Nach 2025 werden Millionen Babyboomer in den Ruhestand gehen. Jetzt geht es für die nächste Bundesregierung darum, die Alterssicherung für die Jüngeren verlässlich und bezahlbar zugleich zu gestalten.

Berlin - Die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist die mit Abstand wichtigste Säule der Alterssicherung in Deutschland. Sie funktioniert nach dem Umlageverfahren: Was die Arbeitnehmer und ihre Chefs als Beitrag an die GRV zahlen, wird direkt als Rente an die Älteren ausgeschüttet. Für ihren Beitrag erwerben die Arbeitnehmer Anspruch auf ihre spätere Rente. Sie bemisst sich danach, wie viel jemand während seines Erwerbslebens an Beiträgen bezahlte. Die jeweils aktive Generation bezahlt also die Renten der Älteren. Wie stabil und fair dieser Generationenvertrag ist, hängt wesentlich davon ab, wie viele Jüngere Arbeit haben und wie das Lohn- und Gehaltsniveau ist.

 

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Bei der Beschäftigungslage wiederum spielt die Zuwanderung eine Rolle – genau wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch geht es um die Geburtenzahl, wobei niemand damit rechnet, dass in Deutschland wieder so viele Kinder geboren werden wie in den frühen sechziger Jahren. Damals kamen die Babyboomer auf die Welt, die bald aus dem Erwerbsleben ausscheiden und die GRV damit vor große Herausforderungen stellen.

Schließlich ist auch die Produktivität ein wichtiger Faktor. Je höher sie ausfällt, umso höher ist auch die Wirtschaftsleistung – also die Basis, aus der die Alterssicherung bezahlt wird.

Rentenexperte: Ohne Reform geht es nicht

Der Bochumer Ökonom Martin Werding hat verschiedene Varianten berechnet: mal mit höherer Arbeitslosigkeit, mal mit weniger – mal mit längerer und kürzer Lebenserwartung oder niedrigen und höheren Zahlen an Zuwanderern. Das Ergebnis aller Simulationen: Der demografische Alterungsprozess, der in Deutschland nun unmittelbar bevorstehe, sei so ausgeprägt, „dass er (. . .) zu einer mehr oder weniger großen Anspannung der Rentenfinanzen führt“. Für 2040 berechnet Werding einen Beitragssatz von 22,8 Prozent. Wenn dieser Satz heute gälte, müssten Beitrags- und Steuerzahler 66 Milliarden Euro mehr im Jahr für die GRV aufbringen, als dies aktuell (bei 18,6 Prozent der Bruttoeinkommens) der Fall ist. Martin Werding bilanziert: Ohne Reformen im Rentensystem geht es nicht.

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Die mögliche Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP steht also vor einer großen Herausforderung. Sie will einen Teil der gesetzlichen Rente künftig am Kapitalmarkt finanzieren. Zehn Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln soll die Deutsche Rentenversicherung dafür im kommenden Jahr aus dem Bundeshaushalt erhalten. Experten halten die Summe für viel zu gering – und warnen bereits davor, die Rentenpläne der drei Parteien gingen einseitig auf Kosten der Jüngeren, zumal SPD, Grüne und FDP das Rentenniveau stabil halten und zugleich das Renteneintrittsalter nicht weiter anheben wollen.

Wie wird die Rente zukunftsfähig?

1. Eine Stellschraube, die Rente zu reformieren, ist das Rentenalter. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium will, dass die Altersgrenze – wie in Dänemark, Italien und Portugal schon beschlossen – automatisch an die steigende Lebenserwartung angepasst wird. Dafür haben die Experten viel Kritik bezogen. Sie sagen aber ausdrücklich, Arbeitnehmer mit gesundheitlichen Problem sollten auch früher ausscheiden können. Auch will der Beirat keine fixe Altersgrenze, sondern ein Renteneintrittsfenster, innerhalb dessen „die Menschen ihr Eintrittsalter frei wählen können“.

