Die Sexismusvorwürfe junger Frauen sind oft lächerlich im Angesicht der Realität – meint unsere Kolumnistin. Der alte, der wahre Sexismus ist ein anderer, sagt Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Es musste etwas geschehen. Der jungen Berliner CDU-Lokalpolitikerin, gerade mal zwei Jahre Parteimitglied, ging es nicht schnell genug voran mit ihrer Karriere. Man sah sie nicht, man hörte sie nicht. Warum war ihr Konterfei noch nicht in allen Gazetten? Doch dann, eines schönen Morgens hatte Jenna Behrends, so heißt diese Zurückgesetzte, eine zündende Idee. Sie schrieb einen Brief an die „liebe Partei“, beförderte ihn ins Internet, stänkerte darin just gegen den eigenen „lieben“ Laden, der es Quereinsteigern so schwer mache und legte dann noch Belastendes drauf: ein Senator, mittlerweile als Frank Henkel, scheidender Innensenator identifiziert, habe bei einer Begegnung am Rande eines Parteitags ihre dreijährige Tochter eine „kleine süße Maus“ und in Ergänzung die jungpolitische Mutter eine „große süße Maus“ genannt. Ha, Bube, ertappt! Wenn das kein Sündenfall ist! Ein Abgrund von Frauenverrat tat sich auf. Sexismus bei den Christdemokraten! Skandal! Gewalt geschrien! Die Nation wendete sich mit Grausen.

 

Aber heißa, Jenna Behrends hat’s geschafft. Schwupps war sie in allen Zeitungen bis hin zum „Spiegel“, der ihr ein halbseitiges Foto in Napoleon-Pose gönnte. Was will der Mensch mehr? Genau so macht man auf sich aufmerksam. Ein Rummosern gegen die eigene Partei oder gar deren Spitzenleute, ein begrenzter Konflikt, das ist es, was Medien wünschen. Und dann noch eine Verneigung vor dem Zeitgeist als Zugabe – schon ist die Schlacht gewonnen, auch wenn es, wie hier, um eine Lappalie oder gar ein ungeschicktes Kompliment geht.

Warum wegen einer Lappalie in die Knie gehen?

Das Opfer hat immer Recht. Deshalb entschuldigte sich der knieweiche Herr Henkel sogar für die „süße Maus“ – ob nur vor der CDU-Fraktion in Berlin-Mitte oder auch bei der ehrgeizigen Frau Behrends, ist nicht bekannt. Anders entschied sich Rainer Brüderle, ein verdienter FDP-Politiker, der abends an einer Stuttgarter Bar einer Stern-Reporterin eröffnete, sie könne auch ein Dirndl füllen. Er war stark genug, den Kotau zu verweigern. Schließlich hatte die Kollegin mit ihrem Vorwurf ein volles Jahr lang nach dem Ausrutscher gewartet, um den richtigen politischen Zeitpunkt für eine Veröffentlichung zu erwischen. Danach war der Mann erledigt. Und wenn heute sein Name fällt, hat jeder nur noch den Busen der damals berühmten, inzwischen aber verdient vergessenen Laura Himmelreich vor dem inneren Auge, nicht die Meriten des prominenten Liberalen.

Dirndlbusen, süße Mäuse – das sind Sorgen, die möchte man haben!

Da hat doch jede halbwegs vernünftige Frau schon ganz andere Zudringlichkeiten schlicht weggewischt. Sind wir denn tatsächlich solche Zimperzicken und so wenig wehrhaft, dass wir uns von einem Süße-Maus-Kompliment aus der Fassung bringen lassen? Und von wieviel Unkenntnis geprägt ist das Wertesystem derer, die sich von dieser vermeintlichen, in Wahrheit karrierefördernder Entrüstung mitreißen lassen oder ihr auch noch Zucker geben? Denn ob solcher Vorwürfe lachen doch die Hühner, vor allem angesichts dessen, was jungen Frauen an Vernachlässigung und Brutalität in aller Welt widerfährt – wie der Weltbevölkerungsbericht in der zurückliegenden Woche erzählt.

Auch bei uns geschieht ja Erschreckendes, wenn Mädchen gegen ihren Willen verheiratet und sogar Kinderehen geschlossen oder juristisch nicht angetastet werden. Müssten solche Zustände all denen, die wegen jeder dämlichen Männer-Bemerkung mit Sexismus-Entgleisungen auftrumpfen, nicht die Schamröte ins Gesicht treiben?

Wenn die schreckliche Hand über den Schenkel wandert

Ja, ja, ich weiß, es gibt auch im sogenannten biodeutschen Alltagsleben eine Menge Benachteiligungen für Frauen – angefangen von den Schwierigkeiten der Alleinerziehenden, über Lohnungerechtigkeiten, zu wenig weibliches Führungspersonal und die Altersarmut. Aber dass in einem großen Betrieb ein Vorgesetzter oder Auftraggeber einer jungen Auftragnehmerin, kaum dass sie sein Büro betreten hat und neben ihm sitzt, die Hand auf den Oberschenkel legt und diese schreckliche Hand weiterwandert – und du legst sie, während du einfach nur redest, auf die Stuhllehne, doch das nimmt kein Ende, geht sogar hartnäckig weiter: Stuhllehne Schenkel, Stuhllehne, Schenkel, bis alles besprochen ist - : das traut sich heute im Zeitalter der Frauenbeauftragten keiner mehr.

Eher schon traut sich unser großkarierter Bundesverkehrsminister etwas. So schallte doch vor wenigen Tagen eine Äußerung des hohen Herrn über den Rundfunk, in welcher Alexander Dobrindt das teilweise selbstfahrende Auto pries. Dieses Gefährt sei doch eine wunderbare Sache, wenn man aus mancherlei Gründen bisweilen müde oder unwillig sei und die Automatik die mangelnde Aufmerksamkeit ausgleiche, zum Beispiel morgens im Halbwachzustand oder abends, abgespannt von des Tages Mühen, oder auch am Wochenende auf der Fahrt zur Schwiegermutter. Tja, da bleibt einem doch die Spucke weg.

Was ist die süße Maus gegen diese Ungeheuerlichkeit? Der Großkarierte beleidigt Millionen älterer Frauen, von denen die meisten ihre Familien unterstützen, ihre Enkelkinder hüten und durchaus auch Schwiegerkinder ins Herz schließen. Pfui rufe ich da nach München-Berlin. Das ist der alte, der wahre, der verhockte Sexismus. Darüber dürft Ihr Euch zu Recht erregen.