Was darf ein ehemaliger Kanzler? Gerhard Schröder konnte Russlands Präsidenten Wladimir Putin nicht düpieren, wenn er etwas erreichen wollte – meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Meine erste Begegnung mit dem späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder, der damals noch in Niedersachsen als Ministerpräsident regierte, ließ sich wenig vielversprechend an. Ich hatte mich pünktlich eingefunden, musste aber lange warten. Nichts als schlechte Laune war ihm ins Gesicht geschrieben, als er endlich auftauchte. Doch dann war plötzlich alles anders. Unverhofft zeigte sich der wetterwendische Herr von der freundlichsten Seite. Auf meine Fragen erhielt ich präzise formulierte und aufrichtige Antworten.

 

Der Eindruck, den ich von diesem Treffen mitnahm – und den ich in späteren Beobachtungen bestätigt sah – war der eines sehr intelligenten Politikers. Launisch zwar, gelegentlich überschießend, aber nicht einschüchternd wie sein großes Vorbild Helmut Schmidt. Etwas kumpelhaft, ja, doch nie distanzlos und sich immer wieder einfangend. Den Menschen zugewandt und ohne Dünkel. Er redet mit jedem. Vielleicht weil er von ganz unten kam? Und ist es das, was ihn mit Putin verbindet?

Großer Ehrgeiz, große Kraft

Sein Aufstieg aus äußerst schwierigen Verhältnissen als Sohn eines Hilfsarbeiters, der im Zweiten Weltkrieg fiel, und einer Putzfrau widerlegt alle Kritik am deutschen Bildungssystem. Eine derart Staunen machende Vita ist in unserem, von internationalen Organisationen so gern kritisierten Land also möglich – und nicht erst seit es Gemeinschaftsschulen gibt. Schröders Laufbahn über den zweiten Bildungsweg erzählt nicht nur von schönen deutschen Möglichkeiten, von den Talenten eines Politikers, diese zu nutzen, von großem Ehrgeiz, sondern auch von seiner Kraft. Sie hat ihn schließlich ins Kanzleramt geführt und Oskar Lafontaine – wo ist der eigentlich abgeblieben? Hat die schöne Sahra ihn zum Frühstück verspeist? – den durchtriebenen Erzfeind besiegen lassen.

Angekommen in der Macht, gelang es ihm am Ende einer lockeren Brioni-Phase, die Teilnahme der Bundeswehr an dem unsinnigen Bush-Krieg im Irak zu verhindern. Nach einer Legislatur des relativen Stillstands schaffte er es auch, die Agenda 2010 durchzuboxen und den deutschen Reformstau aufzulösen. Dem Land tat es gut. Den Macher kostete der mutige Coup das Amt. Doch nur wer solche Risiken eingeht, kann wirklich etwas verändern. Wie alle seine Vorgänger im mächtigsten Staatsamt hat Gerhard Schröder schließlich getan, was die Zeit und ihre Verhältnisse verlangten. Bis jetzt hatte die Republik im Wesentlichen Glück mit ihren Kanzlern. Also auch mit ihm, selbst wenn seine im reinen sozialdemokratischen Glauben verharrenden Genossen das nicht wahrhaben wollten und wollen.

Die Nation murrt und nimmt übel

Nun aber grummeln nicht nur die altgedienten Parteifeinde. Jetzt murrt sogar die Nation und nimmt richtig übel. Es war ja schon schlimm genug, dass er wenige Wochen nach seiner Kanzlerschaft mit dem Geldverdienen begann und, unter anderen Engagements, bei der Nord Stream AG einstieg, die mehrheitlich Gazprom gehört – an der aber auch BASF und E.ON Ruhrgas beteiligt sind – ,und die er während seiner Amtszeit unterstützt hatte. Das geschah etwas hastig, hatte also ein Geschmäckle. Ich gestehe jedoch, dass mir damals schon der ketzerische Gedanke durch den Kopf schoss, wir würden vielleicht noch froh sein über dieser Verbindung.

Doch nun die Sünde par excellence. Wieder mal ein Abgrund von Landesverrat! Bei der Begrüßung zur Feier seines 70. Geburtstags in St. Petersburg umarmte Gerhard Schröder den Gast Waldimir Putin, den politischen Gottseibeiuns dieser Tage, einen Aussätzigen, einen Unberührbaren, mitschuldig am ukrainischen Chaos.

Das Pipeline-Unternehmen Nord Stream hatte zur Ehre des Jubilars geladen. Und der erlaubte sich, mit dem bösen Buben aus Russland quasi Wange an Wange zu tanzen und auch noch ein strahlend-freches Lächeln aufzusetzen, derweil die armen OECD-Geiseln in den Verließen wildgewordener Separatisten schmorten. Ah, schändlicher Partygänger. Den Zeigefinger hättest du mahnend heben sollen. Die Faust ballen. Dich abwenden voll Abscheu vom unwürdigen Kumpel aus Kanzlerzeiten. So liest es sich online in vielen pharisäerhaften Schmähungen. Und auch für seriöse Kommentatoren sieht es so aus, als mache diese Geste alles zunichte, was Gerhard Schröder in seinem Leben geleistet hat. Aber das ist dann doch übertrieben. Und lebensfremd ist es auch.

Hat Schröder bei Putin ein gutes Wort für die Geiseln eingelegt?

Wenn der Altkanzler seinen Job behalten und Putin nicht vor den Kopf stoßen, wenn er ihn gar beeinflussen wollte, dann musste er ihn doch begrüßen, wie er ihn immer begrüßt hat. Hätte er ihn düpiert, wäre ein Gespräch über die OECD-Geiseln und wer weiß was noch alles – wovon dann Gerhard Schröder in einem Interview vom letzten Wochenende berichtete – nicht möglich gewesen. Er hätte um einer gefälligen Symbolik willen darauf verzichtet, für seine Landsleute ein gutes Wort einzulegen. So aber könnte er im Verlaufe des Abends bei Umarmung zwei oder drei, nach diesem und jenem „Wässerchen“ den Russen zur Seite genommen und ihm ein Hör-mal-alter-Freund-mein-lieber-Wladi zugeraunt haben, das kannst du nicht bringen. Tu was...

So könnte es, so wird es gewesen sein. Das darf man diesem erdgebundenen Altkanzler schon glauben. Ob’s aber geholfen hat? Oder etwas anderes? Da wäre womöglich sogar der Lupenreine inzwischen überfragt.