Auf dem normalen Qualifikationsweg schafft es die australische Schwimmikone Ian Thorpe wohl nicht zu den Sommerspielen 2012 nach London.

Adelaide - Hat Ian Thorpe seine Konkurrenten und die gesamte Schwimmwelt listig getäuscht? Steht er nach bisher dürftigen Comebackleistungen und nachdenklichen Kommentaren vor einer Leistungsexplosion und wird triumphal auf die große Schwimmbühne und die obersten Treppchen der Siegerpodeste zurückkehren? Oder ist der als „Thorpedo“ berühmt gewordene Australier nur ein weiterer ehemaliger Weltstar, der nicht in Würde im Ruhestand bleiben kann. Am Freitag werden diese Fragen beantwortet.

 

Am Donnerstag stehen bei den australischen Meisterschaften in Adelaide, die gleichzeitig als Olympiaqualifikation gelten, die Vorläufe über 200 Meter Freistil an. In seiner großen Zeit hätte es an Majestätsbeleidigung gegrenzt, auch nur anzudeuten, dass der beste männliche Schwimmer, den die stolze Schwimmnation Australien je hervorgebracht hat, nicht ins Halbfinale der 16 Vorlaufschnellsten einziehen könnte. Aber seine Bestzeit nach dem Comeback vor vier Monaten rangiert im australischen Vergleich nur auf Platz 18, Note „ungenügend“. Der nächste Schritt ist am Freitagabend nötig, um 19.42 Uhr (Ortszeit) startet das Halbfinale, das Finale ist am Samstag.

4500 Zuschauer haben in dem brandneuen Stadion Platz, das umgerechnet satte 80 Millionen Euro gekostet hat, und Thorpe ist natürlich die Hauptattraktion. Das wurde am Mittwoch deutlich, als sich Reporter und Kamerateams drängelten, um den Worten des 29 Jahre alten fünfmaligen Olympiasiegers vor einem der aufregendsten Momente seiner Karriere zu lauschen. In der ihm eigenen Sprache, die ihn schon im Alter von 16 Jahren als einen aussichtsreichen Kandidaten für den Posten des UN-Generalsekretärs qualifiziert hätte, wog er behutsam alle Möglichkeiten ab. Getäuscht habe er „leider“ niemanden, sagte er, sogar Freunde hätten ihm diese Frage gestellt. Allerdings habe er auch jeden der enttäuschenden Aufbauwettbewerbe nach seiner 2099 Tage langen Abwesenheit, unrasiert und aus vollem Training heraus geschwommen, also nicht wirklich unter echten Wettkampfbedingungen. Er sei sich aber auch darüber im Klaren, dass ein Scheitern durchaus möglich sei, für diesen Fall hat er angekündigt, über London hinaus aktiv zu bleiben.

Ein sechster Platz als Minimalziel

Thorpes Minimalziel in Adelaide ist ein sechster Platz über 200 Meter, der ihm einen Platz als Staffelschwimmer über 4x200-Freistil sichern würde. „Ich will gewinnen“, sagte er zwar zu seiner (neben den 400 Metern) ehemaligen Spezialstrecke, „aber dafür müsste schon alles passen.“ Weniger Chancen werden ihm über 100 Meter Freistil eingeräumt, eine Distanz, über die er selbst in seiner großen Zeit nie der Weltbeste war und wo die nationale Konkurrenz, angeführt von Weltmeister James Magnussen, enorm stark ist. Magnussen hatte es sogar gewagt, Ian Thorpe zu kritisieren, weil dieser seiner Meinung nach zu spät mit dem Training begonnen hatte.

Thorpe musste sich gestern auch mit anderer Kritik auseinandersetzen, weil sein Comeback vom Verband mit enormen Summen unterstützt wurde, die anderen Schwimmern vorenthalten blieben. Dies hatte unter anderen die dreifache Goldmedaillengewinnerin Stephanie Rice auf die Palme gebracht, die nicht einmal ein Zehntel der umgerechnet 100 000 Euro angeboten bekommen hatte, die Thorpes Vorbereitung angeblich gekostet hat. „Ich habe persönlich keinen Cent bekommen“, sagte Thorpe und wies darauf hin, dass sein Training in der Schweiz teurer als das anderer Schwimmer gewesen sei, weil die Kosten nicht auf mehrere Athleten verteilt werden konnten. Der Nationaltrainer Leigh Nugent rechtfertigte den Auslandsaufenthalt: „In Australien wäre das Interesse der Öffentlichkeit zu groß und ein zielstrebiges Training unmöglich gewesen.“ Thorpe hat die Investitionen aber mit Sicherheit schon wieder reingeholt. Der Kartenvorverkauf läuft so gut wie seit Jahren nicht mehr. Und auch die Manager des übertragenden Fernsehsenders reiben sich ob der erhofften Einschaltquoten schon die Hände, nachdem Schwimmen in den vergangenen Jahren – durch den Abgang Thorpes und einiger anderer Berühmtheiten – einen starken Popularitätsverlust hinnehmen musste.

Falls Thorpe im Pool enttäuscht, hat ihm der Verband schon ein Hintertürchen geöffnet. Es gebe schon Möglichkeiten von der ansonsten strikten Qualifikationsregel abzuweichen, die besagt, dass nur der Sieger und der Zweitplatzierte der Meisterschaften bei Olympia starten sowie die ersten sechs sich für die Staffel qualifizieren. Das ließ Coach Nugent anklingen.

In der Vergangenheit ist ja schon einmal für Thorpe eine Extrawurst gebraten worden: Als er vor acht Jahren im Vorlauf über 400 Meter Freistil einen Fehlstart hinlegte und ins Wasser plumpste wie ein nasser Sack, wurde er zunächst folgerichtig disqualifiziert. Craig Stevens gab nach massivem Druck der Öffentlichkeit aber seinen Platz im Olympiateam an Thorpe ab. Der nutzte die Chance und gewann in Athen prompt die Goldmedaille.