Die Rockabilly-Legende Shakin’ Stevens hat in in der Liederhalle die Menge verzückt, trotz harscher Auflagen: Vom Sitzplatz aufstehen und tanzen war eigentlich nicht vorgesehen.

Stuttgart - Jeansaufschläge bis zur Schienbeinmitte, bombenfest ondulierte Stirntollen, Petticoats und Stöckelschuhe: Bis heute ist der Rockabilly-Dresscode unverkennbar. So formvollendet wie am Sonntagabend im Beethovensaal der Liederhalle kann man den extravaganten Stil aber nur noch selten bewundern. Die rotzige, schwungvolle Spielart des Rock’n’Roll mitsamt dazugehöriger Subkultur existiert nach den Hochzeiten in den Fünfzigern und Achtzigern des vorigen Jahrhunderts in Insider-Nischen weiter. Shakin’ Stevens etwa, neben dem Gitarrenvirtuosen und „Stray Cat“ Brian Setzer einer der wichtigsten Vertreter der zweiten Rockabilly-Welle, rockte mit seiner Band The Sunsets seit den Sechzigern die Bühnen und seit den späten Siebzigern auch solo die Charts.

 

Zum Konzert „Shakin´ Stevens Greatest Hits – And More!“ kommen zwar immer noch viele treue Fans, voll besetzt ist der Beethovensaal an diesem Abend aber nicht. Das mag dem Umstand geschuldet sein, dass der inzwischen 70-jährige lange Zeit aus dem Rampenlicht verschwunden war. In den Neunzigern war das Interesse der Massen am klassischen Rock’n’Roll weitgehend erlahmt. Shakin’ Stevens’ Versuche, seine Karriere wieder in Schwung zu bringen, scheiterten aber nicht nur an den harschen Gesetzen des Musikmarktes, sondern auch an einem schweren Herzinfarkt, der den für seinen lasziven Hüftschwung bekannten Künstler 2010 ans Krankenbett fesselte.

Der Enthusiasmus der Fans beeindruckt

Doch nun ist Shakin’ Stevens zurück. Seinen lässigen Jeanslook von einst hat er gegen einen schmalgeschnittenen, schwarzen Anzug getauscht, das Alter hat es gut gemeint mit dem Waliser. Schlank, gesund gebräunt, mit blaugetönter Brille und dunklem Haar betritt er nach seiner neunköpfigen Begleitband die Bühne. Und sofort ist die Menge im bestuhlten Saal elektrifiziert. Nach den ersten sechs Takten stürmen vor allem weibliche Fans an die Rampe. Das zuvor ausgesprochene Foto- und Videoverbot wird fröhlich ignoriert, überall blinken Smartphone-Displays im Halbdunkel. Zwei Frauen entrollen ein Banner mit aufgemaltem Herzmotiv zum 1985 aufgenommenen Song „Turning away“, den Stevens nach wie vor mit Druck und Drive in der klaren Stimme intoniert. Manche schwofen verzückt zwischen den Stuhlreihen. Der Enthusiasmus der Fans ist beeindruckend, die teils leeren Stühle sind schnell vergessen.

Die unbeholfen aus Datenbank-Bildern zusammengebastelte Videoshow auf einer Leinwand hoch über den Köpfen der Musiker hätte es nicht gebraucht, die Stimmung ist auch ohne zusätzliche Animation schon nach dem zweiten Song überschwänglich. Schade, dass der Spaß nach kurzer Zeit gedeckelt wird. Nach den letzten Takten von „It’s raining“ tritt der Konzertmanager auf die Bühne und bittet Stevens, das Publikum zurück auf die Plätze zu verweisen. Aus Rücksicht vor Gästen, die nicht tanzen, sondern das Konzert vom Sitzplatz aus genießen möchten. Die strengen Auflagen sorgen bei einigen Besuchern für Unmut, der sich in der Pause in erhitzten Diskussionen entlädt.

Stevens liefert ein strammes Programm

Die die durchgehende Bestuhlung wirkt tatsächlich deplatziert angesichts der ungebrochenen Wirkungsmacht von Stevens’ gradlinigem Rock’n’Roll, bei dem neben E- und Akustikgitarren auch Mandoline, ein strahlendes Saxofon und und eine virtuos modulierte Mundharmonika zum Einsatz kommen. Frei nach dem Motto: „Ein bisschen Anarchie muss sein!“, drängt die Fangemeinde in den letzten Zügen des Konzertes wieder nach vorn. Verdattert und ein bisschen ratlos stehen die Saalordner vor der kreischenden, singenden, swingenden Menge. Shakin’ Stevens hat ein strammes Programm abgeliefert. Nur selten, dafür herzlich, interagiert er mit dem Publikum. „Time goes fast, so let’s not waste it“, fordert er. Denn schließlich geht es auch im Rock’n’Roll immer nur um das Eine: Um das nackte, schöne, wilde Leben.