Sina Beerwald hat den Thriller „Kräherwald“ geschrieben, der in ihrer Geburtsstadt Stuttgart spielt. „Kräherwald“ blickt in die Abgründe der menschlichen Seele – garniert mit reichlich Melodramatik.

Nachrichtenzentrale : Lukas Jenkner (loj)

Stuttgart - Der Fall ist wirklich passiert und er macht unsagbar traurig: Am 31. Juli 2001 wurde in Frankfurt die Leiche eines unbekannten Mädchens aus dem Main geborgen, in ein Laken gewickelt und an einen Sonnenschirmständer gebunden. Der Leichnam wies Spuren über Jahre andauernder Misshandlungen auf, die Kripo konnte die Identität des Mädchens nie klären. Auf dem anonymen Gräberfeld des Frankfurter Friedhofs Heiligenstock hat das Kind seine letzte Ruhestätte gefunden. Sina Beerwald, Krimi-Autorin mit Stuttgarter Wurzeln, beginnt ihren Thriller „Kräherwald“ mit diesem Fall: Die Journalistin Tessa Steinwart ist zufällig am Neckarufer in Bad Cannstatt, als Passanten die Leiche eines Mädchens im Fluss entdecken, nackt in ein Bettlaken gehüllt und mit Rosenblättern bedeckt, mit Wunden und Verletzungen, die auf ein jahrelanges Martyrium hinweisen. Die Polizei tappt im Dunkeln, keiner kennt das Mädchen, niemand scheint es zu vermissen.

 

Im Visier des Mörders

Kurz darauf geraten Tessa und ihr kleiner Sohn Julian ins Visier des Mörders. Es geschehen unerklärliche Dinge, und die Liste der Verdächtigen wird immer länger. Da wäre Tessas Ex-Mann Philipp mit Hang zum Stalking, außerdem Tessas Wohnungsnachbar Tom, der in der tiefen Freundschaft zu der temperamentvollen Journalistin mehr zu sehen scheint. Etwas undurchsichtig bleibt auch Leander, ein attraktiver Kollege von Tessa, den sie über Facebook kennengelernt hat und mit dem sie seither heftig über Whatsapp flirtet. Tessas beste Freundin Helen gerät ebenfalls ins Zwielicht.

Und schließlich Frau Rose, die sich um Julian kümmert, wenn die alleinerziehende Tessa in der Zeitung „Stuttgart aktuell“ ihre Frau steht – ist sie wirklich so eine gute Seele? Je länger das Drama dauert, desto verwirrter ist Tessa. Nicht unbedingt hilfreich ist, dass alle Beteiligten die Gelegenheit nutzen und mit dem Finger aufeinander weisen. Als Tessa schließlich die Wahrheit erkennt, ist es schon fast zu spät.

Beerwald spart nicht an der Melodramatik

Sina Beerwald bettet ihren Krimi bestens in die Stuttgarter Szenerie ein. Die Orte der Handlung sind gut gewählt und reichen vom Birkenkopf über die Trabantensiedlung Asemwald und der Sky Beach Bar in der Innenstadt bis hin zum titelgebenden Kräherwald, in dem man sich durchaus verlaufen kann.

Die dramatische Suche nach dem Täter garniert Beerwald mit reichlich Liebeswirren, in die sich Tessa in ihrer Verzweiflung verstrickt. Vor allem diese Passagen machen „Kräherwald“ wohl zum Lesefutter vor allem für Frauen. Wer überdies Freude hat an den verschlungenen Handlungen und Dialogen vormittäglicher TV-Soaps, wird von Beerwald gut bedient. Da fliegen die Schmetterlinge Pirouetten im Bauch, wenn Tessa auf den aufregenden Leander trifft, Menschen stehen gerne wie angewurzelt oder sind wutentbrannt; jegliche Horrorszenarien werden alsbald von der Realität überholt – Beerwald spart nicht mit melodramatischen Elementen. Dass diese vor allem in Dialogen schnell gekünstelt wirken, liegt in der Natur der Sache und ist letztlich Geschmackssache.

Sina Beerwald: „Kräherwald“. Stuttgart Thriller. Emons Verlag Köln 2016. 336 Seiten broschiert, 11,90 Euro.