Dass die Anhebung des Rentenalters die gesetzliche Rentenversicherung (GRV) entlastet, hat sich schon gezeigt. In kaum einem anderen Land ist die Zahl der Älteren, die im Erwerbsleben stehen, kräftiger gestiegen als in Deutschland. Weil zudem die Wirtschaftslage über Jahre hinweg ausgesprochen gut war und es Rekordbeschäftigung gab, stand auch die GRV finanziell sehr gut da. Doch reichen die bestehenden Reformen mit Blick auf den Rentenbeginn von Millionen Babyboomern nicht.

Soll der Staat mehr Geld ins System pumpen?

2. Bis 2025 gilt die Festlegung, die die große Koalition getroffen hat. Das sind die sogenannten doppelten Haltelinien: Der Beitrag soll nicht über 20 Prozent steigen, das Rentenniveau nicht unter einen Wert von 48 Prozent fallen. Wenn Berlin nach 2025 an diesen Haltelinien festhalte, so der Beirat des Wirtschaftsministeriums, brauche man enorm viel mehr an Steuergeld. Denkbar ist für die Zukunft ein Mix: höhere Steuern, höhere Beiträge und womöglich eine höhere Beitragsbemessungsgrenze. Schon heute zahlt der Bund der Rentenkasse einen Zuschuss von 100 Milliarden Euro im Jahr. Er wird bis 2024 auf voraussichtlich 120 Milliarden Euro steigen. Das mindert jedoch das Netto der Beschäftigten, und höhere Beiträge erhöhen die Kosten der Arbeitgeber.

Wenn Berlin die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung erhöhte (derzeit zahlt man in den alten Ländern bis zu einem Monatseinkommen von 7100 Euro Beitrag), wäre auf Dauer nichts gewonnen. Denn aus mehr Beitrag folgt später dann auch mehr Rente. Damit ist die Umverteilung unmöglich.

Kann man das Rentenniveau weiter senken?

3. Kann das Rentenniveau aus diesem Dilemma helfen? Aktuell liegt es bei 49,4 Prozent. Das bedeutet nicht, dass jemand 49,4 Prozent seines letzten Einkommens als Rente bekommt. Vielmehr bezeichnet das Niveau das Verhältnis zwischen den Durchschnittslöhnen und -gehältern aller Arbeitnehmer und einer Rente von jemandem, der 45 Jahre lang immer das jeweilige Durchschnittseinkommen verdient hatte. Um den Rentenbeitrag zu begrenzen, gibt es seit Jahren die Festlegung, dass die Renten langsamer steigen als die Löhne und Gehälter. Doch das Niveau kann nicht unbeschränkt fallen. Dann hätten die Rentner nicht mehr teil an Wohlstandsgewinnen. Und für die Jüngeren würde es schwerer, Rentenanwartschaften aufzubauen, die oberhalb der Grundsicherung liegen. Die Ampelparteien wollen das Niveau bei 48 Prozent sichern, wie sie sagen.

Soll man den Versichertenkreis erweitern?

4. Eine Stellschraube ist der Versichertenkreis. Die GRV ist keine Volksversicherung. Manche Freiberufler haben Versorgungswerke, die Beamten bekommen einen bestimmten Prozentsatz ihres letzten Gehalts als Alterspension. Und zwischen Pensionen und Renten klafft auch bei gleicher Qualifikation und Lebensleistung eine große Lücke. Das empfinden viele als ungerecht. Der Staat könnte versuchen, ab einem Stichtag neu berufene Beamte in die GRV einzubeziehen. Die öffentlichen Arbeitgeber müssten dann aber dreimal zahlen: die bestehenden Pensionen, die vor dem Stichtag erworbenen Pensionsansprüche und den Beitrag an die GRV nach dem Stichtag. Der Beamtenbund weist auch darauf hin, dass auch dann aufgrund des Alimentationsprinzips eine angemessene Alterssicherung auf heutigem Niveau zu zahlen sei – und zwar gegebenenfalls durch Extrazahlungen zur gesetzlichen Rente. Weil die meisten Beamten im Dienst der Länder und Kommunen stehen, müssten Bund und die 16 Länder eine solche Reform gemeinsam umsetzten.

