Schwul sein ist im ostafrikanischen Uganda lebensgefährlich. Ein Gesetzesentwurf sieht sogar die Todesstrafe vor. In einem Privathaus am Rande Kampalas finden Außenseiter wie der junge Prostituierte Jaw Zuflucht und eine zweite Familie.

Kampala - Hinter hohen Backsteinmauern, hinter einem Tor ohne Klingel und Namensschild suchen sie Schutz. Die jungen Männer, die so viel kichern und ständig auf ihre Handys eintippen. Die gelbe Hosen tragen und zu viel Nagellack. Das ganze Land hat Angst vor ihnen. Sie sind besessen von einem bösen Geist, sagen die freikirchlichen Prediger. Sie müssen krank sein, sorgen sich ihre Familien. Sie sind kriminell, sagt die Polizei und ist nicht zimperlich mit willkürlichen Verhaftungen. Männer, die Männer lieben, leben gefährlich in Uganda, einem der schwulenfeindlichsten Länder der Welt.

 

Das Haus, dessen Adresse geheim gehalten wird, liegt etwas abseits von der Hauptstadt Kampala, in einem Vorort, wo Hühner und Ziegen die Wege belagern, wo die Nachbarn grüßen. Es ist Sonntagmittag, im Wohnzimmer haben es sich acht Jungs auf Sofas und Sesseln bequem gemacht. Sie reden über das, was sie sonst verschweigen müssen. Hier verurteilt sie keiner. „Es war wie im Zoo, wir mussten uns in einem leeren Klassenzimmer bis auf die Unterhosen ausziehen“, erzählt Jaw, seine Arme ineinander verknotet. Er ist 21 und verkauft seinen Körper an Männer, weil er keine andere Arbeit gefunden hat. So machen es die meisten seiner Freunde. Jaw ist ein schmächtiger Kerl mit lässig am Hinterkopf sitzender Strickmütze und engen Jeans, der im Blumenmuster des wuchtigen Sofas fast verschwindet. „Die ganze Schule lief zusammen, unsere Eltern wurden gerufen, alle begafften uns.“

„Dabei wollte ich nur sexy sein.“

Es war im September letzten Jahres, als das geschah, was Jaw so gefürchtet und so ersehnt hatte. Das Ende des Versteckens und der Anfang seines sozialen Abstiegs. „Sie hatten uns zu zweit im Bett erwischt, schlafend“, erinnert sich Jaw an seine letzte Nacht im Internat, kurz vor dem Abschlussexamen. Als Präfekt in seiner High School hatte er Privilegien, war eine Autorität für die anderen Schüler. An seinem Onkel, dem Rektor, prallten die Gerüchte ab. „Wir waren unvorsichtig geworden“, gibt Jaw zu, „wir hatten es satt, uns immer zurückzuhalten.“ Die Jungs im Wohnzimmer nicken, sie haben alle Ähnliches erlebt. „Mich hat meine Schwester verpetzt, als ich ihre neue rote Jeans in die Disco angezogen habe“, sagt einer lachend, „dabei wollte ich nur sexy sein.“ „Ich wurde beim Knutschen gesehen“, verrät ein anderer.

Im tief religiösen Uganda, dessen christlich dominierte Gesellschaft auf traditionelle Familienmodelle setzt, waren Schwule und Lesben schon immer unerwünscht. Ihnen drohen viele Jahre Gefängnis, wenn sie beim Sex erwischt werden. So steht es in einem Gesetz aus Kolonialzeiten, das allerdings nur selten Anwendung findet. Erst mit dem wachsenden Selbstbewusstsein der Schwulenbewegung und dem immensen Einfluss der christlichen Rechten aus Amerika hat sich die Situation verschärft. US-Prediger hetzten gegen die sündige Liebe und fanden schnell Verbündete – wie den ugandischen Abgeordneten David Bahati. Sein Entwurf für ein Antihomosexuellen-Gesetz sieht die Todesstrafe vor und hat viele Unterstützer. Es wurde seit 2009 mehrfach ins Parlament eingebracht, aber bisher nicht verabschiedet. Der internationale Aufschrei war unüberhörbar.

Homophobie in Afrika

Homophobie geht nicht nur in Uganda um. In 38 der 54 afrikanischen Staaten gilt gleichgeschlechtliche Liebe als Straftat, „als unnatürlicher fleischlicher Akt“. Ein Import aus dem Westen, der die Jugend verdirbt. Homosexualität kann in Mauretanien, im Sudan oder in Nigeria bereits mit dem Tod bestraft werden, in einigen Ländern wie etwa Liberia diskutieren die Parlamentarier die Verschärfung bestehender Gesetze. Die Angst vor Schwulen und Lesben wird gezielt geschürt von Politikern in ihren Wahlkämpfen und von religiösen Eiferern, die die moralische Verkommenheit der Homosexuellen anprangern.

