Mit einem Sex-Video löst der russische Aktionskünstler Pawlenski ein politisches Erdbeben aus – doch mit seinem Verhalten verwirrt er die Franzosen.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Lachen gehört nicht zu den Stärken von Pjotr Pawlenski. Mit versteinerter Miene blickt der hagere Mann auf allen Fotos meist direkt in die Kamera. Ganz Frankreich stellt sich im Moment die Frage, ob diese teilnahmslose Coolness nur gespielt ist, oder ob sich im Innern dieses Menschen wirklich jene egomanischen Abgründe auftun, die manche vermuten.

 

Tatsache ist: der Aktionskünstler hat französische Politik-Geschichte geschrieben. Mit der Veröffentlichung eines Videos hat er den Pariser Bürgermeisterkandidaten Benjamin Griveaux spektakulär aus dem Rennen gekegelt. Auf den Aufnahmen ist ein masturbierender Mann – offensichtlich Griveaux – zu sehen und einige Textnachrichten eindeutigen Inhaltes. Der Russe, der sich als „politischer Künstler“ bezeichnet, wollte Griveaux nach eigenen Angaben „Scheinheiligkeit“ nachweisen, da dieser sich im Wahlkampf immer wieder als makelloser Familienvater präsentiert hat. Pawlenski und seine 29-jährige Partnerin Alexandra de Taddeo wurden festgenommen, sind inzwischen aber wieder auf freiem Fuß. Ermittelt wird gegen beide wegen Verletzung der Intimsphäre und Verbreitung von Sex-Bildern ohne Zustimmung.

Pawlenskis bizarres Schauspiel im Blitzlichtgewitter

Irritierend ist, dass Pjotr Pawlenski das bizarre Schauspiel im Blitzlichtgewitter zu genießen scheint. Seine kurzen Erklärungen in Französisch mit sehr schwerem russischen Akzent sind der Hit in den Nachrichtensendungen. Dieser undurchschaubare Mann erweckt den Eindruck, dass ganz Frankreich gerade Teil eines wohlkalkulierten Politik-Happenings ist und Pawlenski persönlich darin Regie führt. Auch die Justiz scheint verunsichert, in welchen Kategorien sie diesen Menschen beurteilen soll – vielleicht spielen auch die Richter nur eine ihnen zugewiesene Rolle in einer bizarren Inszenierung. Ins Gedächtnis drängt sich die Szene, als Pawlenski sich seine Hoden in Moskau auf den Roten Platz nagelte und die herbeigeeilten Polizisten vor laufender Kamera zu hilflosen Statisten in einem skurrilen Schauspiel degradierte.

Nicht mit normalen Mitteln zu bewerten

Offensichtlich ist, dass diesem Mann nur schwer mit den normalen Mitteln des Rechtssystems beizukommen ist. Dass Pawlenski den als reichlich arrogant verschrienen Benjamin Griveaux wegen seines außerehelichen Fehltritts bloßstellen wollte, passt noch ins Denkschema vieler Zeitgenossen. Rache und Gerechtigkeit sind für einen normalen Menschen nachvollziehbare Kategorien. Auch Spekulationen, dass es sich bei der ganzen Sache um ein böses Komplott des Kremls handelt, um das politische System in Frankreich zu destabilisieren, werden immer wieder kolportiert.

Doch dann werden mögliche Erklärungsversuche sehr komplex. Angesichts der drohenden Gefängnisstrafe stellt sich am Ende sogar die Frage, ob eine Strafe für einen Menschen wirklich eine Strafe ist, wenn er diese Strafe gar nicht als Strafe im herkömmlichen Sinne erkennt?

Enttäuschung bei den Franzosen

In der Bewertung dieses Spektakels schwingt bei den Franzosen auch ein Stück Enttäuschung mit. Damals, als der Künstler sich mit seinen spektakulären Aktionen im fernen Moskau gegen die russischen Autoritäten auflehnte, wurde er im Westen als Freiheitskämpfer gefeiert. Und nun? Wieso verspottet Pawlenski das Land, das ihm so großzügig politisches Asyl gewährt hat, fragen französische Kommentatoren. Wo bleibt die Dankbarkeit? Frankreich ist doch keine menschenverachtende Autokratie wie Russland.

Pawlenski sieht das anders und verwirrt damit seine Umwelt. Denn tief in ihrem Innern glauben die Franzosen an die freiheitlichen Werte der Demokratie und der Republik. Doch dieser asketische Mann sät genau dort die Zweifel, dass auch im hochgelobten Westen die Freiheit des Einzelnen womöglich nur eine vermutete Freiheit sein könnte.

Einblick in schaurige Welten einer Gesellschaft

Gleichzeitig stößt Pawlenski – wahrscheinlich von ihm eher ungewollt - auch weitere Türen auf, die Einblicke in schaurige Welten bieten. Ist es erstrebenswert, wenn jeder ohne Rücksicht auf die Mitmenschen seine persönliche Freiheit egoistisch auslebt und konsequent nur nach seinen eigenen Regeln agiert?

Oder darf ein Kollektiv im Namen der Gerechtigkeit das Leben anderer Menschen zerstören? Ähnlich wie zu Zeiten der französischen Revolution, als die Köpfe der Herrschenden zu Tausenden für eine vermeintlich gute Sache rollten? Piotr Pawlenskis Aktionen werfen fundamentale Fragen auf, Politik, Justiz und auch die Gesellschaft müssen darauf Antworten suchen. Auf eine Idee kommt allerdings – zurecht - niemand, dass die Veröffentlichung des Sex-Videos Kunst gewesen sein könnte.