Skifahren birgt insbesondere für Fahrerinnen ein erhöhtes Verletzungsrisiko. Schuld daran könnte auch die Einstellung der Skibindung sein.

Stuttgart - Skifahren über schneeweiße Pisten bei blauem Himmel und Sonnenschein ist einfach ein Traum. Allerdings kann man sich bei diesem sportlichen Vergnügen auch verletzen. Die heutigen Skibindungen sind gebaut, um Knochenbrüche zu vermeiden, dafür gefährden sie die Knie stärker. „Rund ein Drittel aller Verletzungen betreffen das Knie. Frauen sind doppelt so oft betroffen wie Männer“, sagt Gerhard Ruedl von der Universität Innsbruck. Der Sportwissenschaftler hat kürzlich gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Burtscher im Fachblatt „British Journal of Sports Medicine“ einen Diskussionsbeitrag zu diesem Thema veröffentlicht.

 

Bei etwa 60 bis 80 Prozent der Knieverletzungen beim Freizeitskifahren sind die Bindungen beim Sturz eigenen Angaben zufolge nicht aufgegangen, wie mehrere Untersuchungen der Sportwissenschaftler gezeigt hatten. „Der Fall, dass die Bindung sich nicht löste, trat bei Frauen um 20 Prozentpunkte häufiger auf als bei Männern, obwohl Frauen sogar öfter angaben, dass die Skibindung in der aktuellen Wintersaison im Fachhandel eingestellt wurde“, so Ruedl. Selbstauslösetests unverletzter Skifahrer kamen zu ähnlichen Unterschieden zwischen Männern und Frauen. Ruedl ist sich sicher: „Die für Männer und Frauen im Prinzip gleiche Einstellung der Skibindung ist womöglich ein Faktor, der schuld daran sein könnte, dass so viel mehr Frauen als Männer Knieverletzungen beim Skifahren erleiden.“

Die ISO-Norm 11088 legt fest, wie Skibindungen einzustellen sind. Sie unterscheidet aber nicht zwischen Mann und Frau. Dabei gibt es mehrere geschlechtsspezifische Unterschiede, die sich darauf auswirken, wie gut eine Skibindung beim Sturz aufgeht. Frauen haben durchschnittlich weniger Muskelkraft und damit einen geringeren muskulären Schutz des Knies. „Sie haben auch häufiger als Männer eine X-Bein-Stellung, die die Kniestabilität zusätzlich vermindert“, sagt Ruedl.

Der weibliche Zyklus könnte eine Rolle spielen

In einer US-Studie waren zudem Verletzungen des Kreuzbands übermäßig häufig vor dem Eisprung aufgetreten. „Das Kreuzband weist Rezeptoren für das weibliche Sexualhormon Östrogen auf. Vor dem Eisprung kommt es zum Östrogenanstieg. Womöglich wird dadurch die Zugfestigkeit des Kreuzbands vermindert, was Kreuzbandverletzungen begünstigt“, sagt Ruedl.

Die aktuelle ISO-Norm lasse etwas Spielraum, um bei Frauen die Einstellung der Bindung zu verbessern. So sei die Verminderung der Bindungsstärke um bis zu 15 Prozent möglich. Frauenspezifische Aspekte bleiben in Sportgeschäften und im Direktverleih vor Ort allerdings meist unberücksichtigt. „Die meisten Skifahrerinnen wissen nicht, dass es die Möglichkeit gibt, die Bindung weniger hart einzustellen als vom Sportgeschäft vorgeschlagen“, sagt der Maschinenbauer Veit Senner. Der Professor für Sportgeräte und Sportmaterialien an der TU München ist auch Vorsitzender des ISO-11088-Normenausschusses. Ein weiteres Problem: Oft wird das eigene Fahrvermögen falsch angegeben.