Längst nicht so vulgär wie manche seiner ugandischen Pastorenkollegen, aber genauso besessen vom Kreuzzug gegen die gleichgeschlechtliche Liebe ist Pastor Solomon Male. Ein Evangelikaler, der die Kanzel verlassen hat, um sein selbst entworfenes Aufklärungsprogramm in Schulen und Gemeinden zu verkünden. Sein Büro liegt im dritten Stock eines Geschäftshauses in Kampala, zwischen Architekten und einem Kurierdienst. Er sei ein Kämpfer gegen die Korruption und Dekadenz, gegen die Wunderheiler und Abzocker in den Kirchen, so stellt sich Male vor – und hält dann selbst erst mal die Hand auf. Mit ausländischen Journalisten wolle er nur noch reden, wenn sie zahlten. Die steckten alle unter einer Decke mit den Akteuren der Schwulenbewegung, sie seien alle gekauft, davon ist er überzeugt. Der Mann mit den raspelkurzen Haaren, die stellenweise schon ergraut sind, zückt den Quittungsblock. „Selbstverständlich geht jeder Shilling an meine Organisation Arising For Christ“, verspricht er. Als Geschäftsführer könne er dafür bürgen, dass Spenden nicht veruntreut würden.

Ein Pastor kämpft gegen Homosexualität

Der Prediger hat einen vollen Terminkalender. Besorgte Lehrer und Eltern laden ihn ein, um ihre Kinder vor dem Verderben zu bewahren. Gleich am nächsten Vormittag wird er in einer High School 700 Jugendliche „über die Gefahren der Homosexualität sensibilisieren“, er zieht das Einladungsschreiben aus einer Schublade. „Ich habe vielen, die von Schwulen oder Lesben rekrutiert wurden, geholfen, sich wieder aus ihrer Opferrolle zu befreien“, sagt Male stolz. Und glaubt, dass Schwule einander regelrecht anwerben, so wie der Geheimdienst neue Agenten. Sie würden verführt, bestochen. Der Pastor redet sich in Rage, immer lauter, immer eindringlicher, als stünde er auf der Kanzel und müsste mit seinen Warnungen noch die letzte Bank erreichen.

Er erzählt von einer bekehrten jungen Frau, die ihn zu seinen Vorträgen begleitet. Sie sei mit sieben von einem Onkel vergewaltigt worden, kam dann in ein Kloster, wo eine Nonne sie mit Geschenken verführt habe. „Wer missbraucht wurde, wendet sich oft von seinem Geschlecht ab“, sagt Male, denn keiner komme schwul auf die Welt. Die falsche Umgebung, Gruppendruck, schlechte Freunde brächten viele auf Abwege. Da helfe kein populistisches Gesetz, sondern nur die richtige Erziehung. Es ist dunkel geworden im Males Büro, er knipst die Neonröhre an und greift nach der Hand seiner Besucherin, drückt kräftig zu. Noch ein Gebet auf den Heimweg, Gottes Segen als letztes Geschenk.

Die Botschaften der homophoben Missionare kommen an. Schwule und Lesben werden zu Sündenböcken für alles, was schiefläuft in Uganda. Jaw weiß das. Seine Familie schneidet ihn, weil kurz nach seinem Rauswurf aus der Schule sein Vater erkrankte und starb. „Sie sagten, ich hätte ihnen Unglück gebracht“, erzählt Jaw über seine vier Schwestern und fünf Brüder, „sie sagten, ich hätte ihn auf dem Gewissen.“

Ein Baum ohne Wurzeln

Ein Afrikaner ohne seinen Familienclan ist wie ein Baum ohne Wurzeln – er stirbt langsam ab. Jaw wollte das beschleunigen. Er kaufte Gift in der Hoffnung, bald alles hinter sich zu haben. „Ich hatte Magenkrämpfe, mehr nicht.“ Er tingelte von Freund zu Freund, doch die meisten wollten nichts mehr mit ihm zu tun haben. Jaw hörte von dem Haus hinter den hohen Backsteinmauern, von den Jungs, die dort wohnten und in Sicherheit waren. Und er zog ein.

„Du musst dich ordentlich kleiden, was sollen die Leute denken?“ Ali, 19, lässt sich von den anderen nur ungern etwas sagen. Widerwillig zieht er sich eine lange Hose über, kanariengelb. Innocent schlüpft in himmelblaue Plastikslipper, Jaw legt ausnahmsweise den Blackberry für ein paar Minuten weg, löst sich vom Minifernseher, wo gerade eine indische Soap läuft. Sie müssen einkaufen gehen fürs Mittagessen, die paar Schritte hinunter zur Hauptstraße, wo sich ein Geschäft ans andere reiht, so wie jeden Tag. Sie brauchen Kochbananen, Reis, Kohle, Nüsse für die Soße. „Die schauen uns alle nach“, sagt Jaw vor dem Gemüseladen. Er hat seine krausen Locken zu einem Zopf gezwirbelt, wie eine Antenne steht der senkrecht hoch. „Die wissen alle, wo wir hingehören, die reden über uns.“

