Im schwedischen Trollhättan suchen die Menschen nach einer neuen Identität abseits von Saab. Dabei wirken sie unerwarted zuversichtlich.

Trollhättan - Trollhättan ist eigentlich eine ganz normale schwedische Kleinstadt. Auf der einstündigen Fahrt von Göteborg Richtung Norden fliegen Wälder, Wiesen, Felder und kleine rote Holzhäuser am Zugfenster vorbei, die Häuser der knapp 50.000 Einwohner sind bunt bemalt, mitten hindurch fließt der Göta Älv, überall ist es grün, stehen Bäume. Neben dem Fluss die Fußgängerzone mit ein paar typisch schwedischen Geschäften, nachmittags um drei treffen sich die Jugendlichen am Busbahnhof. Ganz normal schwedisch also, wäre da nicht Saab.

 

Die schwedische Automarke hat aus der Stadt das gemacht, was sie heute ist, Arbeitsplätze geschaffen - in den neunziger Jahren waren dort bis zu 10.000 Menschen beschäftigt -, den lokalen Handel in Schwung gebracht. Sie hat den Einwohnern ermöglicht, ein Haus zu bauen, ihre Familie zu ernähren, sich ein bisschen Luxus zu gönnen. In Trollhättan ist Saab überall.

"Saab-Geist" nennt man das hier. Jeder Zweite fährt ein Auto dieser Marke. Jeder kennt jemanden, der dort arbeitet. Es gibt ein Saab-Museum. "Saab gibt den Menschen in dieser Stadt eine Identität", glaubt Magnus Nordberg, Redakteur der Lokalzeitung "ttela", der Saab journalistisch zehn Jahre lang begleitet hat.

Wie eine Katze mit 9 Leben

Bis Freitag hat diese Identität gewaltig gewackelt, denn Saab schien der Pleite entgegenzuschlittern. Seit April stehen die Bänder still, die Löhne kommen mit Verzögerung, und die Lieferanten klagen unbezahlte Rechnungen ein. Monatelang hat der Holländer Victor Muller, der die Marke von General Motors kaufte, vergeblich Geldgeber für den Überlebenskampf gesucht. Guy Lofalk, der gerichtlich eingesetzte Zwangsverwalter, beantragte gar, das Sanierungsprogramm abzubrechen: "Es gibt kein Geld mehr fürs Weitermachen."

Seit Wochen titelt die schwedische Wirtschaftspresse so: "Der Konkurs rückt immer näher". Am Freitag kam dann die Wende: Die chinesischen Unternehmen Youngman und Pang Da sagten nach Angaben von Lofalk in einem vor dem Bezirksgericht von Vänersborg eingereichten Dokument zu, sowohl die Umstrukturierung als auch den Wirtschaftsplan zu finanzieren.

Es scheint, als hätten die Menschen in Trollhättan recht. "Saab ist wie eine Katze mit neun Leben, acht davon haben wir verbraucht, aber eines ist ja noch übrig", hat Fredrik Almqvist erst vor wenigen Tagen gesagt. Seit 16 Jahren arbeitet er für Saab, gleich nach der Schule ist er in die Fabrik gekommen, und obwohl er mehrfach den Job gewechselt hat, kennt er keinen anderen Arbeitgeber. "Hier bei Saab haben wir einen tollen Teamgeist. Wir halten zusammen."

 Trollhättan versucht sich unabhängig zu machen

Seit April geht Almqvist nur noch jeden Dienstag arbeiten, Autos werden nicht mehr produziert. Weil sein Lohn seit Monaten fast nie pünktlich kommt, musste er sich Geld bei der Bank leihen. "Irgendwie muss ich die Miete ja bezahlen." Almqvist lebt sparsam, gönnt sich nichts mehr. Finanziell halte er die Situation noch maximal einen Monat aus, meint er. Trotzdem: "Ich will warten bis ganz zum Schluss, irgendwie wird sich die Situation lösen. Wir brauchen einfach nur Geld, um neue Produkte entwickeln zu können." Seit Freitag ist Almqvist kein naiver Träumer mehr.

Die Region in Westschweden hat mit die höchste Arbeitslosigkeit im ganzen Land. Auch Familie Skoglund wartet. "Man lernt, damit zu leben", meint die 37-jährige Asa, die mit ihrem Baby einen Spaziergang durch die Stadt macht. Ihr Partner arbeitet bei Saab, auch er hat sich noch nicht überwinden können, einen neuen Job zu suchen, obwohl es für ihn besser aussieht, denn Ingenieure werden auch in Schweden gesucht. "Zu Hause ist alles ganz normal." Die Stadt hat sich an das Warten gewöhnt. Aus Trollhättan wegziehen will die junge Familie nicht.

