Shinrin Yoku ist eine japanische Erfindung gegen Stress und Burn-Out – und ganz einfach umzusetzen.

Böblingen: Kathrin Haasis (kat)

Bebenhausen - Die Vögel pfeifen, Bienen summen, und wenn der Wind durch die Blätter raschelt, klingt es ein wenig wie Regen. Zwischen den grünen Wipfeln blitzt blauer Himmel durch, die Sonnenstrahlen tänzeln wie ein Lichtspiel um die Bäume herum, und in die Nase steigt ein Duft nach Moos, Holz und Tannenharz. „Es ist göttlich“, sagt Philippe Clédon. Und damit ist Shinrin Yoku schon fast erklärt: Waldbaden heißt die japanische Erfindung gegen Burn-out und Stress am Arbeitsplatz, die eigentlich nur darin besteht, die Natur mit allen Sinnen zu genießen. Wobei der Biologe Philippe Clédon durchaus ein paar wissenschaftliche Erklärungen für die Wirksamkeit der einfachen Therapie hat.

 

Mit Outdoor-Hängematte und Airlounger

„Ich habe es gerne gemütlich“, sagt der Coach. Man könnte sich nur an einen Baum lehnen, aber er zieht eine Hängematte und ein Luftkissen aus seinem Rucksack, denn beim Waldbaden wird tatsächlich nichts anderes gemacht, als im Wald zu baden – so passiv wie möglich. Es geht darum, die Nadelbäume zu riechen, das Grün der Blätter zu sehen, die Tiere und den Wind zu hören, die Natur zu spüren. Als in Japan in den 80er Jahren die Selbstmordrate nach oben schnellte und die Zahl der Fälle von Burn-out rasant zunahm, besann sich die Regierung auf die ausgedehnten Wälder des Landes. Tomohide Akiyama, der Leiter der Forstverwaltung, entwickelte das Konzept des Waldbadens. Es setzt vor allem auf die Wirkung der Terpene, die ätherischen Öle, die von Nadelbäumen ausgestrahlt werden, und die Phytonzide mit ihrer antibiotischen Wirkung. Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass im Wald die Hirnaktivität abnimmt und der Blutdruck sinkt.

„Das ist hier Slowleben“, sagt Philippe Clédon in der Hängematte – und in Anlehnung an die Bewegung Slow Food. Der Wald hat heilsame Kräfte, die auf die Physiologie und die Psychologie des Menschen wirken, ist er überzeugt. Wichtig beim Waldbaden sei, dass keine Tätigkeit ausgeübt werde. Und das müssten manche Menschen erst wieder lernen. „Es gibt kein WLAN in der Natur, aber ich verspreche ihnen: Es gibt dort eine bessere Verbindung“, wirbt er für seinen Kurs.

Mit seiner Gruppe marschiert er in den Wald, bis er eine Lichtung mit Aussicht gefunden hat, die weit genug weg ist von allen Wanderwegen und die nötige Ruhe bietet. Bäume werden bei Clédon nicht umarmt, das ist ihm „ein bisschen zu esoterisch“. Dehn- und Atemübungen gehören aber zu seinem Programm oder das Abtasten von Fundstücken aus dem Wald wie ein Ast, ein Blatt oder ein Stein. Mit Tönen aus seiner Klangschale leitet er die Meditation ein. „Dann wird nichts mehr getan“, erklärt er, bis der Coach das Ausstiegssignal gibt. Am Ende spricht er mit seinen Teilnehmern noch über ihre Erfahrungen.

Der Coach kann einen Vortrag halten

Philippe Clédon arbeitet eigentlich als Laborleiter an der Uniklinik Tübingen. Nebenher ist er als Sporttrainer tätig und unterrichtet alle möglichen Sportarten wie Nordic Walking, Stand-up Paddling und Mountainbiken. „Ich bin oft im Wald“, sagt er. Und schließlich kamen zwei Dinge zusammen: Er bekam ein Buch zum Geburtstag geschenkt über die heilsamen Kräfte des Waldes und stieß im Internet per Zufall auf ein Video über Shinrin Yoku. Seither hat er viel darüber gelesen und kann ganze Vorträge über das Waldbaden halten. Bei der Verwaltung des Naturparks Schönbuch stellte er das Konzept vor, und diesen Sommer bietet er in dessen Veranstaltungsprogramm erstmals das Anti-Stress-Programm an. „Wir haben keine Achtsamkeit mehr“, findet Philippe Clédon. Er macht zu großen Teilen das Internet dafür verantwortlich. Waldbaden biete dagegen einen Weg „zu mehr Fülle im Leben“, sagt er.