Unterschiedliche Kulturen gehen unterschiedlich mit der Pflegebedürftigkeit um. Hilfe von Migranten und für Migranten steht auf der Agenda vieler Dienstleister, doch die Nachfrage ist kaum da.

Rems-Murr-Kreis - Eigentlich ist es ja gar keine schlechte Idee: Im Alter, wenn sowieso alles immer schwerer wird, wenn man sich vielleicht zurückbesinnt auf das, was einmal war, wenn man einfach nur verstanden werden will, dann wäre doch eine Pflege in der ursprünglichen Muttersprache und ursprünglichen Kultur nicht schlecht. Dafür gibt es auch einen speziellen Begriff: kultursensible Pflege.

 

Viele Anbieter im Rems-Murr-Kreis machen sich darüber Gedanken. Vom Landkreis aus gibt es sogar eine eigene Homepage, die akribisch auflistet, welcher Pflegedienst welche Sprachen beherrscht (www.gesundheit-rmk.info). So kann der Norweger Hilfe in seiner Landessprache in Weinstadt finden. Oder der Rumäne in Fellbach. Oder ein Migrant aus Russland bei Pflegediensten in Winnenden, Großerlach oder Weinstadt.

Kein Bedarf an türkischem Pflegedienst

Allein: Es kommt selten vor. „Wir haben derzeit keine Fälle“, bedauert Arndt Hubschneider von der Sozial- und Diakoniestation (SDS) in Weinstadt. Vor einigen Jahren, so erinnert sich der Leiter des ambulanten Pflegedienstes, habe es tatsächlich einen türkischen Pflegedienst in Backnang gegeben, der sich darauf spezialisiert hatte, türkische Migranten von türkischen Pflegern versorgen zu lassen. Den Dienst gibt es allerdings inzwischen nicht mehr. Wahrscheinlich, so vermutet Hubschneider, gab es nicht genug Kunden.

Dieser Meinung ist auch Werner Geiser, der Altenhilfefachberater des Landkreises. „In vielen Kulturkreisen ist es nicht gebräuchlich fremde Hilfe anzunehmen“, sagt Geiser. Lieber werde die Tante eingeflogen, damit sie sich um den Opa oder die Oma kümmern kann – oder die Oma wird zurück in das Heimatland zur Ursprungsfamilie geschickt, damit diese die pflegerische Versorgung übernehmen könne.

Einen ganz anderen Weg sind vor Jahrzehnten die Bessarabiendeutschen gegangen. Sie haben 1953 das Alexander-Stift in Großerlach-Neufürstenhütte wiedergegründet, um nach den Kriegswirren und der Flucht aus der Ukraine für ihre Landsleute im Alter zu sorgen. Die deutsche Sprache war für sie keine Barriere, doch die Kultur, der Zusammenhalt, die gemeinsame Geschichte war ihnen offensichtlich wichtig, um sich auch in der Pflegebedürftigkeit geborgen und verstanden zu fühlen. Mit den Jahren hat sich das Stift für Pflegebedürftige aus dem Rems-Murr-Kreis geöffnet. Und seit zehn Jahren gehören die inzwischen 21 Standorte zur Diakonie Stetten, die heute neben der Stiftung Bessarabien Hauptgesellschafter ist.

Sprachbarrieren und Vorbehalte

Damit Migranten trotz Sprachbarriere und kulturellen Vorbehalten vom deutschen Pflegesystem profitieren können, hat die Waiblinger Arbeitsagentur – gefördert mit Landes- und EU-Mitteln – vor fünf Jahren ein Modellprojekt ins Leben gerufen: Unterstützt von der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg sollten arbeitslose oder gering verdienende Frauen mit Migrationshintergrund zu einer Altenpflegeausbildung motiviert werden. „Es wurden über 30 Frauen ausgebildet“, sagt Oya Poyraz von der Türkischen Gemeinde Baden-Württemberg. Das Projekt lief zwar vor zwei Jahren aus. Derzeit läuft aber noch bis Jahresende „Stark im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“, ein ähnliches Projekt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das die Türkische Gemeinde in der Region Stuttgart mit dem Schwerpunkt Pflege umsetzt: Frauen oder Mütter mit niedrigem Bildungsstand werden dabei angesprochen und für eine Ausbildung im Pflegebereich begeistert. So wurden im Großraum Stuttgart bislang 120 Frauen in ein Ausbildungsverhältnis oder in eine Arbeitsstelle vermittelt. Speziell im Rems-Murr-Kreis waren es 18 Frauen.

Ein kultureller Schatz

Auch die Evangelische Altenheimat mit ihrem Stammhaus in Fellbach ist für das Thema sensibilisiert: „Noch gibt es wenige Migranten in unseren Pflegeheimen, aber es werden in Zukunft mehr werden“, sagt Pressesprecherin Inge Deborre. Grund genug für den Träger, sich für kommende Veränderungen zu rüsten. In seiner Einrichtung in Korntal-Münchingen, dem Spitalhof Münchingen, wurde deswegen 2015 das Projekt Mela ins Leben gerufen. Es steht für „Miteinander leben und arbeiten“. In einer ersten Phase lag der Fokus auf den Mitarbeitern, auf ihrer kulturellen Herkunft, ihren Bedürfnissen oder dem Erkennen möglicher Diskriminierung.

„Im Spitalhof arbeiten mehr als 30 Personen mit Migrationshintergrund aus 19 Ländern“, berichtet Deborre. Um diesen kulturellen Schatz zu heben, müsse das Miteinander offen, achtsam und respektvoll füreinander sein. In der zweiten Phase des Projekts ging es schließlich um die Bewohner des Pflegeheims und darum, eine transkulturelle Pflege und Betreuung zu entwickeln. „Thema waren auch spezielle Sterberituale aus anderen Kulturen und Religionen“, so Deborre.