Ein Neubau, viele Infostände und nun eine große Fragebogenaktion: Scientology rührt die Werbetrommel kräftig. Was bringt das der umstrittenen Organisation? Der Verfassungsschutz nennt Mitgliederzahlen.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Schon die erste Frage zielt auf eine menschliche Schwäche: „Machen sie gedankenlose Bemerkungen oder Anschuldigungen, die ihnen später leidtun?“ Damit steigt der „Kostenlose Persönlichkeitstest“ oder auch „Oxford Capacity Analysis“ der Organisation Scientology ein. 199 weitere Fragen folgen. Die Antwortmöglichkeiten sind (+) für „ganz klar und überwiegend ja“, (-) für „ganz klar und überwiegend nein“ sowie (M) für „vielleicht oder unsicher“. Wer alle Fragen beantwortet, kann sich bei Scientology zur Beratung anmelden.

 

Die Organisation will zu Beratungsgesprächen einladen

Die Fragebogenaktion passt zum Bestreben der Organisation, in ganz Deutschland und vor allem in der für sie als Hochburg geltenden Region Baden-Württemberg mehr Mitglieder zu gewinnen. Das beobachtet das Landesamt für Verfassungsschutz schon seit längerem, und darauf deuten auch die zahlreichen Infostände – häufig im Bereich der Stadtbibliothek und des Milaneo – hin. Jene Standorte bieten sich aus zwei Gründen an: Zum einen hat die Stadt ihre Auflagen geändert, in der City sind die Orte, an denen Infostände oder Wahlwerbestände aufgebaut werden dürfen, seither stark eingeschränkt. Der Bereich ums Milaneo ist hingegen möglich. Zum anderen hat in der unmittelbaren Nachbarschaft im September des vergangenen Jahres Scientology Baden-Württemberg ein neues repräsentatives Gebäude an der Heilbronner Straße bezogen. Es handelt sich dabei um eine sogenannte Ideale Org:

Für Scientology, das sich als Kirche bezeichnet, ein Zentrum mit einer gewissen Strahlkraft für ein großes Gebiet, in diesem Fall für Baden-Württemberg und Süddeutschland. Sowohl durch die Informationsgespräche an den Ständen als auch durch das Beratungsangebot im Nachgang der Fragebogenaktion sollen Interessierte in das Zentrum eingeladen werden, wo sie zahlreiche Filme und anderes Informationsmaterial über Scientology nutzen können. Der Umzug hat für Scientology eine klare Verbesserung gebracht: „Die Zahl der Besucher, die sich bei der Scientology-Gemeinde Baden-Württemberg informieren und dann unterschiedliche Einführungsdienste belegen, ist um mehr als das Fünffache gestiegen“, so ein Sprecher der Organisation auf Anfrage. Absolute Zahlen nannte er allerdings nicht.

Bei der Stadt sind gelegentlich Beschwerden über die Stände eingegangen. Passanten berichteten, sie seien aktiv angesprochen worden, auch wenn sie nicht auf den Stand zugegangen Scientology versteht sich selbst als Kirche. Entsprechend würden die Daten, die man im Fragebogen angibt, einerseits „zum Zwecke der Testauswertung“, andererseits zur „Späteren Missionierung durch Zusendungen von Informationsmaterial“ gespeichert, steht im Kleingedruckten.

Verfassungsschutz: Mitgliederzahl stagniert

Das Testergebnis soll Auskunft darüber geben, wie aktiv, stabil, glücklich und selbstsicher der oder die Befragte ist. Eine Art Fieberkurve, als Beispiel auf dem Fragebogen abgedruckt, stellt das für die einzelnen Eigenschaften dar. Aussteiger sehen das kritisch: Ihrer Einschätzung nach suche Scientology gezielt nach menschlichen Schwächen, an denen dann angesetzt werde, um das potenzielle Mitglied zum Belegen kostenpflichtiger Kurse zu bewegen. So äußerte sich ein früherer Scientologe im Gespräch mit unserer Zeitung.

In diesem Kontext wirken allerdings Fragen wie „Sind Sie ein langsamer Esser?“ oder „Zeigen sie offen Bewunderung für schöne Dinge?“ aus dem aktuellen Fragebogen vergleichsweise harmlos.

Aus Sicht des Verfassungsschutzes, der Scientology seit längerem beobachtet, haben die Werbebemühungen in Stuttgart bislang keine Früchte getragen. „Die Mitgliederzahlen der Scientology-Organisation stagnierten im vergangenen Jahr in aden-Württemberg auf niedrigem Niveau. 2018 wurden der Scientology-Organisation im Land zwischen 750 und 800 Mitglieder zugerechnet, ähnlich viele wie im Jahr 2017“, teilt ein Sprecher der Behörde mit.