Mikaela Shiffrin, Sven Kramer und Martin Fourcade, Dominatoren ihrer Disziplinen, warten bislang vergeblich auf die zweite Goldmedaille. Vorerst gibt es in Pyeongchang nur eine Athletin, die zwei Einzelrennen gewonnen hat.

Pyeongchang - Sie saß auf einer provisorisch zusammengezimmerten Holztreppe irgendwo in der Ecke, das personifizierte Häufchen Elend. Die Schultern hingen schlaff herunter, der Blick apathisch. Sieht so die weltbeste Slalomfahrerin aus? Ja – aber nur, wenn sie gerade die schlimmste Niederlage ihrer Karriere verarbeiten muss. Mikaela Shiffrin war getroffen. Tief getroffen. Und das nur einen Tag nach ihrem Olympiasieg im Riesenslalom. Oder gerade deshalb. Ein paar Meter weiter feierte Frida Hansdotter, die Cousine des schwedischen Prinzen Daniel, ihre sensationelle Goldmedaille. Shiffrin war um acht Hundertstel am Podest vorbeigefahren, aber das ist ihr dann auch vollends egal gewesen. Wer den Slalom so dominiert wie sie, für den zählt nur Platz eins. Wie vor vier Jahren in Sotschi, wie bei den Weltmeisterschaften 2013, 2015, 2017. Wie in jedem Rennen.

 

Mikaela Shiffrin scheitert an den eigenen Erwartungen

Als sie sich nach einer halben Stunde einigermaßen gesammelt hatte und aufgestanden war, zeigte sie echte Größe. „Ich war heute einfach nicht ich selbst“, sagte die US-Amerikanerin. „Ich glaube, ich bin an meinen eigenen Erwartungen gescheitert.“ Am Druck, den sie sich gemacht hat. Am Loch, in das sie nach dem emotionalen Hoch vom Vortag gefallen ist. „Ich weiß, es klingt jetzt arrogant, wenn ich sage, dass ich die stärkste Slalomfahrerin der Welt bin“, sagte Shiffrin (22): „Aber das habe ich oft genug gezeigt. Doch heute bin ich an dieses Niveau nicht annähernd rangekommen, habe mich selbst geschlagen. Auch weil ich es nicht geschafft, mich auf zwei olympische Rennen an zwei Tagen zu konzentrieren.“ Und damit steht sie nicht alleine.

Es ist bisher ein Trend in Pyeongchang, dass sich selbst die Superstars schwertun, ihrem ersten Olympiasieg einen weiteren folgen zu lassen. Das verflixte zweite Gold? Zumindest gibt es etliche Beispiele für diese These. Nicht nur Mikaela Shiffrin.

Sven Kramer – „vom Phänomen zum Mysterium“

Biathlet Martin Fourcade (Frankreich) gewann zwar die Verfolgung nach einer beeindruckenden Aufholjagd, ging im Einzel über 20 Kilometer aber leer aus. Sven Kramer, der erfolgreichste Eisschnellläufer der Geschichte, siegte zum dritten Mal bei Olympia über 5000 Meter, lief über 10 000 Meter als Sechster aber derart weit hinterher, dass der „Telegraaf“ titelte: „Vom Phänomen zum Mysterium“. Die Liste lässt sich fortsetzen. Langläufer Simen Hegstad Krüger siegte im Skiathlon im Alleingang – obwohl er nach dem Start gestürzt war. Über 15 Kilometer musste er sich Dario Cologna (Schweiz) geschlagen geben. Aksel Lund Svindal (Norwegen), einer der größten Skifahrer überhaupt, gewann zwar Abfahrtsgold, wurde tags drauf im Super-G aber nur Fünfter. Langläuferin Charlotte Kalla gelang das Kunststück, Norwegens Superstar Marit Björgen zweimal hinter sich zu lassen. Doch nach Gold im Skiathlon musste sich die Schwedin über zehn Kilometer mit Silber zufriedengeben – hinter Ragnhild Haga (Norwegen).

Ist das alles nur Zufall? Nein. Sagt zumindest eine, die es wissen muss. Dominique Gisin war am Freitag an der Slalomstrecke, als Mikaela Shiffrin vergeblich dem zweiten Gold hinterherjagte. Die Schweizerin, 2014 in Sotschi Olympiasiegerin in der Abfahrt, hat sich nicht gewundert, dass dieses Vorhaben scheiterte. „Shiffrin ist nicht so perfekt gefahren wie sonst“, meinte Gisin. „Es war wohl einfach emotional zu viel für sie. Was mit einem Olympiasieger passiert, ist verrückt. Da ist man kaum noch Herr seiner selbst, wird nur noch rumgeschubst. Und man hat selbst nicht mehr viel zu sagen.“ Außer in Interviews, die aber bei der 20. TV-Station auch einsilbig werden können. Dazu kommen Pressekonferenz, Dopingkontrolle, ein Besuch in dem Haus, das der nationale Verband für ausgiebige Feiern gemietet hat. Es gibt Schulterklopfer ohne Ende, und das Handy läuft auch noch über vor lauter Glückwünschen.

Für Olympiasieger ist es unmöglich, zur Ruhe zu kommen

Zur Ruhe zu kommen ist unmöglich. „Das kann einem die Kraft rauben“, sagte Gisin, die in Sotschi nach ihrem Abfahrtsgold auch kein richtig gutes Rennen mehr hinbekam. Was auch mentale Gründe hatte: „Nach so einem Erfolg ist die Spannung weg.“ Und nur schwer wieder aufzubauen – „weil bei Olympia so viel auf einen einstürmt“, sagt die Schweizerin.

Umso erstaunlicher ist, was Laura Dahlmeier in Pyeongchang leistet. Abgesehen von den Rodlern Natalie Geisenberger und Tobias Wendl/Tobias Arlt, die ihr zweites Gold im Teamwettbewerb gewonnen haben, ist die Biathletin bislang die einzige Doppel-Olympiasiegerin dieser Spiele. Und Bronze hat sie zudem noch geholt. Das ist außergewöhnlich, geht aber natürlich auch der Ausnahmekönnerin gehörig an die Substanz. Nach ihrem Erfolg in der Verfolgung sagte sie einen Besuch im ZDF-Studio ab. „Sie ist einfach komplett hinüber“, erklärte Stefan Schwarzbach, Sprecher des Deutschen Skiverbandes. Und Bundestrainer Gerald Hönig meinte: „Laura ist auch nur ein Mensch. Irgendwann muss selbst sie sich erholen.“

In den nächsten Tagen warten neue Chancen

Schließlich stehen für Dahlmeier weitere wichtige olympische Rennen an, als Nächstes der Massenstart an diesem Samstag (12.15 Uhr/MEZ). Und den anderen Stars bieten sich ebenfalls neue Chancen, natürlich auch Mikaela Shiffrin. Ob sie nächste Woche in der Abfahrt starten wird, wusste sie am Freitag noch nicht. Aber bis zum Teamwettbewerb will sie auf jeden Fall wieder fit sein. Körperlich.

Aber vor allem auch mental.