Sheila Heti ist eine der wichtigen Autorinnen ihrer Generation. Mit ihrem provokanten Buch „Mutterschaft“ gibt sie denen eine Stimme, die sich bewusst gegen Elternschaft entscheiden.

Psychologie und Partnerschaft: Eva-Maria Manz (ema)

Stuttgart - Als „normale Sorte Frau“ gilt gemeinhin jene, die „ein Kind will und es auch bekommt“. In dieser Logik basiert die Wandlung der Frau zur Mutter auf innerer Gewissheit, vergleichbar jener, dass auf die Kindheit irgendwann die Pubertät und auf diese wiederum das Erwachsensein folgt. Den schicksalhaften Kinderwunsch fühlt die Erzählerin in Sheila Hetis neuem Roman „Mutterschaft“ jedoch nicht, das „Signal“, den „Ruf“ hört sie nicht. Die Selbstverständlichkeit, mit der plötzlich alle ihre Freundinnen zuerst einen dicken Bauch und dann einen Kinderwagen vor sich herschieben – und damit von einem auf den anderen Tag wie in einem fremden Universum leben – ist ihr fremd.

 

Bücher über Mutterschaft gibt es zur genüge, doch Bücher gegen Mutterschaft? Die sind auch heute noch eine Provokation, schließlich hat „eine nicht mit Kindern beschäftigte Frau etwas Bedrohliches. Was wird sie stattdessen machen? Was für einen Ärger?“ Die kanadische Autorin Sheila Heti ist Anfang 40 und hat keine Kinder. Wie schon in ihrem Erfolgsdebüt „Wie sollten wir sein“ erzählt sie auch in „Mutterschaft“ eine Geschichte, die ihre eigene sein könnte. Weltweit wird ihre Literatur gefeiert, gilt sie als eine der wichtigsten Stimmen ihrer Generation. Als Sheila Hetis „Mutterschaft“ vergangenes Jahr im englischsprachigen Ausland erschienen ist, wurde es in den Feuilletons besprochen, auch in manchen deutschen und französischen Medien, obwohl noch gar keine Übersetzungen auf dem Markt waren. Wohl mitunter deshalb, weil die Sehnsucht nach Leitfiguren für Frauen, nicht erst seit Metoo, ungemein groß ist.

Seelischer Meteoriteneinschlag beim Verlassen der Geburtsklinik

Und während die Möglichkeiten, Eltern zu werden und einem Kind eine Familie zu schenken, heute so vielfältig wie nie zuvor scheinen, sind in den vergangenen Jahren etliche Beiträge erschienen, die Mutterschaft als elementare Krisenerfahrung beschreiben, etwa Orna Donaths „Regretting Motherhood“ oder zuletzt Antonia Baums „Stillleben“. Jenes Muttersein, was die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken einmal die „Berufung der Frau zur Mutter“ genannt hat, ist schon lange kein Ideal mehr. Doch an seine Stelle scheint nichts Neues getreten zu sein, zumindest nichts, was für eine große Mehrheit funktioniert. Frauen wollen arbeiten, wollen kreativ sein, wollen Kinder – doch alles zusammen gibt es offenbar nur für die wenigsten. Wäre der Wunsch danach gar „gierig“? Das fragt sich Hetis Erzählerin. Miles, ihr Freund, meint, man könne „entweder als Künstler großartig sein und als Eltern medioker oder umgekehrt, aber nicht beides zugleich“.

Schon Virginia Woolfe proklamierte, gerade jene Frauen, die schreiben wollten, etwas erschaffen, bräuchten ein „Zimmer für sich allein“. Und die Herausforderung, intellektuell unabhängig und scharf zu denken und sich zugleich liebevoll einem Kind zuzuwenden, ist tatsächlich eine gigantische, wenn auch meist banal alltagspraktische. Während der seelische Meteoriteneinschlag beim Verlassen der Geburtsklinik, jenes grundsätzliche Gefühl elementarer Verwundbarkeit einen schon gewaltig aus der Bahn werfen und vorübergehend blind für die Welt ringsum werden lassen kann.