Bleiben die Versorgungswerke der Freiberufler (Ärzte, Anwälte). Ob es rechtlich möglich ist, ihre Mitglieder in die GRV einzubeziehen, ist offen.

Wie viel Eigenvorsorge ist nötig?

5. Dass Arbeitnehmer im Zuge von Betriebsrenten oder Eigenvorsorge eine Ergänzung zu ihrer GRV-Rente aufbauen, ist nichts Neues. Früher waren steuerbefreite Lebensversicherungen gang und gäbe. Seit knapp 20 Jahren gibt es zudem die Riester-Rente, also die staatliche Förderung der Eigenvorsorge. Zudem haben Beschäftigte Ansprüche auf Betriebsrenten. Aber auch wenn ständig von der zweiten und dritten Säule der Alterssicherung die Rede ist, wackeln beide bedenklich. Nach Angaben der Bundesregierung hatten 21 Millionen Beschäftigte eine Anwartschaft auf eine betriebliche Altersvorsorge – knapp sieben Millionen mehr als im Jahr 2001. Das heißt aber auch, dass 46 Prozent der Arbeitnehmer keinen solchen Anspruch besitzen. Haben im Kredit- und Versicherungsgewerbe 88 Prozent der Mitarbeiter eine Zusage, sind es in der Gastronomie 18 Prozent. Und bei der Riester-Rente stagniert die Zahl derer, die so für später Geld zurücklegen.

Fast 35 Prozent der Beschäftigten sind ganz ohne zusätzliche Vorsorge. Das ist deshalb bedenklich, weil Rot-Grün vor 20 Jahren eine Grundentscheidung getroffen hat. Die GRV ist seither nicht mehr „lebensstandardsichernd“, sprich: Jeder sollte zur Wahrung des Lebensstandards zusätzlich etwas fürs Alter tun.

Wie sich das in Zeiten eines Zinstiefs ändern lässt, ist somit die Frage. Grüne und FDP bringen Modelle ins Gespräch, um die Beschäftigten an den Unternehmensgewinnen zu beteiligen. Und traut sich die neue Regierung, die Eigenvorsorge verpflichtend zu machen? Für viele, die heute Mitte 50 sind, käme das aber zu spät. Bei ihnen reicht nicht die Zeit, um bis zum Ende des Erwerbslebens noch nennenswerte Beträge fürs Alter ansparen zu können.

Lässt sich Altersarmut verhindern?

6. Aus sich heraus verhindert die GRV Altersarmut nicht. Denn wer wenig eingezahlt hat, bekommt nur eine kleine oder gar keine Rente. In diesem Fall springt die Kommune mit der Grundsicherung ein. Zwar erwarten Fachleute keinen drastischen Anstieg derer, die Grundsicherung angewiesen sein werden. Schätzungen zufolge steigt ihr Anteil von 5,4 Prozent der Älteren auf 7,1 Prozent im Zeitraum von 2031 bis 2035. Der Beirat beim Wirtschaftsministerium regt aber an, einen „Sockelschutz“ zu erwägen. Und der geht so: Wenn jemand viele Rentenpunkte ansammelt, wird dies nicht mehr voll für die Rente berücksichtigt. So entsteht Finanzvolumen, um geringere Rentenanwartschaften aufzuwerten. Es fände also eine Umverteilung innerhalb der GRV statt. In diese Richtung geht auch ein Vorschlag der Grünen. Sie wollen, dass die Arbeitgeber für Geringverdiener, die in Vollzeit arbeiten, höhere Rentenbeiträge abführen. So soll für diese Beschäftigten eine auskömmliche Rente gesichert werden. Noch lässt sich nicht abschätzen, ob die nächste Regierung das Thema Mindestsicherung überhaupt aufgreift.