Der Künstler, Autor und Journalist Slava Mogutin zeigt in Stuttgart ein Russland-Bild, das man bei der WM nicht zu sehen bekommt. Seine Ausstellung „Lost Boys“ ist noch bis Mitte Juli in der Galerie Kernweine zu sehen, am Mittwoch spricht er in Stuttgart.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die Souveränität eines Künstlers erkennt man auch daran, inwieweit er kurz vor der Vernissage selbst Hand anlegt. Slava Mogutin erreicht in dieser Wertung in der Galerie Kernweine im Stuttgarter Süden elf von zehn Punkten: Der russische Aktivist hilft den Betreibern der Off-Location nach Kräften, die Fotografien seiner Serie „Lost Boys“ in einer Petersburger Hängung zu inszenieren.

 

Diese Art der Bilderreihung, bei denen viele Motive eng nebeneinander platziert werden, funktioniert bei Mogutin eindrucksvoll: Seine Porträts einer zerbrechlichen Jugend, die er über mehrere Jahre aufgenommen hat, ergeben ein wunderbar kontrastreiches Bild seiner Heimat, das im Gegensatz zu den Bildern steht, die Putin mit seiner Fußball-Weltmeisterschaft in die Welt senden möchte.

In Russland verfolgt aus Gründen der Homophobie

Slava Mogutin ist Journalist, Autor, Künstler und Aktivist. Wegen seiner provozierenden und investigativen Schriften wurde der in Sibirien geborene Mogutin in Russland verfolgt, ihm drohten sieben Jahre Gefängnis. 1995 erhielt er als erster Russe wegen homophober Verfolgung politisches Asyl in den USA. In New York versuchte sich Mogutin, damals in seinen 20ern, als Pornodarsteller – vor und hinter der Kamera. „Das war ein Akt der Rebellion. Von einem politisch Verfolgten wurde das natürlich nicht erwartet. Vermutlich war es kein idealer Karriere-Schritt, ich hatte aber Spaß daran“, so Mogutin.

Seiner Karriere hat es zumindest nicht geschadet: Im Exil wurde Mogutin für seine Schriften mit dem Andrej-Bely-Preis ausgezeichnet, der heute als der älteste unabhängige russische Literaturpreis gilt. Mogutin kehrte in sein Geburtsland zurück, um die Auszeichnung entgegen zu nehmen und dokumentierte Russlands Veränderung in einer Reihe von Porträts, die jetzt in Stuttgart zu sehen sind. „Meine Generation wurde im Kommunismus geboren und hat den Zusammenbruch der Sowjetunion erlebt. Deshalb werden wir die verlorene Generation genannt“, erklärt Mogutin seine „Lost Boys“-Bilderserie. Ironischerweise habe genau diese Generation schließlich Putin gewählt, „um nie wieder in die Zeit zuvor zurückzukehren“, so Mogutin.

Ausstellung läuft noch bis zum Ende der WM

Wie schwierig ist es heute, als offen schwuler Mann in Russland zu leben? „Russland ist nicht mehr oder weniger homophob als andere Länder. Es sind die populistischen Politiker, die ein homophobes und fremdenfeindliches Klima erschaffen“, sagt der 44-Jährige, der eigentlich Yaroslav Yurievich Mogutin heißt und sich erst in New York den Künstlernamen Slava gegeben hat.

Der Fußball-Weltmeisterschaft in seinem Geburtsland steht Mogutin durchaus positiv gegenüber: „Ich glaube an Diplomatie und nicht an Sanktionen. Ab dem Zeitpunkt, an dem Politiker nicht mehr im Stande sind, Probleme zu lösen, können Sportler und Künstler die Barrieren überwinden, die uns trennen.“

Da passt es doch ganz wunderbar, dass die Galerie Kernweine, dieser aufregend-weltbürgerliche Ort, zur Ausstellung „Lost Boys“, die bis zum Ende der WM geht, ausgewählte Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft überträgt. Mit dieser Form des Public Viewings, die keine tumben Schland-Gröler ansprechen dürfte, will die Galerie Russlands Diversität in Form von Happenings und Künstler-Gesprächen aufzeigen. Am Mittwochabend spricht Mogutin um 20 Uhr über seinen Weg von Sibirien nach New York in Stuttgart – mit der ihm eigenen Souveränität, versteht sich.