Shkodran Mustafi ist erst kurz vor der Abfahrt auf den Zug nach Brasilien aufgesprungen und am Ende Weltmeister geworden. „Das gibt dir einen Schub. Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille“, sagt der 22-Jährige vom FC Valencia im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung.

Berlin - Shkodran Mustafi ist erst kurz vor der Abfahrt auf den Zug nach Brasilien aufgesprungen und am Ende Weltmeister geworden. „Das gibt dir einen Schub. Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille“, sagt der 22-Jährige vom FC Valencia.

 
Herr Mustafi, vor der WM waren Sie in Deutschland weitgehend unbekannt. Wie ist es jetzt für Sie, wenn Sie in Berlin durch die Straßen laufen?
Es hat sich alles verändert. Ich war vorher nicht auf dem Radarschirm der Leute. Inzwischen werde ich überall in Deutschland erkannt. Das empfinde ich als angenehme Veränderung. Es gibt mir ein schönes Gefühl.
Viele Spitzenfußballspieler empfinden das mittlerweile nicht mehr als angenehm. Bei Ihnen ist es also tatsächlich noch anders?
Solange die Leute mir nicht an den Klamotten ziehen, was eher selten vorkommt, macht mir das Spaß. Ich kann mir aber vorstellen, dass Spieler wie Ronaldo, Messi oder einige meiner Kollegen bei der Nationalmannschaft das anders empfinden.
Wie fühlt es sich sonst an, das Leben eines Weltmeisters?
Man läuft natürlich mit einer viel breiteren Brust durch die Gegend. Du weißt, du hast etwas ganz Großes erreicht und kannst dir in den Spielen auch mal was zutrauen. Das gibt dir einen Schub, ein gutes Gefühl. Aber es gibt auch die andere Seite der Medaille.
Nämlich?
Ich spüre auch, dass so ein Titelgewinn die Aufgaben danach erschwert. Denn es gibt plötzlich neue, viel höhere Erwartungen, die man erfüllen muss. Das ist für einen jungen Spieler nicht ganz einfach. Ich bin erst 22, da macht man natürlich noch Fehler. Als Weltmeister darfst du aber keine Fehler mehr machen. Egal, ob du 19 bist oder 35 – jedenfalls wird das von vielen so erwartet. Von nun an gilt es auf jeden Fall, den WM-Sieg zu bestätigen. Es lastet also mehr Druck auf mir.
Das klingt kompliziert.
Ich will mich gar nicht beschweren. Ich erwähne das nur, weil jeder denkt, dass jetzt nur noch alles rosarot ist. Ganz so einfach ist es aber nicht. Trotzdem: es überwiegt natürlich der Schub, den man von einem WM-Titel mitnimmt.
Sie sind nach der WM für acht Millionen Euro von Sampdoria Genua nach Valencia gewechselt. Wie hatte sich die Marktlage durch den Titel verändert?
Ich stand bei der WM auf der größten Bühne, auf der ein Fußballspieler stehen kann. Das hat natürlich Einfluss. Aber ich denke nicht, dass die Vereine, die mich verpflichten wollten, das nur wegen der WM getan haben. Die haben mich bestimmt schon längerfristig beobachtet. Sonst hätte ich keinen Fünfjahresvertrag beim FC Valencia bekommen.
Hat man als Weltmeister die freie Auswahl?
Freie Auswahl ist schwierig, wenn man noch einen Vertrag bei seinem alten Verein hat. Sampdoria hatte natürlich auch etwas mitzureden. Da hat man dann nicht mehr die freie Auswahl. Ich bin aber sehr glücklich darüber, wie professionell und fair sich Sampdoria verhalten hat. Sie haben nicht übertrieben und gesagt: der Junge ist Weltmeister, jetzt wollen wir 30 Millionen. Sie haben eine realistische Summe gefordert.
Der VfB Stuttgart, so heißt es, sei auch interessiert gewesen.
