Das diesjährige Treffen der Siemens-Betriebsräte steht ganz im Zeichen eines Kahlschlags im Kraftwerksgeschäft. Die Stimmung ist gereizt, der Ton scharf.

Berlin - Seit 15 Jahren kommt der Gewerkschafter zum jährlichen Siemens-Betriebsrätetreffen in Berlin. „Aber so eine Atmosphäre habe ich noch nicht erlebt“, sagt der IG-Metaller, der nicht namentlich genannt werden möchte. Die Stimmung sei extrem kritisch, teils verbittert gewesen und das schon, bevor Siemens-Personalchefin Janina Kugel ihre traditionelle Ansprache gehalten habe. „Sie stößt hier auf eine Welle der Ablehnung“, sagt der krisenerprobte Gewerkschafter und fast klingt so etwas wie Mitleid durch.

 

Das Treffen der rund 600 Siemens-Betriebsräte im Berliner Estrel-Hotel ist nicht öffentlich. Aber was Teilnehmer aus der Veranstaltung berichten, macht klar, dass Kugel sich in die Höhle des Löwen gewagt hat. „Wir dürfen nicht riskieren, durch Nichtstun am Ende das komplette Geschäft zu verlieren“, sagte die 47-jährige Vorstandsfrau dort.

Bei solchen Sätzen schlägt ihr schrilles Pfeifen aus dem Veranstaltungssaal entgegen. Nur noch gelacht wird beim Bekenntnis zum Standort Deutschland. Immerhin will Siemens rund die Hälfte von weltweit knapp 7000 Beschäftigten der aktuellen Sparrunde hierzulande abbauen, Werkschließungen und betriebsbedingte Kündigungen inklusive. Die Front des Widerstands ist groß wie nie.

Schulz und Kaeser streiten sich

Bürgermeister und Ministerpräsidenten protestieren, auch der beim Berliner Betriebsrätetreffen demonstrativ anwesende SPD-Chef Martin Schulz. Die Streichung tausender hoch qualifizierter Jobs sei volkswirtschaftlich irrsinnig und verantwortungslos, sagte Schulz vor rund 2000 Demonstranten, die sich am Tagungshotel versammelt hatten. „Dass durch Arbeitsplatzabbau die Effizienz des Unternehmens gesteigert wird, heißt übersetzt: Damit wir noch ein bisschen mehr Gewinn machen, schmeißen wir die Leute raus. Das ist asozial“, polterte Schulz weiter. Siemens-Chef Joe Kaeser wies den Vorwurf mit Verweis auf Milliardenzahlungen des Konzerns in die deutschen Steuer- und Sozialkassen zurück. Im Gegenzug erinnerte Kaeser den SPD-Chef angesichts dessen Beharren auf der Oppositionsrolle während der schwierigen Regierungsbildung an dessen eigene Verantwortung. „Vielleicht sollten Sie sich dabei auch überlegen, wer wirklich verantwortungslos handelt: Diejenigen, die absehbare Strukturprobleme proaktiv angehen und nach langfristigen Lösungen suchen, oder diejenigen, die sich der Verantwortung und dem Dialog entziehen.“

Auch die Siemens-Personalchefin Kugel lässt das nicht auf sich sitzen. Siemens sei in den letzten Jahren alles andere als tatenlos gewesen. „Aber die bittere Wahrheit ist, es hat leider nicht gereicht“, räumt sie ein und widerspricht Vorwürfen, das Management habe versagt. Defizitäre Geschäfte dauerhaft zu subventionieren, wie es von manchem gefordert wird, wäre zudem verantwortungslos.

Tatsache ist aber auch, dass das Kraftwerksgeschäft als Ganzes keineswegs defizitär ist, wenn auch die operative Rendite im vorigen Geschäftsjahr auf rund zehn Prozent gesunken ist und im letzten Quartal nur noch 8,3 Prozent betragen hat. Um diesen Trend zu stoppen, riskiert Siemens nun den Betriebsfrieden. Kugel will über freiwilliges Ausscheiden und Abfindungen verhandeln, über Beschäftigungsgesellschaften zum Qualifizieren für einen anderen Job. Aber Betriebsräte und IG Metall verweigern sich geschlossen. Zu Beginn des zweiten Tags des Betriebsrätetreffens haben sie ihren geballten Unmut in Form eines Autokorsos und rund 2500 demonstrierenden Siemensianern auf die Straßen Berlins getragen.

Ostdeutsche Beschäftigte gehen auf die Barrikaden

Es war nicht der erste öffentliche Protest und dürfte nicht der letzte gewesen sein. Vor allem die drohenden Werkschließungen in Ostdeutschland treiben Betroffene auf die Barrikaden. So will Siemens nicht nur das Werk in Leipzig mit 270 Beschäftigten schließen, das in Erfurt verkaufen und in Berlin an zwei Standorten insgesamt knapp 900 Stellen abbauen, sondern auch die Fabrik im sächsischen Görlitz an der polnischen Grenze dicht machen, wo nach Zählart der IG Metall rund 1000 Siemensianer arbeiten.

Die Werke in Erfurt und Görlitz waren einst DDR-Betriebe, die Siemens Anfang der neunziger Jahre übernommen und dafür auch öffentliche Förderung in Millionenhöhe erhalten hat. Die Bindungsfristen dafür sind längst abgelaufen. Politiker, IG Metall und Betriebsräte sehen aber eine moralische und gesellschaftliche Pflicht auf der Seite des Arbeitgebers. „Siemens ist gefordert, Perspektiven für die Beschäftigung aufzuzeigen, statt Belegschaften abzuwickeln“, sagt der Bezirkschef der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Olivier Höbel. Dieser Begriff habe in Ostdeutschland eine unrühmliche Tradition. Als Auftakt für Gespräche über die Rotstiftpläne wollen Gewerkschafter und Betriebsräte ihr Aufeinandertreffen mit Kugel in Berlin nicht verstanden wissen. Erst müsse Siemens von Standortschließungen und anderen Vorgaben abrücken. Danach sieht es nicht aus.