Der 14-jährige Marc Nüter holt bei den Jahrgangsmeisterschaften in Berlin den Titel über 200 Meter Rücken.

Rutesheim - Der Wecker klingelt im Hause Nüter in Perouse zweimal die Woche früh am Morgen um halb fünf. Dann heißt es schnell die Sachen packen, frühstücken und sich von der Mutter im Auto nach Stuttgart chauffieren lassen. Wenn kein Stau ist, dauert die Fahrt eine gute halbe Stunde. Um 5.45 Uhr beginnt für Marc Nüter das Training.

 

Seit dem vergangenen Herbst ist der 14-Jährige in der Trainingsgruppe des Schwimmverbandes Württemberg (SVW), die der Landestrainer Farshid Shami im vergangenen Jahr ins Leben gerufen hat. Hier konzentriert er besonders talentierte Nachwuchsschwimmer aus den Landeskadern in einer kleinen Gruppe, mit dem Ziel, diese Talente zu perfektionieren. Neben Marc Nüter, der für den VfL Sindelfingen startet, sind das noch Kim Emely Herkle vom VfL Waiblingen, Paul Jona Achtelik von der SSG Reutlingen/Tübingen, Felix Grieb vom SV Bietigheim sowie Lea Zihsler vom SV Cannstatt. „Anfangs schlug uns viel Misstrauen entgegen, weil die Vereine dachten, wir ziehen deren Talente ab, aber die Schwimmer starten weiterhin für ihre Heimatvereine“, sagt der Landestrainer.

Vokabeln lernen beim Schwimmen

Nach einigen Kilometern im Wasser geht’s in die Schule. Der 14-Jährige besucht die 8. Klasse des Schickhardt Gymnasiums in Stuttgart, eine so genannte „Eliteschule des Sports“, die den trainings- und wettkampfbezogenen Bedürfnissen ihrer Schüler entgegenkommt. Gelernt wird schon mal im Auto oder in der S-Bahn. „Vokabeln wiederhole ich auch, wenn ich meine Bahnen schwimme. Da habe ich ja Zeit“, sagt der Schüler. Das Lernen würde ihm glücklicherweise leicht fallen.

Für Marc Nüter hieß die Aufnahme in die so genannte Verbands-TG zunächst, den Trainingsumfang zu erhöhen – um die beiden frühen Einheiten. Seitdem trainiert er elfmal pro Woche. Während der Saison ist das eine Kombination aus Einheiten im Wasser sowie Athletiktraining an Land. Dabei baut Shami auf eine positive Gruppendynamik.

Selbstbewusst und locker

In den Kader kommen nur Athleten, die zum einen die körperlichen und sportlichen Voraussetzungen erfüllen. Sie müssen aber auch charakterlich in die Gruppe passen. „Sie sind erfolgsorientiert und wollen, positiv betrachtet, im Mittelpunkt stehen. Solche Typen brauchen wir in Individualsportarten“, sagt Shami und nimmt gerne das Selbstbewusstsein der amerikanischen Sportler als Vorbild, die gleichzeitig eine Portion Lockerheit mitbringen.

Marc Nüter ist Farshid Shami, der seit 2014 Landestrainer im württembergischen Verband ist, nicht erst im vergangenen Jahr aufgefallen. Bei den deutschen Jahrgangsmeisterschaften im Juni 2016 holte er in seiner Altersklasse, Jahrgang 2003, den Mehrkampf-Titel. Im Dezember schwamm er in Magdeburg über 50 Meter Rücken in 28,42 Sekunden einen neuen deutschen Altersklassenrekord. „Da hat er nach anfänglichen Anpassungsschwierigkeiten in unserer Gruppe richtig Blut geleckt und bewiesen, dass er willig ist und richtig heiß auf Erfolg“, sagt Farshid Shami über seinen 1,90 Meter großen Athleten, der sich noch in der Wachstumsphase befindet. „Und was er jetzt bei den deutschen Jahrgangsmeisterschaften gebracht hat, war der Wahnsinn“, so der Landestrainer weiter.

Marc Nüter holte sich Ende Mai/Anfang Juni in Berlin über die 200 Meter Rücken – seine stärkste Disziplin – in 2:09,94 Minuten den Titel, wurde über 100 Meter Rücken Vizemeister. Bronze gab’s noch über 200 und 400 Meter Freistil.

Anfänge bei den Wasserfreunden Leonberg

Das Seepferdchen, die erste Qualifikation für Kinder im Wasser, machte Marc Nüter bei den Wasserfreunden Leonberg. Dort lernte er auch das Schwimmen und holte seine ersten Medaillen bei Wettkämpfen. Schnell zeigte sich, dass er Talent hat. Marc Nüter wechselte zum VfL Sindelfingen. Und seit dem vergangenen Jahr ist er in der so genannten Verbands-Trainingsgruppe.

Im Hause Nüter spielte Sport schon immer eine große Rolle. Vater Jörg kommt vom Triathlon, Mutter Anke vom Schwimmen. Marcs Oma Renate Nüter war lange Jahre die Vorsitzende des Sportkreises Böblingen. Marc Nüter lebt seinen Sport. „Wenn ich mal krank zu Hause sein muss, bin ich froh, wenn ich wieder trainieren kann.“ Im kommenden Jahr will er sich für die Europameisterschaft der Junioren qualifizieren. „Und irgendwann will ich zu den Olympischen Spielen“, sagt der 14-Jährige selbstbewusst, ohne überheblich zu wirken. Genau solche Typen wünscht sich der Landestrainer.

„Keine juristischen Bedenken“

Farshid Shami, Sohn einer Teheraner Juristenfamilie, war Mitglied der iranischen Schwimm-Nationalmannschaft und folgte seiner Mutter 1993 nach Deutschland. Der promovierte Sportwissenschaftler – das Thema seiner Dissertation: „Zum Einfluss des mentalen Trainings auf die Wettkampfleistung im Schwimmsport“ – begann seine Trainerlaufbahn während seines Studiums beim SV Neptun Kiel. Er baute ein schlagkräftiges Nachwuchsteam auf, wurde 2005 zum „Trainer des Jahres“ im Schwimmverband Schleswig-Holstein gewählt und wechselte 2007 zum SV Schwäbisch Gmünd.

Knapp ein Jahr später engagierte er sich beim SV Bayer Wuppertal. Hier führte er Christin vom Lehn bei der WM in Shanghai 2011 über 200 Meter Brust zu Bronze. Ein Jahr später wurde Sarah Poewe im ungarischen Debrecen Europameisterin über 100 Meter Brust und Dritte über 200 Meter. 2012 reiste Farshid Shami im Trainer-Stab des Deutschen Schwimmverbandes zu den Olympischen Spielen nach London.

Nach seiner Rückkehr musste er sich in einem Missbrauchsprozess verantworten. Der heute 45-Jährige soll sich von 2004 bis 2006 an einer von ihm betreuten 16-jährigen Sportlerin sexuell vergangen und das Abhängigkeitsverhältnis ausgenutzt haben. Sie hatte ihn 2009 angezeigt. Sein damaliger Verein kündigte ihm fristlos.

Das Kieler Amtsgericht sprach Shami 2013 frei. Dagegen legten Staatsanwalt und das mutmaßliche Opfer Berufung ein. 2014 verpflichtete der Schwimmverband Württemberg Farshid Shami. „Von juristischer Seite gibt es keine Bedenken für eine Anstellung von Farshid Shami als Landestrainer“, hieß es in einer Erklärung des SVW. In der Berufungsverhandlung ist der Freispruch vom Landgericht Kiel im Dezember 2016 bestätigt worden.