Steigende Mieten, mehr Verkehr: der Boom der IT-Branche in Kalifornien hat auch seine Schattenseiten. Das bekommt unter anderem der Apple-Konzern zu spüren, der an seinem Stammsitz in Cupertino ein gigantisches neues Hauptquartier baut.

Sunnyvale - Was Volkswagen für Wolfsburg ist, das ist Apple für die Stadt Cupertino im Silicon Valley. Am Nachmittag im Kaffeehaus Coffee Society am Stevens Creek Boulevard sind alle Tischchen mit jungen Leuten besetzt, aber ausnahmslos jeder hat einen Apple-Laptop vor sich und die WLan-Verbindung ist so schnell, das fast zeitgleich mit dem Doppelklick die Internetinhalte aufflimmern.

 

So erwartet man das auch im Silicon Valley, dem Zentrum der US-Computerindustrie, einem 80 Kilometer langen, sich vom Südrand San Franciscos bis nach San José erstreckenden Tal. Die Stanford-Universität in Palo Alto, Google in Mountain View, Apple in Cupertino sowie Ebay und Yahoo in Sunnyvale – die Region ist gesegnet mit attraktiven Arbeitgebern. Es sei ein „zweifelhafter Segen“, und die Stadt „wette hoch“ auf Apple, hat jetzt die Zeitung „San Jose Mercury News“ analysiert – und damit eine Debatte angestoßen.

Auslöser ist das im Bau befindliche neue Hauptquartier von Apple – Campus 2 –, das aussieht wie ein kreisrundes Raumschiff, in dem einmal 14 200 Leute arbeiten sollen und für das die oberschwäbische Firma Seele die Glasfassade liefert. Kronzeuge für die Debatte ist der Wirtschaftsprofessor Roger Noll aus Stanford, der zunächst einmal voranstellt, dass jede Stadt der Welt sich glücklich schätzen würde, wäre es die 58 000-Einwohner-Stadt Cupertino und könnte einen Konzern wie Apple beherbergen. Die Chancen, die ein derart dominanter Arbeitgeber biete – Apple belegt 60 Prozent der Gewerbefläche Cupertinos und seine 16 000 Mitarbeiter am Standort machen 40 Prozent aller Arbeitsplätze aus –, seien größer als die Risiken.

Wachsende Abhängigkeit von Apple

Aber diese Risiken gibt es eben auch. „Wenn eine kleine Stadt an einem so riesigen Geschäft klebt, das so viele Leute beschäftigt, dann übernimmt dieses Geschäft quasi die Stadt“, sagt Noll. Die Sorge betrifft die zunehmende Abhängigkeit von einer Firma. Das Beispiel von Hewlett-Packard, ein Konzern, der aus Cupertino in einer Krise 2012 abzog und leere Grundstücke zurückließ, auf denen Apple heute baut, ist vielen eine Warnung. Es wird vom Risiko des „Weißen Elefanten“ gesprochen, eine Rieseninvestition, die sich als teurer Flop herausstellen könnte. Sollte so etwas Apple passieren, sagt Noll, stünde Cupertino plötzlich mit „leeren Händen da“. Sollte die Apple-Aktie aus welchen Gründen auch immer eines Tages abstürzen, wäre das ein mittlerer Schock für die San-Francisco-Bay, aber „ein schwerer Schlag für Cupertino“.

Das Silicon Valley erinnert an ein Netz ineinander verwobener, charmanter Wohngegenden mit alten Bäumen, schmucken, individuellen Villen und Gartenhäusern, breiten und ruhigen Wohnstraßen. In den Ortskernen gibt es Gemüsemärkte mit „Organic Food“ und europäisch anmutende Buchhandlungen. Nirgends ist die Abhängigkeit von einem Konzern aber so groß wie die Cupertinos von Apple. Im Ort Menlo-Park beispielsweise residiert Facebook, dort sind 19 Prozent aller Arbeitnehmer bei der Internetfirma beschäftigt, wie der städtische Wirtschaftsförderer Alex Andrade ermittelt hat.

Schon beim Beschluss für den Campus 2 von Apple gab es im Stadtrat Sorgen wegen vermehrter Staus, und der Konzern wurde verpflichtet, den Anteil seiner mit dem öffentlichen Nahverkehr anreisenden Mitarbeiter von 30 auf 34 Prozent zu erhöhen. Manche Anwohner wiederum fürchten weiter steigende Mieten und eine Zubetonierung Cupertinos wegen des zu erwartenden Zuzugs hochqualifizierter Arbeitskräfte. Eine Wirtschaftsstudie fand heraus, dass 2012 das durchschnittliche Jahreseinkommen von Apple-Mitarbeitern in Cupertino bei 124 000 Dollar lag, weit über dem Durchschnittseinkommen im Silicon Valley (90 145 Dollar). Kein Wunder, dass manche mit gemischten Gefühlen die Investition Apples betrachten.

„Keine Veränderung“, fordern die Bürger

Als die Stadt Cupertino kürzlich die Bürger zu einem Workshop über Entwicklungsmöglichkeiten einlud, klebte so mancher einen Zettel ans Flip-Chart: „Keine Veränderung!“ Die örtliche Presse zitierte die 72-jährige Gary Sepulveda, die seit 1975 in Cupertino wohnt: „Ich verstehe, dass Entwicklung notwendig ist für die Stadt. Aber dies hier gerät außer Kontrolle.“

Arme Bürger sieht man übrigens auch im Silicon Valley, sie sitzen beispielsweise im Bus Nummer 22 von Paolo Alto nach San José für zwei Dollar pro Fahrt: Hispanics, Schwarze, Chinesen, weiße „homeless people“ – die Hinweise im Bus sind auf Englisch, Spanisch und Chinesisch. Die Busfahrer tragen kurze Hosen und wilde Tatoos, sie sind eine Mischung aus Polizei und Sozialarbeiter.

In den Gewerbegebieten der Städte im Silicon-Valley wird auch Autowäsche per Hand angeboten: Vier Arbeiter wienern ruck, zuck den Wagen innen und außen, ein Inspekteur kontrolliert, der Nerd kann warten, bis sein Auto blank geputzt ist. Die soziale Kluft wird im Silicon Valley vermutlich wachsen. Professor Noll hat kritische Fragen gestellt, im Prinzip aber ist er positiv gestimmt: Cupertino und Apple seien „keine schlechte Hochzeit“, es sei eben eine Stadt „am obersten Ende“.