Sitzt der brasilianische Ex-Präsident da Silva zu Unrecht im Gefängnis? Gegen den Ermittlungsrichter gibt es nun schwere Vorwürfe.

Rio de Janeiro - Glenn Greenwald macht aus seiner politischen Gesinnung keinen Hehl. Der US-Journalist ist einer der schärfsten Kritiker des rechtspopulistischen Präsidenten Jair Bolsonaro. Nun hat Greenwald, der bereits mit Whistleblower Edward Snowden die USA in Bedrängnis brachte, schweres Geschütz aufgefahren. Von Beweisen für den größten Justizskandal in Brasilien ist da die Rede. Greenwald hat nach eigenen Angaben Zugang zu Telefongesprächen und Dokumenten, die den ehemaligen Ermittlungsrichter und heutigen Justizminister Sergio Moro belasten sollen.

 

Konkret wirft seine Enthüllungsplattform „The Intercept“ Moro vor, Brasiliens Ex-Präsidenten Lula da Silva (2003 bis 2011) ins Gefängnis gesteckt zu haben, um dessen Kandidatur bei den Wahlen 2018 zu verhindern. Obwohl dazu die Beweislage nicht ausgereicht hätte. Tatsächlich führte Lula die Umfragen vor dem Wahlgang an. Stattdessen gewann der rechtspopulistische Kandidat Jair Bolsonaro, ein politischer Intimfeind Lulas. Und Bolsonaro machte Moro zum Justizminister.

Eigentlich müsste Justizminister Moro sein Amt ruhen lassen

Damit ist der Fall Moro auch ein Fall Bolsonaro. Denn die Berufung Moros hatte von Anfang an einen Geschmack der Dankbarkeit für geleistete Dienste. Ob die Vorwürfe von Greenwald gegen Moro nun juristisch belastbar sind, muss die Justiz klären. Bislang sind es vor allem Interpretationen. Der Chef der brasilianischen Justiz ist Justizminister Moro selbst. Eigentlich müsste er nun sein Amt ruhen lassen, und es müsste eine unabhängige Kommission die Vorwürfe prüfen. Moro wehrte sich auf einer Pressekonferenz, spielte die Veröffentlichung herunter. Das ist die juristische Bewertung des Falles.

Doch die Affäre Lula ist mehr als das: Sie ist eine politische und emotionale Katastrophe für das Land. Das Pro- und das Kontra-Lager stehen sich unversöhnlich gegenüber. Lulas Anhänger halten ihn für unschuldig, egal wie schwerwiegend die Indizien sind. Lulas Gegner halten ihn für korrupt, egal wie viele Indizien ihn entlasten. Schon am Tag der Veröffentlichung der Vorwürfe gegen Moro lieferten sich Gegner und Fans Lulas in den sozialen Netzwerken eine erbitterte Schlacht. Die tiefe Spaltung des Landes verfestigt sich weiter.

Rufe nach Neuwahlen würden laut werden und wären berechtigt

Für die Präsidentschaft Bolsonaros könnten die Greenwald-Vorwürfe schwerwiegende Folgen haben. Ein nicht unerheblicher Teil der brasilianischen Bevölkerung wird seine Legitimation anzweifeln. Schon jetzt ist seine Umwelt- und Wirtschaftspolitik hoch umstritten, weil sie die Existenz des Regenwaldes gefährdet. Wenn Greenwald tatsächlich Beweise vorlegen kann, dass Lula zu Unrecht im Gefängnis sitzt, wäre die Wahl 2018 eine Farce. Dann müsste Lula bald freikommen, und Bolsonaro hätte einen mächtigen populären Gegenspieler. Rufe nach Neuwahlen würden laut und wären berechtigt.

Schon jetzt strickt Brasiliens Linke an einer Lula-Legende, die eine tatsächliche Aufarbeitung seiner Präsidentschaft verhindert: Unter keinem anderen Präsidenten des laufenden Jahrhunderts wurde für die Agrar-Industrie so viel Regenwald abgeholzt wie unter Lula. Kein anderer Präsident hat ein so gigantisches Staudammprojekt im Amazonas auf dem Rücken der indigenen Völker autorisiert. Unter Lula war ein so großer Korruptionsskandal möglich wie der Odebrecht-Skandal. Und Lula war es, der die Fußball-WM und die Olympischen Spiele ins Land holte und damit das Land überforderte. Das ist die eigentliche Tragödie: Über Lulas Politik hätte das brasilianische Volk an der Wahlurne sein Urteil fällen müssen und kein Ermittlungsrichter.