Die Sozialdemokraten fürchten eine Wiederauflage der Großen Koalition wie der Teufel das Weihwasser. Die SPD soll sich aber nicht länger zieren, sie soll mitregieren – meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Im Jahre des Herrn 1969 endete die erste Große Koalition in der damals schon zwei Dekaden währenden Geschichte der Bundesrepublik. Die Stunden, nachdem die Wahllokale geschlossen waren, gehörten zum Spannendsten, was die politisch interessierten Bürger hierzulande bis dahin erlebt hatten. Der bekannt selbstgefällige Kanzler Kiesinger, Spitzname König Silberzunge, sah sich schon als Sieger und weiterhin an der Spitze der Regierung. 46,1 Prozent der Stimmen hatte seine Partei, die Union, eingefahren. Doch plötzlich erwies sich, dass die SPD an seiner Seite gewachsen war. Auch sie hatte die 40-Prozent-Hürde genommen, hatte beim Regieren mehr als drei Prozentpunkte hinzugewonnen. Zusammen mit den Liberalen reichte es, den ersten sozialdemokratischen Kanzler zu stellen. Noch in der Wahlnacht war das klar und hinter Kiesingers Rücken verabredet worden. Von nun an bis 1974 hieß der mächtigste Mann der Republik Willy Brandt. Und noch einmal, bis 1982, regierte ein Sozialdemokrat, der bis heute als lebendes Denkmal verehrte Helmut Schmidt. Das macht insgesamt dreizehn Jahre sozialdemokratischer Dominanz in der deutschen Politik. Es war eine Ära. Mit einer Großen Koalition hat sie begonnen.

 

Nun aber fürchtet die SPD für die nächste Legislaturperiode eine Wiederauflage dieser Verbindung wie der Teufel das Weihwasser. Frau Kraft aus NRW schüttelt sich richtig. Sie will doch für Frau Merkel aus Berlin nicht die Steigbügel halten. Die SPD-Parteiführung traut sich nicht, alleine zu entscheiden, und beschließt, sich von den Mitgliedern den Rücken stärken zu lassen. Wie mit spitzen Fingern greift die Partei nach der Macht. Mehr politische Verzagtheit sah man nie. Da waren Wehner, Schmidt, sogar der sensible und schwierige Willy Brandt ganz andere Kerle. Sie griffen zu, ergatterten vier Jahre später 45,8 Prozent und überrundeten sogar die Union.

Die SPD hat die Agenda-Reformen schlecht verkauft

Warum eigentlich erinnert sich niemand an diesen Erfolg am Ende von drei Jahren Großer Koalition? Warum schaut man nur tränenden Auges auf die SPD-Niederlage von 2009 und auf den Untergang der FDP, jetzt, anno 2013, woran in beiden Fällen einzig und allein der rüde Regierungsstil einer Frau schuld sein soll? Liegt es wirklich nur daran, dass Angela Merkel zurzeit offenbar der einzige Mann in der deutschen Politik ist, gegen den man sich ziemlich machtlos fühlt?

Träfe das zu, es würde mich von Herzen freuen, wäre es doch ein Triumph für das machtpolitische Renommee des weiblichen Geschlechts. Bingo. Wir können das auch! Doch, um einen Lieblingsvergleich Helmut Kohls zu bemühen, wonach es in der Politik nicht anders zugehe als in der „Familllie“, so gilt auch hier: es kann einer den anderen nur unterbuttern, wenn der Untergebutterte es zulässt.

Die SPD aber hat es zugelassen, dass ihre Verdienste – vor allem die Erfolge nach Gerhard Schröders Agenda-Reformen – der Partei nicht ausreichend zugerechnet wurden. Sie war mutig gewesen, sie hätte damit hausieren gehen können, sie hätte – ohne die Härten der Hartz-Reformen zu verschweigen und vielleicht auch mit einem Programm des Milderns – für sich kämpfen müssen. Stattdessen hat sie unentwegt Asche auf ihr Haupt gestreut. Wer sich jedoch selbst dauernd infrage stellt, von dem werden die Wähler keine Antwort auf ihre Probleme erwarten. Nicht wegen Merkels Rücksichtslosigkeit in der Großen Koalition nach 2005, sondern auch wegen der Schwäche ihrer stets wechselnden Führung – von Müntefering zu Platzeck zu Beck zum kommissarischen Steinmeier und zurück zu Müntefering – ist die SPD abgesackt.

In Hinterzimmern geht es um die Verteilung von Ämtern

Und die Liberalen? Sind sie etwa von Merkel kaputtregiert worden? Das kann doch im Ernst niemand behaupten. Angefangen von dem Signal der reduzierten Mehrwertsteuer für Hoteliers, welche die Klientelpolitik der FDP für jedermann sichtbar machte, hin zu einem Vorsitzenden und Außenminister, der mit seinem Ehemann demonstrativ nach China reiste, wo man in solchen Fragen entschieden empfindlicher reagiert als bei uns. Dazu der sexistisch blamierte und am Ende völlig verblassende Rainer Brüderle – kein Spitzenmann, sondern ein Schatten seiner selbst. Schließlich der viel zu nette Philipp Rösler, der allenfalls mit seiner Person, nicht jedoch mit seinem marktpolitischen Kredo zu überzeugen verstand. Von der Justizministerin, zu guter Letzt, ist vorweg der Widerstand gegen die von Europa verlangte Vorratsdatenspeicherung im Gedächtnis geblieben. Und an all dem soll Angela Merkels Regierungsrigorismus schuld sein?

Gewiss, die Kanzlerin ist eine talentierte Machtpolitikerin. Aber kompromissfähig ist sie auch, sonst wäre sie längst nicht mehr im Amt. Und so wird es – auch weil die Verhältnisse im Bundesrat das empfehlen – eine Große Koalition geben. Längst geht es ja in den Hinterzimmern der Sozialdemokraten schon um die Verteilung von Ämtern und Würden. Und das ist durchaus in Ordnung.

Aber dass eine Partei zuerst in Wahlen mit einem interessanten Programm antritt und sich dann ziert wie eine alte Jungfer, wenn die Macht in Reichweite rückt, das kann man nur als Hasenfüßigkeit oder Heuchelei bezeichnen. Auf alle Fälle ist es unter der Würde der ehrbaren, alten Sozialdemokratie. Und sind ihr die Jahre in der Opposition vielleicht gut bekommen? Ist sie im Kampf gegen Merkel genesen? Weiß Gott nicht. Jetzt aber hat sie die Chance mitzuregieren, und das soll sie auch tun. Nur in der Regierung kann sie sich beweisen und Profil gewinnen. Und ob sie danach ein Ergebnis einfährt wie 2009 oder eines wie 1969, das hängt von ihrer Durchsetzungskraft und dem Format ihres Personals ab. So viel Selbstvertrauen sollte schon sein!