Der ehemalige VfB-Chefscout Ralf Becker peilt mit Holstein Kiel den Durchmarsch in die Fußball-Bundesliga an. Und hat auf der Suche nach einem Nachfolger für Trainer Markus Anfang viel Lob für einen ehemaligen VfB-Coach parat.

Sport: Gregor Preiß (gp)

Kiel - Eine Relegation ist nichts für schwache Nerven. Das wissen sie jetzt auch bei Holstein Kiel. Einen Vorgeschmack gab bereits der Kartenvorverkauf für die Duelle mit dem Bundesliga-16. VfL Wolfsburg (Donnerstag und Montag, jeweils 20.30 Uhr). Über mehrere hundert Meter zog sich die Schlange vor dem Kassenhäuschen, ein Wartender brach zusammen. Was ihm immerhin eines der begehrten Tickets einbrachte – persönlich überreicht von Kiels Geschäftsführer Wolfgang Schwenke. In der norddeutschen Fußball-Provinz geht es noch herzlich zu.

 

Nun würde die Kieler Sportvereinigung Holstein aber nur allzu gerne zum deutschen Fußball-Establishment aufschließen. Das Duell zwischen dem Sensations-Dritten der zweiten Liga, der erst vor einem Jahr ins Unterhaus aufgestiegen war, und dem VfL Wolfsburg bietet den Kickern von der Kieler Förde die Chance zum großen Sprung. „Wir gehen mit Spaß, Mut und Überzeugung in die Spiele. Das wird ein absolutes Highlight,“ betont Erfolgstrainer Markus Anfang. „Wir spielen bisher eine geile Runde. Klar, jetzt wollen wir auch aufsteigen,“ ergänzt Ralf Becker.

„Hier bewegen sich alle am Limit“

Der 47-Jährige ist ein Gesicht des Kieler-Erfolgs – für viele Fußball-Fans aber noch immer ein eher unbekanntes. Der gebürtige Leonberger kickte einst bei den Stuttgarter Kickers, dem SSV Reutlingen und dem Karlsruher SC, eher er 2011 beim VfB aufschlug. Wo er in schwierigen Zeiten verschiedene Aufgaben in der zweiten Reihe übernahm. Zunächst im Nachwuchsbereich, später als Chefscout. Bis er 2016 mit dem damaligen Sportvorstand Robin Dutt über Kreuz lag und seine Zeit auf dem Wasen ein eher unrühmliches Ende fand.

Umso bemerkenswerter liest sich die Erfolgsstory mit den Störchen (so werden die Kieler wegen ihrer roten Stutzen und dem ersten Vereinslokal namens „Zum Storchennest“ genannt). Ein Verein, der nach 36 Jahren erst ins Fußball-Unterhaus zurückgekehrt war und der von seiner Größe her zwischen zweiter und dritter Liga angesiedelt sein müsste.

„Für den Verein ist die Entwicklung absolut außergewöhnlich. Hier bewegen sich alle am Limit. Das Ergebnis unserer Arbeit ist aber kein Zufall, sondern absolut verdient“, streicht Becker das beseelte Angriffsspiel unter Markus Anfang heraus. Im blind eingespielten 4-1-4-1-System hat Kiel 71 Tore erzielt – ein besserer Wert als ihn sogar der letzjährige Zweitligameister aus Stuttgart aufwies.

Apropos Stuttgart: Beckers Erinnerungen an seinen alten Arbeitgeber sind so la la. „Die fünf Jahre beim VfB waren eine wahnsinnig wichtige Zeit für mich“, sagt Becker. „Ich habe viele Erfahrungen gesammelt, auch welche, die nicht so gut waren, aus denen ich aber auch gelernt habe.“

Lob für Hannes Wolf – ein Trainerkandidat für Kiel?

Vielleicht kommt es ja in der kommenden Saison zum Wiedersehen. Wenn die Störche mit ihrem 6,5 Millionen-Etat ihren Höhenflug fortsetzen und die Wölfe aus der Autostadt (Etat: 60 Millionen Euro) zum Heulen bringen. Wobei: So sicher ist auch das nicht. Möglicherweise verharrt Becker ja freiwillig in der zweiten Liga. Der Hamburger SV hat bei der Suche nach einem neuen Sportchef seine Fühler bis nach Kiel ausgestreckt. Der 47-Jährige könnte es machen wie Noch-Trainer Markus Anfang, der ja bekanntlich beim anderen Bundesliga-Absteiger aus Köln eine neue Herausforderung sucht.

Der Leonberger will all das nicht kommentieren, so kurz vor den größten Spielen der Vereinsgeschichte. Genauso wenig die laufende Suche nach einem Nachfolger für Markus Anfang. Zum im Januar beim VfB entlassenen Hannes Wolf lässt sich Becker immerhin ein kleines Hohelied entlocken: „Ich kenne ihn sehr gut. Er hat sowohl in Dortmund als auch beim VfB eine super Arbeit gemacht.“

Gesucht wird auf jeden Fall ein Trainer, der die Herausforderung Kiel unabhängig vom Ausgang der Relegation annimmt. Dass die Aufgabe keine leichte und ein möglicher Ausflug in die Bundesliga den Störchen nicht nur Sternstunden bescheren wird, wissen sie selbst. Weshalb Trainer Anfang allen, die es mit den Blau-Weißen halten, vor den Relegationsspielen den guten Ratschlag gibt: „Jeder sollte das genießen. Wer weiß, wann es so eine Situation noch einmal geben wird.“