In seiner traditionellen Schwörrede beschrieb der Ulmer Rathauschef Ivo Gönner auch dramatische ökonomische Entwicklungen in der Region.

Politik/Baden-Württemberg: Rüdiger Bäßler (rub)

Ulm - Die Schwörrede des Ulmer Oberbürgermeisters Ivo Gönner ist vorbei, die Küferzunft drückt sich gerade in Richtung des Weinhofs vor, um den Bindertanz aufzuführen, da entlassen ein paar Dutzend Hände Luftballons, die meisten davon schwarz, in den Himmel. Fotografen und Besucher sehen im tanzenden Flug ein Zeichen der Freude, aber im Ulmer Gewerkschaftshaus, das dem Schwörhaus gegenüber liegt, stehen Iveco-Arbeiter mit Unterschriftenlisten in den Händen und machen ihren ganz eigenen Assoziationen Luft: „Die Luftballons sind ein Symbol dafür, wie man Arbeitsplätze davonschweben lässt“, sagte ein Iveco-Betriebsrat, 50 Jahre alt. „Es ist einfach hart, wenn man nach so vielen Jahren gehen muss.“

 

Wie die Schwörglocke, die um 12 Uhr schlägt und den Treueschwur des Oberbürgermeisters gegenüber der Bürgerschaft untermalt, so gehört auch Iveco zu dem, was Ulm ausmacht. Gönner geht in seiner knapp einstündigen Rede ausführlich auf den Verlust ein. „Die Nachrichten von Entlassungen und der Verlust von Arbeitsplätzen im großen Umfang haben uns alle aufgeschreckt“, sagt der OB. Konkurse, Verlagerungen und Schließungen in den vergangenen Wochen machten immer wieder klar: „Florierende Wirtschaft und ständiger Aufschwung, das ist kein garantierter Zustand. Arbeitslosigkeit ist kein statistischer Begriff, sondern ein schlimmes und einschneidendes Ereignis für die unmittelbar Betroffenen und ihre Familien.“

Iveco, Schlecker, Centrotherm ...

Es ist ja nicht nur Iveco, wo in der Lkw-Fertigung vermutlich bald 670 Jobs gestrichen werden, wenn auch, wie der Fiat-Konzern zusagte, auf Kündigungen verzichtet werden soll. Zum Ende des Jahres schließt Nokia die Handyentwicklung in Ulm, setzt 730 Leute frei. Der Solaranlagenbauer Centrotherm in Blaubeuren hat sei Jahresbeginn 400 Stellen abgebaut und kürzlich doch die Insolvenz anmelden müssen. Jetzt stehen alle noch verbliebenen 1200 Arbeitsplätze auf dem Spiel. Aus Ehingen schwappen die Folgen der Schlecker-Pleite in die Stadt. Und beim Mobilhydraulik-Spezialisten Bosch Rexroth im nahen Elchingen müssen Ende des Jahres 448 von 552 Beschäftigten gehen.

Gönner appelliert an sein Wahlvolk unten im Weinhof: „Die Wirtschaft, die in unserer Stadt und Region gut aufgestellt ist, ist jetzt besonders gefordert, da insbesondere der Mangel an Facharbeitskräften immer wieder laut erhoben wird. Jetzt können Taten folgen. Hunderte von qualifizierten Arbeitskräften in Ulm und der Region warten darauf, dass sie neue Anstellungen finden.“ Es sind sogar 2500 sozialversicherungspflichtige Stellen, die weg sind oder noch wegfallen werden. In der Zahl sind die 1000 Soldaten, die im Zuge der Bundeswehrreform die Stadt verlassen müssen, noch gar nicht enthalten.

Die Einschläge kommen näher

Drinnen im Rathaus, wo nach der Schwörfeier die VIP-Gäste bei Wein und Häppchen zusammenstehen, spricht der IHK-Präsident Peter Kulitz von „einer ernst zu nehmenden Situation“. Der Fall Nokia, wo überwiegend Ingenieure und Entwickler arbeiten, bereitet Kulitz besonderes Bauchweh. Wie gemunkelt wird, soll es zwei potenzielle Investoren geben, die darüber nachdenken, die ganze Entwicklertruppe zu übernehmen. „Allerdings schwindet mit jeder Woche die Wahrscheinlichkeit“, sagt Kulitz.

Der Ulmer Finanzbürgermeister Gunter Czisch (CDU) sieht „die Einschläge näherkommen“, will aber das Wort Krise nicht gelten lassen. Die Stadtfinanzen blieben stabil, weil die regionale Wirtschaft einen starken mittelständischen Unterbau habe. Tatsächlich kamen die Nachrichten von den Massenentlassungen in eine Zeit hoher Blüte. 8000 Betriebe gibt es in Ulm mit 84 000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen. Die Arbeitslosenquote beträgt aktuell 3,4 Prozent. Die Psychologie, sagt Czisch, sei derzeit bedrohlicher als die wirklichen Wegbrüche von Gewerbesteuern und Einkommensteueranteilen. Schon spürt der Finanzbürgermeister, wie die örtlichen Unternehmer vorsichtigere Gewinnprognosen abgeben und steuerliche Abschreibungen anders gestalten.

Noch lähmt die Furcht vor Verlusten nicht die Hoffnung auf Wachstum. Auf dem Schwörbalkon fordert Ivo Gönner aber noch dringlicher als sonst, Stuttgart 21 müsse nun endlich gebaut werden.