Es gab Angebote, das stimmt. Ich habe mir alles angehört und alles mit meinen Leuten durchgesprochen – und letztlich haben wir uns für Valencia entschieden. Das war der richtige Schritt.
Warum?
Ich habe den Wechsel nicht erzwungen, sondern mir das ganz genau überlegt. Wenn ich beispielsweise von Genua zu Juventus Turin gewechselt wäre und dort nun nicht spielen würde, könnte ich die Erwartungen nicht erfüllen und mich nicht weiterentwickeln. Deshalb habe ich gesagt: ich will nicht zu einem absoluten internationalen Topclub, wo ich riskiere, auf der Bank zu sitzen.
Jetzt sind sie mit Valencia Dritter und haben zuletzt sogar drei Tore erzielt.
Bislang läuft es super. Ich bin sehr glücklich, in Valencia angekommen zu sein.
Wird man in der Kabine anders, ehrfurchtsvoller angeschaut, wenn man Weltmeister ist?
Am Anfang haben die Jungs mich tatsächlich ausgefragt, wie es war. Die waren schon neugierig. Aber das hat sich bald gegeben, und wir haben uns auf unsere Aufgaben im Verein konzentriert.
Ist es für Sie etwas Besonderes, nächste Woche mit der Nationalelf in Spanien zu spielen?
Ich weiß, dass viele Fans ganz genau auf mich schauen werden, weil ich in dem Land spiele, in dem ich auch arbeite. Das ist schon etwas Besonderes. Trotzdem ist es nur ein Spiel über 90 Minuten.
Der Bundestrainer Joachim Löw sagt, Sie seien in Zukunft nur noch als Innenverteidiger eingeplant. Ist das in Ihrem Sinne?
Absolut. Ich sehe mich als Innenverteidiger, auf jeden Fall. Auch vor der WM habe ich dort immer gespielt. Vor dem Turnier hat der Bundestrainer zu mir gesagt, ich solle mich bereithalten, auch auf einer anderen Position zu spielen. Das war für mich kein Problem. Ich sehe mich als Angestellter. Und wenn der Chef mir eine Aufgabe zuteilt, versuche ich, sie so gut wie möglich zu erfüllen. Und wenn ich es nicht kann, muss sie ein anderer übernehmen.
Als rechter Verteidiger mussten Sie in Brasilien viel Kritik einstecken. Hat Ihnen das wehgetan?
Eigentlich gar nicht. Ich bin nicht der Typ, der sich mit so etwas befasst. Wie gesagt: ich bin ein Angestellter. Und wenn der Chef zu mir sagt, ich solle nicht die ganze Zeit die Linie hoch und runter laufen und Übersteiger machen, dann tue ich das auch nicht. Und dann ist es mir auch egal, wenn die Leute hinterher sagen: der Mustafi ist doch Außenverteidiger, warum läuft der nicht nach vorne? Zur WM gibt es nun einmal 82 Millionen Bundestrainer, die es besser wissen.
Wie lange dauert es eigentlich, bis man begreift, dass man Weltmeister ist?
Ich muss sagen: Für mich war das alles wie ein großer Traum. Ich habe vieles noch immer nicht richtig realisiert.
Für Sie war es ja auch eine ganz besondere Entwicklung …
… da haben Sie Recht: Es ging alles sehr schnell. Erstes Länderspiel, dann gleich nach Südtirol, dann wurde ich aus dem endgültigen Kader gestrichen, dann kam die Verletzung von Marco Reus keine 24 Stunden vor dem Abflug nach Brasilien. Also schnell zum Flughafen nach Frankfurt, im ersten Spiel gleich der erste Einsatz, dann gegen Ghana und Algerien, wo ich mich verletzt habe, und am Ende nehmen wir das Ding mit nach Hause.
Verrückt, oder?
Ja. Und manchmal, wenn wir mal einen freien Tag haben, dann versuche ich mich zurückzulehnen und das alles irgendwie zu begreifen. Ich glaube, das wird noch eine Weile dauern.