Die Polizei ist mit mehreren Dutzend zusätzlichen Beamten rund um den Bahnhof im Einsatz. Der Anlass sind die seit Silvester massiv gestiegenen Zahlen von Beschwerden der Bürger. Statistisch lässt sich die Furcht aber nicht begründen, so die Polizei.

Lokales: Christine Bilger (ceb)

Stuttgart - Die Zahlen sprechen eine andere Sprache als die besorgten Anrufe und Meldungen der Bürger, die am Bahnhof unterwegs sind. „Immer mehr melden sich bei uns und sagen, dass sie sich nicht sicher fühlen“, berichtet Joachim Barich, der Leiter des Innenstadtreviers an der Hauptstätter Straße. Wenn er in seinen Lagebericht schaue, dann stelle er fest, dass sich objektiv die Sicherheitslage nicht verändert habe. „Aber das Empfinden der Menschen ist anders geworden“, sagt Barich bei der Präsentation des mit der Stadt abgestimmten Sicherheitskonzepts Stuttgart am Mittwoch in der Königstraße.

 

Gemeinsame Streifen von Bundes- und Landespolizei sollen nun wieder das Vertrauen der Bürger in die Sicherheit der Landeshauptstadt stärken – bis auf weiteres. „Es gibt keinen definierten zeitlichen Endpunkt für unsere verstärkte Präsenz“, betont der Revierleiter. Die Bundespolizei ist tagsüber mit zwei zusätzlichen Dienstgruppen mit je zehn Beamten unterwegs. am Wochenende mit einem zusätzlichen Zug von 30 Beamten. Die Landespolizei hat pro Tag 30 Kräfte mehr zur Verfügung.

Beschwerden haben zugenommen

Die Beschwerden hätten nach Silvester massiv zugenommen. Dass in Stuttgart ähnliche Taten wie die Übergriffe in Köln geschahen – wenn auch weder quantitativ noch qualitativ im gleichen Ausmaß –, habe offenbar die Verunsicherung bewirkt. Die Polizei werde auf jeden Fall auch über die Faschingstage, wenn große Besucherzahlen in der Innenstadt zum Umzug erwartet werden, die starke Präsenz aufrecht erhalten.

Fasching sei jedoch nicht der Anlass. „Das ist eine ganz andere Situation“, erläutert der Polizeisprecher Olef Petersen. An Silvester habe man bis zu 80 000 feiernde Menschen in der Innenstadt, viele stark alkoholisiert. Wenn der Faschingsumzug durch die Stadt läuft, ist es hell, das Publikum ein anderes, das Gedränge nicht so dicht. „Da sind wir trotzdem“, sagt Barich.

Die Polizei hat weder in der Klett-Passage noch rund um den Bahnhof einen Anstieg von Straftaten verzeichnet. Auch habe sie nicht mehr Einsätze gehabt, das zeige ein Blick ins Tagebuch des zuständigen Reviers: Im Durchschnitt muss die Landespolizei im Monat 140 mal in die Klett-Passage, das schwanke zwischen 100 und 200 Einträgen. Das meiste seien jedoch Ordnungsstörungen. Erfasst werde jeder Fall, bei dem die Polizei einschreiten müsse.

Viele Platzverweise

Bei den durchschnittlich 140 Ereignissen in der Passage seien viele Platzverweise dabei. „Raub und Drogenhandel passiert natürlich auch. Aber nicht in einem Maße, dass man nicht mehr sicher durch die Passage gehen könnte“, sagt Barich. Einen Anstieg der Körperverletzungsdelikte verzeichnete die Bundespolizei: 2014 waren es 235, im vorigen Jahr wurden 273 Taten registriert. Die Zahl der Gepäck- und Taschendiebstähle stieg deutlich an, von 477 auf 669. Die Bundespolizei ist für den Bahnhof und den S-Bahn-Bereich zuständig, nicht für die Klett-Passage.

Die Polizei wisse auch, dass das Sicherheitsgefühl der Bürger nicht immer deckungsgleich sei mit den Fakten. Dass die Verunsicherung gestiegen ist, belegt auch die Nachfrage nach Selbstverteidigungskursen (siehe Bericht auf Seite 26). „Wir verschaffen uns auf unsere Weise einen Überblick. Wer durch die Passage geht und sieht ein paar Bier trinkende Obdachlose, weiß eigentlich, dass von ihnen keine Gefahr ausgeht – fühlt sich aber nicht wohl“, so der Revierleiter. Natürlich gebe es rund um den Bahnhof auch Probleme.

So nehme die Polizei immer wieder Drogenhändler fest, die überwiegend weiche Drogen wie Marihuana anböten. Da viele der Festgenommenen aus Gambia stammten, sehen die Ermittler einen Zusammenhang. Es gebe offenbar ein Netzwerk. Deswegen bewege sich die Polizei bei ihren Kontrollen auf einem „extrem schmalen Grat“: Man verarbeite zur Einschätzung der Lage Zahlen der Kriminalitätsstatistik und neben dem Lagebild auch Erfahrungswerte. Aufgrund dessen könne es schon sein, dass dunkelhäutige Menschen vielleicht eher kontrolliert würden. „Wir wollen aber auf keinen Fall irgend jemanden stigmatisieren“, betont Barich.

Mehr Kontrollen

Warum immer wieder Männer aus einem bestimmten Herkunftsland in einem Bereich auffallen, das sei noch nicht ergründet. „Das gab es immer wieder, auch beim Handel mit harten Drogen in den 1990er Jahren“, sagt Barich. Man müsse darauf mit Kontrollen reagieren. 2014 hätten diese zu zahlreichen Festnahmen geführt. Die Videoüberwachung, wie sie der Innenminister Reinhold Gall (SPD) in Reaktion auf die Silvesterereignisse ankündigte, werde noch nicht umgesetzt. „Da müssen die rechtlichen Grundlagen genau geprüft werden“, so Barich.