Gerade werden die Autobahn, die die Stadt mit Göteborg verbindet, und die Zugstrecke ausgebaut. "Damit wollen wirden Menschen das Pendeln erleichtern", erklärt Kommunaldirektorin Annika Wennerblom. Trollhättan versucht schon seit Längerem, sich vom krisengeschüttelten Saab unabhängig zu machen. "Wir möchten die besten Voraussetzungen für neue Unternehmen schaffen", sagt Wennerblom.

"Jetzt wird man eben etwas anderes finden"

"Die Menschen hier sollen auch mal positive Nachrichten bekommen." Volvo Aero, Hersteller von Flugmotoren, hat sich schon einen Platz im Industriegebiet Stallbacka, gesichert. 2000 Arbeitsplätze gab das. Auch in Flussnähe, in der historischen Produktionsstätte von Saab, wächst langsam eine zukunftsträchtige Unternehmenskultur.

Der Technikpark Innovatum betreut 40 Projekte und hilft mit seiner Unternehmensberatung, neue Firmen zu gründen. Das Projekt EAAM, das Elektromotoren entwickelt, begann vor einigen Jahren mit fünf Angestellten, mittlerweile arbeiten 50 Personen dort. "Bei Saab gibt es so viele Kompetenzen, dass es einfach wäre, neue Geschäftsmöglichkeiten zu finden, wenn Saab sterben sollte", meint Tore Helmersson, der Direktor von Innovatum. Doch Helmersson, der selbst 20 Jahre in der Chefetage von Saab saß, glaubt an das Überleben des Autokonzerns.

Anja Derwanz sieht das anders. Die 29-Jährige ist vor drei Jahren aus Brandenburg nach Trollhättan ausgewandert, weil ihr Freund hier als Dachdecker einen Job gefunden hat. Jetzt sitzt die Kulturwissenschaftlerin am Empfang bei Innovatum. "Die Schweden sind gut darin, neue Lösungen zu finden. Trollhättan war jahrelang abhängig vom Auto, und jetzt wird man eben etwas anderes finden."

 Die Bürger sind zuversichtlich

Das sieht auch Jan Jörnmark so. Der Doktor für Wirtschaftsgeschichte vergleicht Trollhättan mit Detroit, der einstigen Metropole der US-Autoindustrie. Veränderungsprozesse hält er für völlig normal: Dinge entstehen, Dinge sterben. In Trollhättan hängen die Menschen an Saab, jeder versichert, dass die Fabrik bleiben muss. Aber mittlerweile gab es schon so viele Krisen, so viel Zeit zum Nachdenken, dass die Menschen müde geworden sind. Irgendetwas Gutes wird schon kommen, selbst wenn Saab pleitegeht.

Das glaubt auch Annica Bergström. Die 47-Jährige lebt vom Tourismus, im Sommer ist ihre Jugendherberge Gula Villan ausgebucht. Die Menschen kommen her, um sich den Götakanal mit seinen alten Schleusen und die Wasserfälle anzuschauen. Sie kommen, weil auch der König einmal im Jahr herkommt, um hier Elche zu jagen. Und sie kommen, um einmal über den "Walk of Fame" zu schreiten, denn auch Filmstar Nicole Kidman war schon hier.

 Keine normale Kleinstadt

Neben dem alten Produktionsgelände von Saab hat sich Film i Väst angesiedelt, eine regionale Filmstiftung. Seit 1997 hat sie die Filmproduktion von einem Film alle zwei Jahre auf jährlich 25 Langfilme gesteigert. Der Regisseur Lars von Trier hat hier fast all seine Filme gemacht, auch den neuesten Streifen "Melancholia" mit Kirsten Dunst. Im Sommer drehte eine deutsche Firma vor Ort einen neuen Nils-Holgersson-Film, der zu Weihnachten fertig sein soll.

2500 Arbeitsplätze schafft Film i Väst durch Film- und Fernsehproduktionen sowie Werbung in der Region. Zum Vergleich: bei Saab standen zuletzt 3500 Menschen in der Fabrik. Und man will noch wachsen, vor allem im Bereich Animation, erzählt Direktor Tomas Eskilsson. Aber nicht die Jobs seien das Wichtigste, glaubt er. "Der Film gibt Trollhättan ein positives, leuchtendes, internationales Image." Von "Trollywood" reden die Schweden. Eine ganz normale Kleinstadt ist Trollhättan nicht, mit oder ohne Saab.