In der grandiosen Apple-Serie „The Morning Show“ mit Jennifer Aniston und Reese Witherspoon ist das Frühstücksfernsehen Schlachtfeld der Metoo-Debatte, Jahrmarkt der Eitelkeiten und ein Ort, an dem sich der Journalismus täglich neu infrage stellen muss.

Freizeit & Unterhaltung : Gunther Reinhardt (gun)

Stuttgart - Mal sind sie Schmierfink, mal erhobener Zeigefinger, mal sensationslüsterner Schmarotzer, mal eine moralische Instanz: Reporter. Das Kino und das Fernsehen lieben Reporterstorys. Denn Journalisten – so zumindest die filmische Fantasie – sind stets ganz nah dran an den aufregenden Seiten des täglichen Lebens, ob es dabei um das Schicksal von Kriegsflüchtlingen geht oder um das Dolce Vita der Reichen und Schönen, um die kriminellen Machenschaften eines Wirtschaftsunternehmens oder den nächsten Politikerskandal.

 

Zwar muss der Journalismus derzeit an vielen Fronten kämpfen, wenn es um Glaubwürdigkeit, Seriosität und Reichweite geht. Schließlich hat US-Präsident Donald Trump Institutionen wie CNN, der „Washington Post“ oder der „New York Times“ den Krieg und alle etablierten Medien prinzipiell zu Fake-News erklärt. Seit dem Fall Relotius ist in Deutschland das Image des Qualitätsjournalismus arg ramponiert. Und dann sind da noch Facebook, Twitter und Co., die die traditionellen Medienmarken das Fürchten lehren. Aber zum Glück glaubt auch der neue Streamingdienst Apple TV+ immer noch fest an den Journalistenjob – und schickt nun in dem Seriendrama „The Morning Show“ Jennifer Aniston und Reese Witherspoon vor die Kamera, um das Berufsbild wieder ein bisschen aufzupolieren.

Reese Witherspoon als mausgraue Idealistin

Reese Witherspoon ist Bradley Jackson, eine mausgraue TV-Journalistin, die im US-Hinterland als Reporterin für einen Provinzsender in einem Van von Kaff zu Kaff reist. Sie ist eine hartnäckige Idealistin, die trotz aller Frustrationen ihren Job mit heiligem Eifer betreibt. Dass sie plötzlich als Gast in der populären Nachrichtensendung „The Morning Show“ sitzt, hat sie jedoch nicht etwa ihrer hochklassigen Berichterstattung zu verdanken, sondern einem heimlich gefilmten Video, das auf Youtube millionenfach Likes sammelt. Da ist zu sehen, wie sie die Contenance verliert, als sie sich mit einem Gegendemonstranten anlegt und ihm kreischend klar macht, dass er es eigentlich ist, der Fake-News aufgesessen ist.

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Die Geschichte von Bradley Jackson, die ausgerechnet mit diesem öffentlichen Zusammenbruch die größte Chance ihrer Karriere bekommt, ist einer der drei großen Handlungsbögen, die „The Morning Show“ in ihren bisher drei veröffentlichten Episoden ausbreitet. Der zweite Handlungsstrang gehört der Frau, die ihr im Fernsehstudio gegenübersitzt: Jennifer Aniston spielt Alex Levy, die seit vielen Jahren Gastgeberin der „Morning Show“ ist. Sie hat schon mehrere US-Präsidenten mit ihrem charmant-kühlen Fragestil interviewt. Mit solchen Erfolgen tröstet sie sich darüber hinweg, dass sie einsam ist und kein Privatleben hat.

Steve Carell als Sextäter

Levy ist gerade dabei, einen neuen Vertrag mit dem TV-Sender auszuhandeln. Und sie ahnt, dass dafür jetzt nicht der günstigste Zeitpunkt ist. Denn gerade hat der Sender – im dritten großen Handlungsbogen – Levys langjährigen Co-Moderator Mitch Kessler (Steve Carell) gefeuert. Gleich mehrere ehemalige Kolleginnen haben ihm sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Er hält sich selbst zwar für unschuldig („Der Sex war immer einvernehmlich!“), und bisher ist offiziell noch keine Klage erhoben worden, der Sender wirft den Mann, der viele Jahre neben Levy das Gesicht der „Morning Show“ war, aber sofort hinaus und distanziert sich öffentlich von ihm und seinem Verhalten.

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Wäre „The Morning Show“ ein Märchen, hätte Reese Witherspoon die Rolle des Aschenputtels, Jennifer Aniston wäre die Eisprinzessin und Steve Carell der böse Wolf. Doch so einfach macht es sich die Serie, die von Kerry Ehrin geschrieben und von Mim Leder inszeniert wurde, nicht. Derartige Rollenmuster werden hier nur vorgeführt, um sie dann hinterlistig zu brechen.

Das Fernsehstudio als Märchenschloss

Und der Senderchef Cory Ellison (Billy Crudup), der Bradley Jackson in dieses moderne Traumschloss holt, das das New Yorker Fernsehstudio ist, in dem der Quotenhit „The Morning Show“ produziert wird, ist natürlich auch nicht wirklich der Märchenprinz, für den er sich hält.

Nein, „The Morning Show“ ist kein modernes Märchen, sondern ein sensationell dicht erzähltes Seriendrama, das drei ganz unterschiedliche Geschichten virtuos miteinander verzahnt, das Nachrichtengeschäft vorwiegend aus der Perspektive weiblicher Protagonisten erzählt und stark von der Metoo-Debatte geprägt ist. Vorbild für Mitch Kessler war offensichtlich Matt Lauer, der zehn Jahre Co-Gastgeber der NBC-Frühstücksnachrichtenshow „Today“ war, im November 2017 aber wegen sexueller Übergriffe gefeuert wurde.

Jennifer Aniston spielt mit unterkühltem Charme

Der Komiker Steve Carell („Das Büro“) hat sich noch nie zuvor an so einen ernsten Stoff herangewagt. Er gibt dem gefeuerten Moderator, der sich selbst konsequent als Opfer sieht, eine mürrische Selbstgefälligkeit mit. Während Mitch Kesslers Geschichte der Serie eine aktuelle Wendung gibt, ist der Handlungsbogen, in dessen Mittelpunkt Reese Witherspoon als Bradley Jackson steht, vielleicht die konventionellste.

Die Story von der unbestechlichen, unbeirrbaren Journalistin, die sich durch alle Widerstände trotzend durchbeißt, gibt es im Kino und im Fernsehen schon in zahlreichen Variationen. Und zwischen diesen beiden Figuren thront mit unterkühltem Charme die Moderatorin Alex Levy. Jennifer Aniston spielt in ihrem Serien-Comeback grandios eine Frau, die wie jeder gute Journalist mittlerweile gelernt hat, die Krise als Chance zu begreifen.

„The Morning Show“: Die ersten drei Episoden sind bei Apple TV+ abrufbar.