühjahr vom Nationalparkrat, dem obersten Entscheidungsgremium, verabschiedet wurde. Auch einheimische Wanderer maulen, denn von 1600 Kilometer frei zugänglichen Wegen sollen nur noch 400 bleiben. Bisweilen flammt der alte Argwohn wieder auf, es werde eine Käseglocke über den Schwarzwald gestülpt.

„Die Erwartungen sind hoch, und der Nationalpark kann sie nur zum Teil erfüllen“, sagt Gerhard Goll, der Sprecher des Nationalpark-Beirats, in dem sich mehr als 60 Interessengruppen organisiert haben. Man müsse eben ständig Kompromisse finden, meint der frühere EnBW-Chef. Am liebsten wäre es ihm, den „Rummel“ am Rand des Parks anzusiedeln. Dass dies gelingen kann, zeigt für ihn der Nationalpark Harz.

Der Wunsch nach großen Tieren

In diesem Spannungsfeld das richtige Maß zu finden sieht Waldenspuhl die wichtigste Aufgabe der nächsten Jahre. „Und wir müssen Vertrauen schaffen.“ Ein großer Schritt in diese Richtung war zum Beispiel, dass die Nationalparkverwaltung das Spuren der Loipen übernahm, als der private Dienstleister sich zurückzog.

Genauso wichtig ist aber, dass die Bevölkerung mit aufwändigen Beteiligungsverfahren in zentrale Entscheidungen einbezogen wird – zum Beispiel beim Wegekonzept. „Wir sind Teil der Region und können keine Insel sein“, sagt Waldenspuhl – obwohl er als Wissenschaftler ganz dem „Natur-Natur-sein-Lassen“ verpflichtet ist.

Doch was passiert, wenn die Zitronengelbe Tramete und andere Attraktionen die Strahlkraft vermissen lassen, um die erhoffte Wertschöpfung in der Region zu generieren? Findige Unternehmer um den Bad Griesbacher Hotelier Meinrad Schmiederer haben vorgebaut und die Idee eines Wisent-Parks entwickelt, der am Rand des Schutzgebiets entstehen soll. Große Tiere zeigen – auch diese Aufgabe muss der Nationalpark Schwarzwald erfüllen. https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.vier-jahre-nationalpark-schwarzwald-zwischen-mountainbikern-und-kaefersammlern.f2c4e5bb-69bb-4318-b84a-8be9f7f410c3.html