Drei Schlafzimmer, ein Büro und ein Wachhund, der Fremde nicht mag. Das Haus von Sam Ganafa, einem Schwulenaktivisten der ersten Stunde, steht allen offen, die nicht wissen wohin. Mal sind es fünf, mal zehn, die hier schlafen, nur die Transsexuellen dürfen nicht so lange bleiben. Die fallen zu sehr auf, in ihren Frauenkleidern, mit ihrem tuntigen Gehabe. Ganafa, längst getrennt von seiner Frau, ist eine Art Vaterfigur für die Jungs. Für Ali, den er über Facebook kennengelernt hat, ist er mehr, die beiden sind seit drei Monaten ein Paar. Vom Hausherrn gibt es klare Regeln. „Keinen Sexpartner mitbringen, keinen Alkohol, wehe wenn einer nachts lärmt.“

„Angst, dass mich jemand erkennt“

Ganafas Zuhause ist ein Asyl für die Ausgegrenzten und Basislager für die Aktivisten. „Anfang 2000 war es viel zu riskant, als Schwuler in ein Internetcafé zu gehen, da kamen alle zu mir und blieben gleich wohnen“, sagt der 52-Jährige mit der getönten Brille und dem Stapel Zeitungen vor sich auf dem Wohnzimmerboden. Aufgrund seines Jobs als Sicherheitsbeauftragter bei einer Telekommunikationsfirma ist Ganafa technisch bestens ausgerüstet, er hatte vor allen anderen zu Hause einen Netzzugang. Ideal für die Aufbauarbeit im Untergrund, so konnten sie Webseiten programmieren, die kleine Hilfsorganisation Spectrum Uganda gründen und die erste Pressekonferenz der Schwulen und Lesben im Land vorbereiten.

Ein Boulevardblatt hat Ganafa geoutet. „Ich habe mich kaum getraut, an der Tankstelle die Zeitung aufzublättern, ich hatte Angst, dass mich jemand erkennt“, sagt Ganafa und schlägt eine vergilbte „Sunday Pepper“ auf. Auf einer Doppelseite stehen Vornamen, auch seiner ist dabei, samt der Straße, wo er wohnt, Details über seinen Job, den Dienstwagen. „Hängt sie auf“ titelte 2010 eine Zeitung und veröffentlichte eine Liste mit den 100 „Top-Homos“ des Landes. „Seit letztem Jahr drucken sie sogar meinen vollen Namen“, ärgert sich Ganafa und fürchtet die Anrufe. „Glaube nicht, dass du nicht sterben kannst, nur weil du westlich lebst“, drohen sie am Telefon.

Die Einschüchterungen wirken. Er hat aufgehört, immer ins gleiche Café zu gehen. Mal verlässt er das Büro früher, dann bleibt er länger. Sein Leben darf nicht zu planbar sein, er will es ihnen schwer machen. Es soll ihm nicht so ergehen, wie seinem Mitstreiter, David Kato, ein Lehrer, der entlassen wurde, weil er angeblich Schüler belästigt habe. Ein Aktivist, der sich als einer der ersten in Uganda öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte hatte und den Protest anführte. David Kato wurde in seiner Wohnung mit einem Hammer erschlagen.

Tanzen im Schwulenclub

Sie wollen feiern an diesem Sonntagabend. Vor einem Spiegel im Schlafzimmer legt Jaw seinem Kumpel Innocent von hinten die Hand auf den Bauch, drückt ihn eng an sich. Aus einem Billighandy scheppert Discosound, der treibt die Hüften an. Die beiden kichern, fallen auf eine Matratze. Jaw kontrolliert die Nachrichten auf seinem Blackberry. Es ist das Geschenk eines Freiers, ein Musiker, er hat zwei Wochen im Sudan das Bett mit ihm geteilt, hat sich Kleider schenken lassen, Geld. Drei Facebook-Profile und das Telefon sind alles, was Jaw zum Arbeiten braucht. Er hat ein paar Stammkunden, und er hat schlechte Erfahrungen gemacht. Einen Monat lang konnte er nicht mehr richtig sitzen wegen der Risse im Anus. Das ist heute vergessen, Jaw trägt Lippgloss auf, zupft seinen Zopf zurecht. Sie wollen los in den einzigen Schwulenclub Kampalas, er liegt mitten im Geschäftsviertel der Hauptstadt. Unter der Woche ist er ein Restaurant, am Sonntag Freiluftdisco, die Besitzerin bezahlt die Polizei, damit die Party ungestört bleibt.

Die Tanzfläche ist voll, als sie ankommen. Unterm Dach aus Palmblättern flackern bunte Lichter. Riesige Boxen umrahmen die Gäste. Reden ist nicht mehr möglich, nur noch schreien. Mittendrin wirbelt eine rosa Perücke. Jaw kauft sich ein Bier und tanzt. Zum ersten Mal an diesem Tag sieht er glücklich aus.