Die Stadtgesellschaft debattiert über den Schweinestall der Familie Riehle.

Weil der Stadt - Irgendwann hält es David Götz, Landwirt und CDU-Stadtrat, nicht mehr auf seinem Stuhl aus. „Solche Leute“, schimpft er und rennt aus dem Saal, „und die horcht man auch noch an.“ Die Wut in ihm deutet darauf hin, dass es am Dienstagabend um mehr geht, als um einen neuen Stall für 200 Schweine.

 

Massentierhaltung, Überdüngung, Artensterben, „Vermaisung“, Antibiotika. Es gibt einige Vorurteile, die zum täglichen Brot von Landwirten gehören. „Wo kommen wir denn da hin“, wettert Andreas Kindler, der langjährige Kreisbauernvorsitzende, ins Mikrofon. Alle würden doch Bio-Fleisch wollen.

Wo aber soll dieses Fleisch herkommen? Ist regionale Landwirtschaft und Tierhaltung in der dicht besiedelten Region Stuttgart überhaupt noch möglich? Und in dem vollständig von Landschaftsschutzgebieten umgebenen Weil der Stadt?

Seit 2007 gibt es in Aussiedlerhof im Spätengrund

Auch das sind Fragen, die die Stadtgesellschaft am Dienstag in der brechend vollen Aula des Schulzentrums diskutiert. Anlass ist der Bauantrag von Elena und Georg Riehle, auf ihrem Hof einen Stall für 200 Schweine, dazu drei Schweine-Weiden für etwa 60 Tiere errichten zu dürfen.

Im Spätengrund, im Westen Weil der Stadts, betreiben die Riehles seit 2007 einen Aussiedlerhof, den sie jetzt erweitern wollen. Schweinehaltung also, 400 Meter von der Wohnbebauung entfernt? Willi Bernreiter wohnt dort, ihm gefällt das überhaupt nicht. Zusammen mit anderen Anwohnern hat er beim Bürgermeister Thilo Schreiber vorgesprochen, eine „öffentliche Infoveranstaltung“ war der Kompromiss.

Die Luft in der Aula ist angespannt. „Dies ist keine Protestveranstaltung“, markiert Bürgermeister Thilo Schreiber die Spielregeln. „Wir hören einander zu – ich werde sonst auch von meinem Hausrecht Gebrauch machen.“ Was er am Ende nicht tun wird müssen. Die Aufklärung der behördlichen Vorgänge bei landwirtschaftlichen Bauvorhaben steht im Vordergrund.

Städtisches Baurechtsamt, Landkreis-Landwirtschaftsamt, Regierungspräsidium – die Riege an Sachbearbeitern und Amtsleitern auf der Referentenbank ist lang. Denn diese gehören zu so einem solchen Genehmigungsverfahren – vor allem das wollen sie den interessierten Weil der Städtern demonstrieren.

„Wir prüfen, ob ein Bauantrag ein privilegiertes Bauvorhaben ist“, erklärt etwa Christopher Wetzel vom Baurechtsamt der Stadt Weil der Stadt. „Wir sind zu dem Ergebnis gekommen, dass das Vorhaben privilegiert ist – und dann hat der Landwirt einen Rechtsanspruch auf die Genehmigung.“ Wetzel betont, dass die Stadtverwaltung in diesem Fall keinerlei Ermessensspielraum habe.

Kein Bauverbot im Landschaftsschutzgebiet

Wann aber ist ein Bauvorhaben eines Landwirts privilegiert? Dafür ist das Landwirtschaftsamt des Böblinger Landratsamts zuständig. Liegt Landwirtschaft vor? Liegt ein landwirtschaftlicher Betrieb vor? Dient dieses Vorhaben diesem landwirtschaftlichem Betrieb? Wenn ihre Behörde diese drei Fragen mit Ja beantworten könne, sei das Vorhaben privilegiert, erläutert Amtsleiterin Regina Meier. „Man kann in der Landwirtschaft nicht einfach machen, was man will“, sagt sie und präsentiert die mehrseitige Kalkulation. „Ich kann Ihnen aber versichern: Dieses Vorhaben dient dem Betrieb Riehle.“

Dass der betreffende Spätengrund 1986 zum Landschaftsschutzgebiet erklärt wurde, sei kein Hindernis, sagt Meier, die im Landratsamt auch für den Naturschutz zuständig ist. „Es gibt kein Bauverbot für Landschaftsschutzgebiete“, erklärt die Behördenchefin. Und: „Landwirtschaft spielt gerade für Landschaftsschutzgebiete eine große Rolle.“ Es seien gerade die Landwirte, die die Pflege dieser Gebiete sicher stellten.

Für den Geruch ist das Regierungspräsidium zuständig, das bei solchen Bauanträgen aus der Landwirtschaft Geruchsprognosen erstellt. 8760 Stunden hat ein Jahr, in zehn Prozent davon – also 876 Stunden – dürfen in Wohngebieten Geruch auftreten. „Alle diese Grenzwerte sind bei weitem eingehalten“, gibt Rainer Michelfelder sein Ergebnis bekannt. „Und wir rechnen immer mit absoluten Worst-Case-Szenarien.“

Ruhig und sachlich trägt Michelfelder, ebenso wie seine Kollegen, seine Ergebnisse vor. „Wenn ich mir vorstelle, wie wir da allein mit Feinstaub belastet werden“, ruft ein Anwohner ins Frage-Mikrofon. „Die Weststadt ist doch ein Frischluft-Kamin für die ganze Stadt“, wundert sich ein anderer, jeweils begleitet von Applaus. „Sind Ihnen Tiere und Landschaft wirklich wichtiger, als der Menschenschutz“, will eine Bürgerin von den Behörden wissen.

Die Stimmung ist gespalten. „Wenn an anderer Stelle gebaut wird, findet doch die dieselbe Zersiedelung statt“, wettert ein Bürger und geht damit auf einen Vorschlag der Bürgerinitiative ein, den Stall im Taläcker zu bauen – was nicht geht, weil dort Wasserschutzgebiete sind.

Am Ende sind alle Informationen ausgetauscht. Die Fronten bleiben dennoch. „Wir sind zwar bereit, an einer Lösung mitzuarbeiten“, sagt Willi Bernreiter von der Bürgerinitiative zwar. „Aber wir fordern die Stadt auf, den Bauantrag zurückzuweisen.“ Am nächsten Dienstag will der Gemeinderat das Projekt diskutieren. Aber dann – so lässt der Bürgermeister durchblicken – wird sein Bauamt wohl die Unterschrift unter die Baugenehmigung setzen.