Welche Art von Knieverletzungen treten bei Skiunfällen auf? Am häufigsten kommt es zu kleinen Mikroverletzungen im Bereich des Meniskus. Die auftretende Knieschwellung ist aber nach ein paar Tagen wieder weg. „Die Mikroschäden summieren sich aber im Laufe der Zeit auf, und irgendwann kommt der Einriss und Arthrose“, sagt Peter Biberthaler, der Direktor der Klinik und Poliklinik für Unfallchirurgie der TU München. Das beim Skifahren stark belastete vordere Kreuzband kann reißen, wenn der Unterschenkel nach hinten außen wegdreht. „Die Therapie hängt von der Instabilität im Knie, dem Alter und sportlichen Anspruch sowie der Muskulatur ab. Bei hohem sportlichem Anspruch, aber zugleich deutlicher Instabilität ist eine Operation angebracht“, rät der Mediziner. Es wird ein Sehnentransplantat aus dem Oberschenkel an der Abrissstelle oder auch ein dünnes Titan-Implantat in das Schienbein eingesetzt.

So viel vom Meniskus erhalten wie möglich

Auch der Meniskuseinriss zählt zu den typischen Knieverletzungen. „Sind äußere Meniskusanteile gerissen, werden sie genäht. Implantate sind nach wie vor noch nicht wirklich ausgereift. Deshalb verwenden wir sie nur, wenn gar kein Meniskus mehr vorhanden ist“, sagt Biberthaler. Sind die schlecht durchbluteten zentralen Meniskusanteile betroffen, werden sie entfernt. „Es soll aber unbedingt so viel Meniskus erhalten werden wie nur möglich, um das Arthrose-Risiko so klein wie möglich zu halten.“ Eine weitere Knieverletzung ist der Riss des Innenbands. Verursacht er eine deutliche Instabilität des Knies, wird das Innenband wieder zusammengenäht und durch zusätzliches, neben dem Innenband verlaufendes Fadenmaterial gestützt.

Sollten im ganz ungünstigen Fall beim Verdrehen des Beins vorderes Kreuzband, Innenband und Meniskus gleichzeitig verletzt werden – unhappy triad genannt –, ist die im Knie entstehende Instabilität relativ groß. Eine Operation ist unvermeidlich. „Ziel ist es, die anatomische Führung des Kniegelenks so gut wie möglich zu rekonstruieren, um Fehlbelastungen und als Spätfolge Arthrose zu verhindern“, betont Biberthaler. Denn bei jeder Verletzung bleibt ein Unsicherheitsfaktor. „Wir sehen nach dem Unfall nicht, welche Folgen der Schlag aufs Knie für den Knorpel hat. Es besteht jedoch das Risiko, dass es langfristig zu ungünstigen Strukturveränderungen im Knorpel kommt.“

Was man über Skibindungen wissen sollte

Einstellung Der Skischuh muss in der Bindung gut festsitzen. Andererseits muss die Bindung das Bein bei bestimmten Sturzarten freigeben. Die ISO-Norm 11088 legt fest wie eine Skibindung eingestellt werden soll. Wichtig ist der Z-Wert: Er gibt die Kraft an, bei der die Bindung aufgehen soll, um Verletzungen zu vermeiden.

Bindungshärte Die ISO-Norm berücksichtigt Körpergewicht, Größe, Alter, Sohlenlänge des Skistiefels und den Skifahrertyp, also Geschwindigkeit, Fahrstil und bevorzugtes Gelände. Für Frauen wird gemäß der ISO-Norm die Bindung gleich eingestellt wie für einen Mann mit gleichem Gewicht, Können und identischer Sohlenlänge der Skischuhe.

Zukunft Der Skiexperte Veit Senner arbeitet mit seinen Mitarbeitern schon seit Jahren an einer neuartigen mechatronischen Skibindung. Sie wäre so beschaffen, dass elektronische Komponenten den Fahrstil, der für die Belastung an der Bindung wichtig ist, die Stellung des Knies sowie die Geschwindigkeit erfassen und den Auslösemechanismus dann optimal anpassen. „Dafür benötigt man spezielle sogenannte adaptive, also selbstlernende Algorithmen“, so Senner. Bis es solche schlauen und wohl teuren Skibindungen geben wird, dürften noch einige Jahre vergehen.

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