Aus der syrischen Kriegshölle flieht die Familie Alawi in den Kreis Böblingen. Vater Ahmad büffelt in der Volkshochschule täglich Deutsch, damit er bald wieder als Arzt arbeiten und seine Familie ernähren kann.

Böblingen/Aleppo - Wenn seine vier Kinder morgens das Haus verlassen, um zum Kindergarten und zur Schule zu gehen, dann packt auch ihr Vater Ahmad Alawi (Name geändert) seine Tasche und macht sich auf zum Unterricht. Seit zwei Monaten lernt er an der Böblinger Volkshochschule Deutsch – und spricht es schon fast fließend.

 

Auch das Gespräch mit den Zeitungsleuten führt er fast ausschließlich auf Deutsch, nur, wenn er nach einem Wort sucht, wechselt er gelegentlich ins Englische oder Arabische. Mit 46 Jahren muss der Arzt, der 14 Jahre lang eine eigene Radiologiepraxis in Syrien betrieb, wieder die Schulbank drücken. Sein Ziel ist ehrgeizig: „Ich will auch in Deutschland als Arzt arbeiten. Dafür muss ich eine bestimmte Deutschprüfung bestehen und eine Prüfung zur Zulassung machen.“

In seiner Heimatstadt Aleppo war der syrische Kurde ein gemachter Mann: Er hatte ein großes Haus, ein Auto, seine Kinder besuchten renommierte Schulen. Der Krieg, der vor drei Jahren begann, beendete das sorglose Leben der Familie sowie das Millionen anderer Syrer. Die mehrere Tausend Jahre alte Stadt Aleppo, seit 1986 Unesco-Weltkulturerbe, hatte vor dem Krieg fast zwei Millionen Einwohner. Heute ist sie geteilt: Regierungstruppen beherrschen die eine Hälfte, die andere wird von den Oppositionsarmeen kontrolliert. Raketen fliegen in beide Richtungen, zerstören den historischen Stadtkern, töten Zivilisten. Wer kann, flüchtet aus der Kriegshölle. Ende 2012 schickt auch Ahmad Alawi seine Familie nach Deutschland. Er bleibt und arbeitet weiter als Arzt, solange es geht.

Viel Schreckliches sieht er dabei: Einmal wird ein voll besetzter Linienbus von einer Rakete der Regierungstruppen getroffen. 14 schwer verletzte Menschen werden zu Alawi zur Untersuchung gebracht. „Die Praxis schwamm in Blut. Wir mussten stundenlang putzen.“ Die Praxis liegt in der Mitte der Stadt, genau an der Demarkationslinie der verfeindeten Truppen. „Dort liegen die Scharfschützen Tag und Nacht auf der Lauer“, erzählt Alawi.

Irgendwann wird dann das Stromnetz gekappt, die radiologischen Geräte funktionieren nicht mehr. Der Arzt muss seine Praxis schließen. Er flüchtet in die Türkei, wo eine Schwester lebt, beantragt von dort aus Asyl in Deutschland, um zu seiner Familie zu kommen. Diese hat mittlerweile eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis erhalten, lebt in einem kleinen Ort im Kreis. Wo genau will Ahmad Alawi nicht sagen, auch seinen richtigen Namen möchte er nicht in der Zeitung lesen und auch nicht auf dem Foto erkannt werden. „Meine Eltern und vier Brüder leben mit ihren Familien in Aleppo. Es ist gefährlich für sie, wenn ich in der Zeitung bin.“

Verwandtschaft lebt mitten im Kriegsgebiet

Der Arzt hat beim Landratsamt den Zuzug seiner Verwandten beantragt. Thomas Gonther-Belge, der Chef der Abteilung für Ausländerangelegenheiten, bestätigt, dass es bis Mitte Februar für hier lebende Syrer diese Möglichkeit gegeben hat. „Aber wir geben diese Anträge an das Land weiter. Wer dann kommen darf, das liegt nicht in unserer Hand.“

Ahmad Alawi hofft, dass seine Familie zu den Auserwählten gehört. Die Situation sei für sie unerträglich. „Unsere Familie ist gegen den Krieg. Aber im Moment hat man in Syrien keine Wahl. Wenn man überleben will, muss man entweder für die Assad-Regierung sein oder für die Opposition – je nachdem, wo man wohnt.“ Seine Verwandten leben mitten im Assad-Gebiet. Als Kurden gehörten die Alawis schon immer zu einer Minderheit in Syrien. Aus politischen Dingen hätten sie sich aber stets rausgehalten, sagt Ahmad Alawi. Alles, was er für seine Familie will, ist ein sicheres Leben.

Ein Alltag ohne Scharfschützen

Und so ist er dankbar, dass er in Deutschland ist. „Hier können meine Kinder auf die Straße gehen, ohne dass Scharfschützen auf sie schießen.“ Auch, wenn das Leben in der Fremde nicht immer einfach sei, hätten seine Kinder hier eine Zukunft. Am einfachsten falle der Jüngsten, der sechs Jahre alten Rania, das Einleben: „Sie spricht am besten Deutsch von allen.“ Doch auch ihr Vater tut alles dafür, sobald wie möglich als Arzt arbeiten und dann mit seiner Familie aus der beengten 60-Quadratmeter-Wohnung in ein größeres Haus umziehen zu können.

Am meisten liegt dem Mann aus Aleppo aber etwas ganz anderes am Herzen: „Ich möchte alle Kriege dieser Welt beenden. Alle Menschen sollen friedlich zusammenleben.“ Beim Gehen dreht er sich noch einmal um: „Schreiben Sie das unbedingt in die Zeitung.“