Raw-Air-Serie auf den vier berühmtesten Schanzen in Norwegen überzeugt die Skispringer mit hohen Prämien und perfekter Logistik.

Oslo - Alexander Stöckl ist auch deshalb ein gefragter Gesprächspartner, weil er sagt, was er denkt. Zum Beispiel, wenn es um neue Formate im Skispringen geht. Oder um Traditionen, die seiner Ansicht nach aus der Zeit zu fallen drohen. „Bei der Vierschanzentournee habe ich manchmal das Gefühl, dass die Sportler nur noch Mittel zum Zweck sind“, erklärt der Österreicher dann, „bei der Raw-Air-Tour stehen sie Zentrum.“

 

Nun muss man wissen, dass Stöckl Cheftrainer der norwegischen Skispringer ist und er schon allein deshalb die Serie, die in diesem Jahr zum dritten Mal auf den Anlagen in Oslo (wegen des Coronavirus’ vor leeren Rängen), Lillehammer, Trondheim und Vikersund stattfindet, gut zu finden hat. Allerdings steht er mit seiner Meinung nicht alleine. Ganz im Gegenteil: Viele Athleten, Trainer und Verantwortliche halten die Raw-Air-Serie mittlerweile für die bessere Vierschanzentournee. Und das hat Gründe.

Natürlich bedeutet die Zeit in Norwegen für alle Beteiligten puren Stress. Die 16 Sprünge, die zur Gesamtwertung zählen, finden an zehn aufeinander folgenden Tagen statt – den ersten gab es am Freitag in der Qualifikation von Oslo. Diese gewann völlig überraschend der erst 20 Jahre alte Constantin Schmid aus Oberaudorf. Doch für diese Fron winkt auch ein guter Lohn. 100 000 Euro Preisgeld werden ausgeschüttet, allein der Sieger erhält 60 000 Euro. Zum Vergleich: Für den Triumphator der Tournee gab es am Dreikönigstag nicht mal ein Drittel – 18 500 Euro. „Die Prämien bei der Vierschanzentournee sind lächerlich“, sagt Alexander Stöckl, „wenn man weiß, was die Veranstalter mit den TV-Rechten umsetzen, wird einem schlecht.“

Lukrativ und sportlich reizvoll

Dazu kommt, dass auch die Logistik bei der Raw-Air-Tour höchstem Standard entspricht. Der Transport von Ort zu Ort wird zentral organisiert, was eine große Erleichterung für die Teams bedeutet. Die Athleten reisen einmal mit dem Flugzeug, ansonsten mit dem Zug, so sind die insgesamt rund 1000 Kilometer gut zu bewältigen. „Das Gesamtpaket“, meint Stöckl, „ist sensationell.“ Und schließt auch die Frauen mit ein.

Während nach der 68. Vierschanzentournee im Januar darüber diskutiert wurde, wie sich die Skispringerinnen künftig am besten ins Programm einbinden ließen, ist dies beim Konkurrenzformat in Norwegen schon seit der zweiten Auflage 2019 Realität. An drei Stationen sind sie Teil der Raw-Air-Tour („Tournee der rauen Luft“), nur auf die große Flugschanze in Vikersund dürfen sie nicht. Eine der Favoritinnen auf den Gesamtsieg und das Preisgeld von 35 000 Euro ist die norwegische Olympiasiegerin Maren Lundby, die sagt: „Die Raw-Air-Tour ist ein Meilenstein für das Frauen-Skispringen.“ Was unterstreicht, dass die Wettkampfserie in Norwegen nicht allein lukrativ ist, sondern auch vielen anderen Anforderungen gerecht wird. Und sportlich reizvoll ist sie sowieso – diesmal vor allem für zwei Springer.

Duell zwischen Geiger und Kraft

Karl Geiger (Oberstdorf) und Stefan Kraft (Österreich) haben nicht nur die vergangenen Wochen im Weltcup dominiert, sie sind zugleich auf dem Sprung, noch mehr zu schaffen: Den Erfolg bei der Raw-Air-Tour – und den Sieg im Gesamtweltcup. Derzeit liegt Kraft 118 Punkte vor Geiger, der allerdings zuletzt in Lahti siegte und die beste Saison seiner Karriere hinlegt. Vier Siege und weitere elf Podestplätze sprechen für seine Konstanz, und folglich ist auch sein Selbstvertrauen sprunghaft angestiegen. „Mein Winter ist bislang sensationell, es freut mich wahnsinnig, dass alles so perfekt aufgegangen ist“, sagt Geiger (27), der nun der erste deutsche Sieger im Gesamtweltcup seit Severin Freund 2015 werden könnte – und werden will: „Der Gesamtweltcup ist leistungsmäßig das Größte, was man als Sportler gewinnen kann. Er bildet die Leistung über eine ganze Saison ab.“

Entsprechend motiviert ist der deutsche Überflieger, ohne dabei in Sorge zu sein, womöglich auf dem Boden der Tatsachen zu landen. Dafür ist es bisher zu gut gelaufen. „Ich bin bereits jetzt extrem zufrieden“, sagt Geiger, „alles, was noch kommt, ist ein Bonus.“ Finanziell. Aber vor allem sportlich. Weshalb trotz aller Brisanz und Belastung nicht ausgeschlossen ist, dass Geiger die Raw-Air-Tour genießen kann. Es wäre dem außergewöhnlichen Ereignis angemessen.