Wer macht eigentlich unseren Müll weg? Wir besuchen Betriebe und Menschen, die uns die dreckige Arbeit abnehmen, während wir sie kaum wahrnehmen.

Esslingen - Jüngere Leute machen sich manchmal lustig, wenn sie Martina Hermanns bei der Arbeit sehen. Dann singen sie im Vorbeilaufen schon mal den Refrain von Mickie Krauses „Orange trägt nur die Müllabfuhr“. Eigentlich galt das Schmählied des Schlagerstars der holländischen Fußball-Nationalmannschaft. Hermanns ignoriert das dann einfach. Sie bekommt auch Zuspruch, sie weiß, welchen Beitrag sie mit ihrer Arbeit leistet.

 

„Wären sie bereit Mülleimer zu leeren“, habe sie die Chefin der Zeitarbeitsfirma, für die Hermanns arbeitete gefragt. „Ich sagte: Ja klar. Hauptsache, ich habe einen Job“, erinnert sich die 36-jährige Esslingerin. Sie ist sich für keine Arbeit zu schade. Und so fährt sie seit vier Jahren jeden Morgen um 6.45 Uhr vom Hof des Städtischen Baubetriebs in Richtung Innenstadt. 170 öffentliche Mülleimer liegen auf ihrer Tour. Viele, wie die vor dem Einkaufszentrum ES, steuert sie mehrmals am Tag an. Weil die immer so schnell voll sind.

Schaut man Hermanns dabei zu, wie sie Mülleimer um Mülleimer leert, wird klar, wie viele es eigentlich sind. An die Gerüche habe sie sich gewöhnt, an die Ameisen, die im Sommer auf sie kröchen, nicht. „Die habe ich dann auch im Auto“, sagt sie.

Er weiß, dass die Exkremente menschlichen Ursprungs sind

Neben Martina Hermanns gehören noch 21 Männer zum orange-uniformierten Trupp des Städtischen Baubetriebs in Esslingen. Sie sorgen täglich für eine saubere und damit lebenswerte Stadt. Sie leeren Mülleimer, beseitigen Hundekot, fegen die Innenstadtplätze und reinigen die Straßen und Wege. Genau 26 884 Kilometer haben die vier Kehrmaschinen des Betriebshofs im Jahr 2014 mit ihren rotierenden Rundbürsten zurückgelegt. Ihre Touren sind genau geplant, die Arbeitsabläufe optimiert. Im vergangenen Jahr kehrten sie 600 Tonnen Unrat zusammen.

Wenn Muanner Yüksel mit seinem Kollegen durch die Esslinger Innenstadt fegt nerven ihn die gedankenlos weggeworfenen Kippenstummel besonders. Mit seinem Besen bekommt der Mann von der Handreinigung sie nur schwer aus den Fugen zwischen Pflastersteinen. Mühsam pfriemelt er sie heraus und kehrt sie – zusammen mit Kaugummipapierchen und Taschentüchern – in seine Metallschaufel. Ekel empfindet er auch nach mehr als 30 Jahren im Job bei den Exkrementen in den Unterführungen, von denen er weiß, dass sie oft menschlichen Ursprungs sind. Da wundere man sich schon manchmal. Wenn mal jemand ein Papier auf den Boden wirft, findet er das nicht weiter schlimm. „Wenn alle ihren Abfall in den Mülleimer werfen würden, hätten wir keine Arbeit“, sagt er und lacht.

Alles ist „zum Mitnehmen“

Dann hätte Yüksel vermutlich eine andere Aufgabe, denn das Geschäft geht nicht etwa aus, es nimmt Jahr für Jahr zu. „Der Müll ist deutlich mehr geworden“, sagt der technische Betriebsleiter des Betriebshofes,Ralf Lauschke. Einer Studie zufolge, die die Bertelsmann-Stiftung in 34 OECD-Staaten gemacht hat, verursacht Deutschland mit 614 Kilogramm Abfall pro Kopf und Jahr mehr als der Durchschnitt der Industriestaaten. Der liegt bei 483 Kilogramm. Platz 28 für Deutschland – Nachhaltigkeit sieht anders aus.

Lauschke und seine Mitarbeiter sehen, was die Wegwerfgesellschaft ausmacht. Alles ist „zum Mitnehmen“. Der Coffee ist „to go“, das Mittagessen ebenso. Und so türmen sich Berge von Plastikverpackungen und Kaffeebecher in den Papierkörben. 290 Tonnen Abfall fuhren die Laster im vergangenen Jahr in die Container auf dem Betriebshof. Die Menge stammte ausschließlich aus der Handreinigung und den öffentlichen Papierkörben.

„Wenn wir mal zwei Tage nicht ausrücken würden, würde es katastrophal aussehen in der Stadt“, sagt Lauschke. Er kann sich die manchmal eher mangelnde Anerkennung für seine Mitarbeiter nur so erklären: „Abfall ist etwas Minderwertiges das man nicht haben will. So werden auch die Mitarbeiter behandelt.“ Aber ein jeder will saubere Straßen und Wege, Mülleimer, in die er seinen Kaffebecher werfen kann und er will, dass die Innenstadt nach dem Wochenende von den Hinterlassenschaften nächtlicher Partygelage frei ist. Und da finden die Mitarbeiter des Betriebshofs mehr als nur zerbrochene Bierflaschen.

Vom Sofa bis hin zur toten Würgeschlange war alles dabei

Was sich auch türmt, sind die illegal abgeladenen Hausabfälle. Im vergangenen Jahr machte der sogenannte „Wilde Müll“ in Esslingen 17 Tonnen aus. „Die Menge steigt Jahr für Jahr. Das ist ein echtes Problem“, sagt Lauschke. Die Kosten für die Entsorgung trägt der Landkreis. Lauschke weiß, es gibt nichts, was manche Bürger nicht illegal abstellen würden: vom Sofa über den Schrank bis hin zur toten Würgeschlange war alles schon dabei. Für diese Aufgaben gibt es laut dem Betriebsleiter eine Truppe, die ausschließlich mit solchen extra Aufgaben beschäftigt sei. „Die langweilen sich nicht“, sagt Lauschke.

Erwischt werden die Verursacher praktisch nie. Selbst wenn Kontoauszüge mit Namen dabei liegen. „Man müsste sie auf frischer Tat ertappen“, erklärt Lauschke. Was Lauschke allerdings kennt sind aufmerksame Bürger. „Es gibt Leute, die anrufen, wenn Zeug auf der Straße steht“, sagt er. Nicht immer ist das für den Sondertrupp ein Grund um auszurücken. Ein Anruf bei den Kollegen vom Abfallwirtschaftsbetrieb bringt oft Klarheit. „Man soll seinen Sperrmüll erst am Abend zuvor raus stellen, aber daran halten sich viele nicht und machen es auch mal eine Woche vorher“, sagt er.

Bei dem grün-weiß-gestreiften Liegestuhl, den Martina Hermanns an diesem Mittag am Platz der Deutschen Einheit an einem Mülleimer lehnend findet, handelt es sich jedoch nicht um Sperrmüll. Kommentarlos klemmt sie ihn sich unter den Arm und packt ihn auf ihre Ladefläche.