Sheila Hetis Erzählerin will all das für sich nicht. Deshalb fühlt sie sich schuldig, abnormal, sie ringt mit ihrer Entscheidung. Und sie hat große Angst davor, ihre Entscheidung gegen ein Kind „in alle Ewigkeit“ zu „bereuen“. Sie stammt wie Heti selbst von ungarischen Juden ab, die den Holocaust überlebt haben, was ihr Schuldgefühl noch verstärkt, hört sie doch eine innere Stimme, die sagt: „Wenn du keine Kinder kriegst, haben die Nazis doch noch gewonnen.“

Das große Dilemma junger Frauen

Soll sie sich also trotz all ihrer Vorbehalte für ein Kind entscheiden, bevor es zu spät ist? Ihre Suche nach Antworten hat Hetis Protagonistin angelegt wie ein empirisches Experiment – ganz in der Arbeitstradition ihrer Mutter, einer verbissen schuftenden, depressiven Pathologin, an der sich die Tochter abarbeitet (denn der Mutterschaft, das weiß jeder, kann man sich nicht annähern, ohne dabei mit weit geöffneten Augen auf die Beziehung zur eigenen Mutter zu schauen). Bis zu ihrem 40. Geburtstag – zu Beginn des Romans ist die Erzählerin 37 – möchte sie Gewissheit, und sie fasst einen Plan, möchte mit Freunden über deren Leben mit Kindern sprechen, und sie befragt sich unentwegt selbst, analysiert die eigenen Träume und Wünsche. Seiner strukturierten Methodik hat es der Roman zu verdanken, stets intellektuell zu bleiben, nie gefühlig oder klischeehaft zu werden.

„Mütter fühlen sich wie Verbrecherinnen, Kinderlose auch“, stellt die Erzählerin bei ihren Begegnungen fest, und das scheint, folgt man politischen und gesellschaftlichen Debatten dieser Zeit, das große Dilemma junger Frauen zu sein, die sich und ihre gesellschaftliche Rolle seit Metoo so hartnäckig wie zuletzt nur in den 1970er Jahren hinterfragen. Autorinnen, die sich mit Feminismus beschäftigen, wie hierzulande etwa Margarete Stokowski, werden gefeiert wie Popstars.

Dornenwald voller Ansprüche, Wünsche

In vielen Sequenzen beschreibt Heti den schwelenden Konflikt zwischen Müttern und Nicht-Müttern, doch auch die Last der Hormone im Monatszyklus und die daraus resultierenden Launen, die bei etlichen der Frauen dazu geführt hätten, dass diese „vor dem Einsetzen ihrer Periode ein oder zwei Wochen lang Antidepressiva“ nehmen. „Mutterschaft“ zeigt heutiges Frausein als das Schlachtfeld, das es anscheinend immer mehr ist (nicht weniger, oder anders eben, als wohl auch das Mannsein). „Frauen in den 30er, die endlich ein bisschen was im Kopf haben“ kämpfen sich bei Heti mit der Machete durch einen Dornenwald voller Ansprüche, Wünsche und eben immer noch sehr vielen Einschränkungen.

Dabei kinderlos zu bleiben, muss keine reine Defiziterfahrung sein. Sheila Heti wird mit ihrem provokanten Buch zu einer starken Stimme für all jene, die sich bewusst gegen Elternschaft entscheiden. Die Ausschließungsmechanismen, die sie aufruft, muss man nicht gutheißen, doch als Facetten moderner Weiblichkeit anerkennen. Die Erzählerin setzt ihr Schreiben und ihr literarisches Werk an die Stelle des nie geborenen Kindes. Dem „Weinen der Mutter“ stellt sie in einem Akt der Selbstermächtigung ihr literarisches Werk entgegen, die Geschichte der Frauen in ihrem Leben. Eine Frau ohne Kinder hat nichts verloren, meint sie, denn sie kennt es ja nicht anders. Vielmehr hat auch sie etwas gewonnen, am Ende ihres Entscheidungsprozesses stellt sie fest: „Du fängst dein Leben nochmal von vorne an, diesmal mit dir selbst.“

Sheila Heti: Mutterschaft. Roman. Übersetzt von Thomas Überhoff. Rowohlt-Verlag. 320 Seiten, 22 Euro.