Vor einem Jahr machte sich Herrenberg auf den Weg zur Smart City. Sensoren in Straßen und Mülleimern sollten das Leben vereinfachen. Jetzt soll eine Art Google Maps für Kommunen die Dienste kombinieren. Doch lohnt der Aufwand?

Herrenberg - Es läuft nicht alles nach Plan in der selbsterkorenen Smart-City-Stadt Herrenberg. Seit Monaten sabotiert eine Spinne in einem Mülleimer am Bahnhof die Technik. Um den Sensor, der den Entsorgern signalisiert, ob ein Mülleimer voll ist und geleert werden muss, spinnt sie ein enges Netz und behindert somit das Signal.

 

Es gibt natürlich größere Probleme wenn man eine Stadt vom analogen ins digitale Zeitalter manövriert. Aber für den Leiter des Amtes für Technik, Umwelt und Grün, Stefan Kraus, ist die Spinne eines der schwerwiegenderen. Vieles andere, so hat man den Eindruck, geht seinen Weg. Und der ist auch für andere Kommunen vielversprechend.

Vor einem Jahr beschloss Herrenberg ein Digitalexperiment: Wie können Computerdienste das Leben der Bürger vereinfachen? Stefan Kraus und seine Mitarbeiter installierten dazu mehr als 150 Sensoren in der Stadt, einige in Straßen, alleine 40 in Mülleimern. Über ein sogenanntes Lorawan-Netzwerk können sie die Daten der Sensoren ablesen und wissen etwa, wann Straßen zufrieren und wann der Mülldienst ausfahren muss. Inzwischen wollen auch andere Städte im Kreis und im Land Herrenberg nacheifern und werkeln an Lorawan-Funknetzen. Erste Anwendungen, etwa in Wendlingen, wo unter anderem Parksünder erfasst werden, stehen bereits. Andere ziehen jetzt nach. 20 000 Euro hat Herrenberg in die Technik investiert, dazu unzählige Arbeitsstunden. Lohnt sich der Aufwand?

Günstigere Verwaltung

Ein Mitarbeiter im Blaumann zeigt auf seinem Handy eine Karte, auf der alle smarten Mülleimer der Kommune abgebildet sind. Es sind viele gelbe Fähnchen dabei, eines ist rot. „Da müssen wir morgen hin“, sagt er und zeigt auf den roten Punkt. Früher seien er und seine Kollegen fast jeden Tag ausgefahren. Jetzt holten sie den Müll an manchen Stationen nur ein Mal im Monat ab. „Wir haben jetzt mehr Zeit, um die Straßen zu kehren.“

Alleine durch die Müllsensoren habe die Stadt die Arbeit von etwa einer Person im Jahr eingespart, schätzt Amtsleiter Kraus. „Bei 16 Leuten ist das schon eine ganze Menge“, sagt er. Wie viele Arbeitsstunden es genau sind, versucht die Hochschule für Verwaltung in Ludwigsburg gerade herauszufinden. Für die Verwaltung bedeutet der geringere Aufwand nicht nur gespartes Geld, sondern auch eine bessere Qualität der Dienstleistung, so die damit ebenfalls verbundene Hoffnung.

Im vergangenen Winter wurden an Stellen, wo Straßen besonders schnell vereisen und Schnee liegen bleibt, Sensoren eingelassen. Sie messen die Temperatur, die Feuchtigkeit und das Streusalz auf der Fahrbahn. In Verbindung mit den historischen Daten der örtlichen Wetterstationen errechnet eine Software schon Tage vorher, wie viel Personal wann und wo gebraucht wird. Dass die Prognosen stimmten, habe eine Auswertung des Amtes im vergangenen Winter bestätigt, sagt Kraus. „Ein plötzlicher Schneeeinbruch überrascht niemanden mehr.“ Für seine Kollegen bedeute das: weniger Fehler bei der Arbeit und eine höhere Wertschätzung bei den Bürgern.

Ein Google-Maps für Herrenberg

Auch andere Dienste sollen Sensoren in der Stadt ermöglichen, ein Schwerpunkt liegt bei der Mobilität. Parktracker zeigen an, ob Campingplätze belegt sind. Sensoren in Bussen ermitteln, wo diese sich auf ihrer Verkehrsroute befinden, und zählen die Fahrgäste. Das alles fließt in eine Art Google Maps für Herrenberg. Schon jetzt ist die Seite www.mobil-in-herrenberg.de online zu erreichen, funktioniert aber nicht ohne Fehler. Bis zum offiziellen Start in wenigen Wochen sollen sie behoben werden.

Wenn man die Seite anklickt, kann man eine Route wählen und sich zwischen Fahrrad, Bus und Auto entscheiden. Also genau wie bei Google. Der Unterschied liegt darin, dass die Anwendung in Zukunft zu einer Plattform werden soll, in die auch alle anderen Daten der Stadt einfließen. Daraus könnten sich neue, bislang ungeahnte Anwendungen entwickeln.

„Bei vielen Daten wissen wir selbst nicht, wie man sie nutzen wird“, gesteht Kraus. In Zukunft soll die Crowd helfen. Das sind technikbegeisterte Bürger, die Ideen haben, wie man die Anwendungen weiterentwickelt. Alle Daten, die die Stadt erhebt, sollen dazu bald für jedermann einsehbar sein. Kraus schwebt eine Art Hackathon vor, wo Bürger Ideen umsetzen und weitertreiben.

Wohin die Stadt damit steuert, ist ungewiss; aber selten ist ja der Weg von Pionierarbeit absehbar. Wenige Kommunen hierzulande haben den Mut, technische Anwendungen so radikal umzusetzen wie Herrenberg. Doch der Nutzen wird über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Kraus Besuchern von anderen Städten berichtet. In Hamburg war er schon, in Stuttgart sowieso. „Vielleicht bauen wir gerade etwas wie ein deutsches Finnland“, sagt er. In Skandinavien sind Sensoren und digitale Hilfsmittel im Stadtleben weit verbreitet. Die Idee der Mobilitätsplattform hat Herrenberg in Helsinki schon mal abgeguckt.